Christoph Seidler

Landung auf der Rückseite des Mondes Chinas All-Macht

Christoph Seidler
Eine Analyse von Christoph Seidler
Die Volksrepublik hat erstmals einen Roboter auf der Rückseite des Mondes gelandet - eine technologische und ideologische Machtdemonstration. Wie sollten die anderen Weltraumnationen reagieren?
Künstlerische Darstellung des Rovers "Chang'e 4"

Künstlerische Darstellung des Rovers "Chang'e 4"

Foto: China National Space Administration/HANDOUT/EPA-EFE/REX

Es ist ein Schlüsselmoment: Mit dem sanften Aufsetzen des Roboters "Chang'e 4" im Aitken-Krater, unweit des Mondsüdpols, hat China der Welt gezeigt, wozu Wissenschaftler und Ingenieure des Landes mittlerweile fähig sind. Schließlich ist es noch nie einem Raumfahrzeug gelungen, auf der erdabgewandten Seite des Mondes zu landen.

Die chinesischen Medien sind voll des Lobs, der Rest der Welt schaut mit Ehrfurcht zu. Und tatsächlich dürfen die Verantwortlichen in Peking stolz auf das Erreichte sein. Dass die Landung glatt vonstattengeht, war nicht selbstverständlich.

Stoisch und systematisch haben die Chinesen ihren Erfolg vorbereitet. Erst ließen sie Forschungssonden den Mond nur umkreisen. Nachdem das geklappt hatte, wurde vor fünf Jahren mit "Chang'e 3" ein Landeroboter zur erdzugewandten Seite geschickt, der sogar ein kleines Mondauto namens "Yutu" dabeihatte.

Die Mission zur Rückseite des Mondes ist nun der nächste, konsequente Schritt. Auch dieser ist minutiös vorbereitet worden. So hatte China im vergangenen Jahr den Kommunikationssatelliten "Queqiao" so in der Nähe des Mondes platziert, dass dieser jetzt die Signale von "Chang'e 4" weiterleiten kann. In den kommenden Jahren werden die Chinesen versuchen, Gesteinsproben einzusammeln, sie zur Erde zurückzutransportieren und, später dann, auch Menschen zur Mondoberfläche zu bringen.

SPIEGEL ONLINE

Die Landung der Sonde "Chang'e 4" und das Mondprogramm der Chinesen sind aber nicht deshalb ein Schlüsselmoment, weil hier aus wissenschaftlicher Sicht etwas grundsätzlich Neues probiert worden ist: Erste Bilder der Mondrückseite hat die sowjetische Sonde "Lunik 3" schon im Jahr 1959 zur Erde geschickt. Vor ziemlich genau 50 Jahren haben bei der US-Mission "Apollo 8" erstmals Menschen diesen Blick mit eigenen Augen erleben können. Materialproben vom Mond liegen auch schon seit Jahrzehnten in irdischen Labors, eingesammelt von amerikanischen Astronauten und sowjetischen Robotern des "Luna"-Programms.

Und, nicht zu vergessen: Im Rahmen des "Apollo"-Programms haben auch immerhin zwölf Astronauten ihre Fußabdrücke im Mondstaub hinterlassen. Das alles ist allerdings ein halbes Jahrhundert her. Ein halbes Jahrhundert, in dem man sich nach den erreichten Erfolgen nur noch wenig um die Erforschung des Mondes gekümmert hat.

Die Amerikaner, die Europäer, sie könnten all das wohl auch, was die Chinesen da gerade am Mond zeigen. Aber sie tun es nicht. China profitiert. Denn neben wissenschaftlichen Ergebnissen liefern Missionen wie "Chang'e 4" vor allem erstklassige Propagandabilder. Und darum geht es bei so einer Mondlandung mindestens genauso wie um Wissenschaft: Jede Mondlandung ist eine Demonstration technologischer Macht. Das war bei "Apollo" so, das ist jetzt nicht anders.

