"Columbia"-Katastrophe Millionenstreit um Krebs-Experiment

Rauchende Trümmer nach "Columbia"-Absturz (2002): Experiment überstand den Absturz
Foto: JEFF MITCHELL/ REUTERSZuerst war nur der Schock. Als die Mitarbeiter von Instrumentation Technology Associates (ITA) am 1. Februar 2003 auf ihren Fernsehschirmen die Trümmer der Raumfähre "Columbia" in einem infernalischen Feuerwerk zu Boden regnen sahen, da war an das Experiment zunächst gar nicht zu denken, das ihre Firma an Bord des Unglücksfluges hatte.
Es ging um Krebsforschung: In der Schwerelosigkeit des Alls hatte die Shuttlebesatzung spezielle Kristalle gezüchtet, die bei der Medikamentenentwicklung helfen sollten. Doch daran dachten John Cassanto und seine Mitarbeiter nur am Rande. Schließlich galt es, den offensichtlichen Tod von sieben Astronauten zu betrauern. Sie konnten das Auseinanderbrechen der Raumfähre kaum überlebt haben, so viel war klar.
Doch schon wenige Stunden später standen für die ITA-Mitarbeiter wieder pragmatischere Probleme im Mittelpunkt. Denn das vollständig private Kristallexperiment, so stellte sich heraus, hatte den Absturz vergleichsweise gut überstanden. Das kleine Aluminiumkistchen war mitten auf einen Parkplatz im texanischen Städtchen Nacogdoches gekracht. Mit dieser Entdeckung begann ein Streit, der bis heute nicht geklärt ist - und der die Nasa teuer zu stehen kommen könnte.
Mehr als drei Monate lang versuchten ITA-Mitarbeiter nach dem Absturz an das Experiment zu kommen. "Die Nasa hat unsere Anfragen ignoriert", beklagt sich Firmenchef Cassanto im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. Die Forscher wussten, dass die Zeit gegen sie arbeitete: Die Kristalle aus dem Enzym Urokinase waren aus einer Proteinlösung entstanden - und würden sich bei unsachgemäßer Lagerung auch wieder darin zurückverwandeln. Deswegen sah die ursprüngliche Vereinbarung zwischen der Nasa und ITA auch vor, dass die Forscher ihre Kristalle bereits zwei Stunden nach der Shuttle-Landung wiederbekommen sollten.
Dabei waren die im All gezüchteten Exemplare äußerst preziös: größer, mit weniger Störungen im Kristallgitter und schneller gewachsen als ihre irdischen Verwandten. Mit Hilfe der kosmischen Kristalle wollten die Forscher die genaue Struktur der Urokinase entschlüsseln - und dadurch die Entwicklung von Krebsmedikamenten erleichtern. Im Kern geht es darum, die Bildung von Metastasen zu erschweren.
Doch stattdessen lag das Experiment in einem Hangar des Kennedy Space Center, zusammen mit anderen Trümmerteilen - und zwar gänzlich ungekühlt. Einer verschmorten Computerfestplatte aus einem anderen Experiment machten diese Bedingungen nichts aus. Sie konnte wiederhergestellt werden.
Doch die Kristalle waren hin. "Unser Urokinase-Krebsforschungsprojekt wurde einzig mit den Gewinnen unserer Firma bezahlt", sagt Cassanto. Deswegen fordert ITA nun eine Entschädigung von der Nasa: Acht Millionen Dollar für das gescheiterte "Columbia"-Experiment. Dazu will die Firma noch weitere zwölf Millionen dafür haben, dass die Nasa nicht wie vereinbart noch weitere Experimente an Bord anderer Shuttle mitgenommen habe. Das Ziel sei, so sagt Cassanto, dass seine Firma wieder in die Lage komme, ein neues Urokinase-Experiment ins All zu schicken.
Die Nasa bestätigte auf Anfrage des Internetdienstes Space.com, der Streit sei noch nicht geklärt, wollte sich zu den Details aber nicht äußern. Auch eine Anfrage von SPIEGEL ONLINE blieb zunächst ergebnislos. Bislang, so sagt Cassanto, habe seine Firma sich noch nicht bei der europäischen Weltraumagentur Esa nach Mitflugmöglichkeiten ins All erkundigt. "Aber vielleicht wäre es sinnvoll, das zu tun." Auf jeden Fall wolle er sein Kristallexperiment nach all der Verzögerung doch noch ins All bringen.
Einstweilen hat die Firma auf ihrer Web-Seite ein Memorial eingerichtet.