

Bergen - Seefahrer vor der Küste Indiens bemerken nichts von dem Tal, durch das sie schippern. Dabei liegt der Meeresspiegel in der Region 120 Meter tiefer als normal. Die Schwerkraft verursacht eine weiträumige Delle im Wasser (blaue Fläche auf der Karte oben): Jenseits der Region ist die Anziehung stärker - dorthin zieht es die Wassermassen, so dass sie sich dort höher türmen. Die Unebenheiten im Meer erstrecken sich über ein solch großes Gebiet, dass sie mit bloßem Auge nicht erkennbar sind. Neue Satellitendaten der Europäischen Raumfahrtorganisation Esa aber machen das ozeanische Gebirge sichtbar - mit bisher unerreichter Präzision.
Um aus dem Meerestal vor Indien herauszufahren, benötigen Schiffe jedoch keine zusätzliche Energie. Sie fahren zwar bergauf, doch die Schwerkraft der Erde zieht sie nicht hinab - die Anziehungskraft ist am Gipfel der Delle ebenso groß wie im Tal. Aus dem gleichen Grund fließt das Wasser nicht bergab in die Delle hinein. Der Meeresspiegel formt sich gemäß der Schwerkraft, an seiner Oberfläche herrscht daher überall die gleiche Erdanziehung, es sei denn, Strömungen verschieben das Wasser. Anders an Land: Die Kontinente bleiben starr. Deshalb unterscheidet sich die Schwerkraft von Ort zu Ort.
Daten des Satelliten "Goce", der letztes Jahr ins All geschossen worden war, zeigen nun, wie die Schwerkraft schwankt. Die Unterschiede werden mit Dellen und Beulen dargestellt. "Die Daten verändern unser Verständnis des Gravitationsfeldes", schwärmte Rune Floberghagen, Leiter des Goce-Programms, bei der Vorstellung des neuen Atlas' auf einer Esa-Tagung im norwegischen Bergen. "Wir sind froh, dass der Satellit so gut funktioniert", ergänzt sein Kollege Reiner Rummel von der Technischen Universität München.
Vorteil beim Fleischkauf in Indien
Die "Goce"-Karte zeigt die Gestalt, die die Erde hätte, wenn sie formbar wäre wie Knetmasse und wenn alle Berge und Ozeanbecken eingeebnet würden. Dann wäre die Erde trotzdem nicht rund - sondern kartoffelförmig. Denn je nachdem, wie stark die Schwerkraft in einer Region ist, würde sie die Erdoberfläche formen. Gebiete geringer Schwerkraft machten sich als Delle bemerkbar, unter Beulen hingegen ist die Erdanziehung besonders hoch - dort ballen sich die Massen.
Vor allem Gesteinsumwälzungen im Innern der Erde verursachen die Unterschiede. Je massiger das unterirdische Gestein, desto stärker die Anziehungskraft.
Bei Indien liegt die tiefste Delle des Planeten. Dort ist die Anziehungskraft um 0,3 Promille geringer als im Durchschnitt auf der Erdoberfläche. Ein Mensch, der hierzulande 70 Kilogramm wiegt, ist im Süden Indiens 21 Gramm leichter (seine Gewichtskraft ist kleiner, obwohl er natürlich weiterhin die gleiche Masse hat). Beim Metzger schneiden Kunden in Süd-Indien besser ab: Für ein Kilogramm erhält man dort 0,3 Gramm mehr Fleisch als in Europa.
In den blau markierten Regionen der Karte ist die Schwerkraft rund 100 Milligal geringer als normal. Ein Milligal entspricht einem Millionstel der durchschnittlichen Schwerkraft, die in Meereshöhe wirkt. Im Nordatlantik und nordwestlich von Australien herrscht die stärkste Anziehung; dort wirken rund 60 Milligal mehr als normal (rote Zonen).
Im Alltag spielen solche Feinheiten keine Rolle. Für die Wissenschaft indes liefern sie wervolle Erkenntnisse.
Unterschiede in der Schwerkraft geben beispielsweise Auskunft über:
Bereits das Satellitenpaar "Grace", das seit acht Jahren die Schwerkraft vermisst, hatte nützliche Informationen geliefert: Beispielsweise gelang es Forschern anhand der Daten, die Grundwassermenge auf den Kontinenten zu berechnen. Außerdem zeigten die Daten, dass die Ozeane immer mehr Wasser enthielten - ein Hinweis dafür, dass Eismassen schmelzen.
Der neue Satellit "Goce" liefert nun genauere Informationen - er ist dichter dran: In nur 255 Kilometer Höhe zieht er seine Bahnen; kein anderer Satellit fliegt so niedrig. Ein Spezialantrieb, der Edelgas feuert, befördert "Goce" immer wieder auf Position. Aufgehängte Platinklötze im Satelliten reagieren auf Änderungen der Schwerkraft extrem genau.
Mit ersten Auswertungen der Daten ließen sich bereits Ozeanströmungen "auf ein bis zwei Zentimeter genau bestimmen", berichtet Rummel. Die Strömungen höben sich deutlich von der normalen Schwerkraftkarte ab. Es entstehe ein präzises Bild der Wasser-Förderbänder in den Meeren.
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Eine neue Karte der Schwerkraft wurde nun veröffentlicht: In den blau markierten Regionen der Karte ist die Schwerkraft rund 100 Milligal geringer als normal. Ein Milligal entspricht einem Millionstel der durchschnittlichen Schwerkraft, die in Meereshöhe wirkt. Im Nordatlantik und nordwestlich von Australien herrscht die stärkste Anziehung; dort wirken rund 60 Milligal mehr als normal (rote Zonen). Der Meeresspiegel formt sich gemäß der Schwerkraft, an seiner Oberfläche herrscht daher überall die gleiche Erdanziehung, es sei denn Strömungen verschieben das Wasser. Anders an Land: Die Kontinente bleiben starr. Deshalb unterscheidet sich die Schwerkraft von Ort zu Ort. Forscher wollen mit dem Atlas Bodenschätze und Magmaströme aufspüren. Und erklären, warum wir an manchen Orten auf der Erdoberfläche weniger wiegen als anderswo.
Präzise Messung: Im Esa-Satelliten "Goce" aufgehängte Platinklötze reagieren auf Änderungen der Schwerkraft extrem genau. Sie befinden sich an verschiedenen Enden der Apparatur, weshalb sie von der Erdanziehung unterschiedlich stark angezogen werden. Aus diesen minimalen Differenzen, ergeben sich von Ort zu Ort minimale Unterschiede in der Schwerkraft.
Satellit "Goce": Bei Bedarf stößt der Antrieb Xenon-Ionen mit einer Geschwindigkeit von 40 Kilometern pro Sekunde aus.
Nah dran: "Goce" zieht in nur 255 Kilometer Höhe eine Bahn; kein anderer Satellit fliegt so niedrig.
Filligrane Technologie: Das Schwerkraftmessgerät (Gradiometer) wurde ins Zentrum des etwa fünf Meter langen Satelliten platziert.
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