Fotostrecke

Raumsonde "Chang'e 4": Landung auf der Rückseite des Mondes

Foto: DPA/ CNSA/ Xinhua

In diesem Fall aber, und auch deshalb ist es ein Schlüsselmoment, geht es nicht nur um Technologie, sondern um Ideologie. Der Erfolg von "Chang'e 4" ist auch so etwas wie eine Visitenkarte für das politische System Chinas, die mit der Landung auf dem Mond weltweit verteilt wurde. Die Botschaft aus Peking: Seht her, solche Erfolge erreicht man in so kurzer Zeit nicht in demokratischen Systemen und mit Rücksicht auf Menschenrechte. Man erreicht sie nur, wenn man Projekte und Prozesse konsequent von oben steuert und vorgibt.

Das Gegenteil von konsequentem Vorgehen zeigen die bisherigen Schlüsselspieler der Weltraumbranche, die USA, Russland und Europa. Mühsam müssen sie ihre Regierungen davon überzeugen, das nötige Budget für Weltraummissionen bereitzustellen. Müssen Parlamentarier erst vom Sinn wissenschaftlicher Missionen überzeugen. Geld einfach nur für Machtdemonstrationen würde in diesen Gesellschaften niemand mehr bereitstellen. Und so kommt es, dass Nasa, Esa und Roskosmos mit offenem Mund zuschauen, was die Chinesen im All treiben. Obwohl sie es, rein technologisch betrachtet, auch können.

Es gibt da gewisse Parallelen zur Mobilitätswende. Der konsequente Wechsel zur Elektro- oder Wasserstoffmobilität wäre wohl auch von den westlichen Herstellern und Ländern zu bewerkstelligen. Doch während sich die Traditionsbranche noch nicht mal auf einen gemeinsamen Standard für die Ladestecker, geschweige denn die Nationen auf verbindliche gesetzliche Rahmenbedingungen für eine Förderung, einigen können, drückt die Regierung in Peking den Wandel einfach durch.

Insofern könnte die Landung von "Chang'e 4" in hundert Jahren in der Rückschau des 21. Jahrhunderts tatsächlich als einer der Schlüsselmomente gesehen werden, in denen China gezeigt hat, was möglich ist, wenn man einfach macht.

Mehr Mut und Entschlossenheit könnte sich auch für die alten Recken der Raumfahrt lohnen. Um zu zeigen, dass ähnliche Erfolge auch in demokratischen Systemen erzielt werden können. Aber auch aus ganz egoistischen Motiven: Spektakuläre Raumfahrtprojekte, zum Beispiel am Mond, könnten gerade junge Menschen für Wissenschaft und Technik begeistern. Das wiederum könnte ein Aspekt sein beim Kampf gegen den Fachkräftemangel, über den die Industrie allenthalben klagt. Außerdem würden womöglich Technologien entstehen oder weiterentwickelt werden, die Menschen auch Nutzen im Alltag bringen.

Womöglich hätten europäische und amerikanische Projekte sogar einen Vorteil, kämen bei solchen Projekten auch kreativere technische Lösungen heraus, wenn sich die Beteiligten trauen, ihre Meinung offen zu sagen. Wenn sie es wagen, Zweifel anzusprechen. Wenn sie sicher sein können, dass das bessere Argument gewinnt. Und wenn nicht ein politischer Führer alles entscheidet.

Ideen für aufregende Mondprojekte gibt es: das international ausgelegte "Moon Village", für das Jan Wörner, Chef der Europäischen Weltraumbehörde Esa, seit Jahren wirbt. Das "Lunar Orbital Gateway", eine Raumstation im Mondorbit, die die Amerikaner zusammen mit Partnern auf den Weg bringen wollen. Und mehrere private Mondmissionen, die mit dem Geld privater Investoren den Transport von Fracht zum Mond zum Geschäftsmodell machen wollen. Dazu gehört unter anderem die Gruppe PTScientists aus Berlin.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten