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Weltall-Simulation 13 Milliarden Jahre in drei Minuten

Ein Computermodell zeigt 13 Milliarden Jahre Weltall im Zeitraffer: Ein Forscherteam will mit Hilfe der spektakulären Simulation das Schicksal des Universums besser verstehen. Das virtuelle All umfasst 50.000 Galaxien - mehr als jedes Modell zuvor.

In klaren Sommernächten verzückt der Glanz der Milchstraße die Nachtschwärmer. Astronomen sehen das schimmernde Band dagegen meist etwas abgeklärter. Sie wissen, dass sie ein Sternsystem vor Augen haben - die Innenansicht unserer Galaxie. Könnte man sie von außen betrachten, sähe man eine Scheibe mit hellem Kern und Spiralarmen.

Doch Galaxien kommen in unterschiedlichen Varianten vor: Es gibt kartoffelförmige Exemplare ohne Spiralarme - sogenannte elliptische Galaxien - oder völlig zerzauste, die Experten als "irregulär" bezeichnen. Wie ist diese Vielfalt entstanden? Astrophysiker präsentieren nun eine Computersimulation der Entwicklung eines repräsentativen Ausschnitts des Kosmos, die dabei erstmals den galaktischen Pluralismus reproduziert. Ein Meilenstein.

Klümpchen in der Ursuppe

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Simulation "Illustris": Das virtuelle Weltall

Foto: Illustris Collaboration

Im Fachblatt "Nature" berichten Forscher um Mark Vogelsberger von ihrer Illustris genannten Simulationsrechnung. Strahlung, Stoßwellen und Turbulenz - die Zutaten der Berechnung bilden ein komplexes Zusammenspiel. Rund 50.000 Galaxien umfasst die Stichprobe, welche die Forscher in ihrer Rechnung erfassten. Sie finden in einem Würfel mit der Kantenlänge von 350 Millionen Lichtjahren Platz. Dabei deckt die Simulation einen Zeitraum von 13 Milliarden Jahren ab, kosmologisch betrachtet endet sie also fast in der Gegenwart. In den Videos der Forscher wird diese gewaltige Zeitspanne in weniger als drei Minuten durcheilt.

"Es ist bemerkenswert, dass die Anfangsbedingungen des Universums, die wir kurz nach dem Urknall beobachten, tatsächlich Galaxien in der richtigen Größe und Gestalt hervorbringen", sagt Vogelsberger, Astrophysiker am Massachusetts Institut of Technology.

Der Startzeitpunkt von Illustris liegt in einer fernen Vergangenheit, rund 12 Millionen Jahre nach dem Urknall. Der junge Kosmos hatte erst 0,9 Promille seines heutigen Alters durchlebt. Laut Co-Autor Volker Springel vom Heidelberger Institut für Theoretische Studien war damals so gut wie nichts wie wir es kennen: Keine Galaxien, keine Sterne und keine Planeten bevölkerten die Ödnis. "Es gab lediglich eine Mixtur aus Wasserstoff, Helium und Dunkler Materie", so der Astrophysiker.

Diese Ursuppe sei zwar sehr homogen verteilt gewesen, doch gab es immerhin bereits sehr geringe Dichtevariationen. Dem Modell zufolge waren diese Klümpchen die Keimzellen der heutigen kosmischen Strukturen - denn mit der Zeit entstanden aus ihnen immer größere Verklumpungen, zusammengetrieben durch die Wirkung der Schwerkraft.

Die entscheidende Zutat für solche Rechnungen ist die sogenannte Dunkle Materie. Diese hypothetische Materieform dominiert zusammen mit der Dunklen Energie das Universum. So beschreibt es jedenfalls das kosmologische Standardmodell. Zwar liegt die wahre Natur der beiden ebenfalls noch immer im Dunkeln, dennoch kann man ihre Konsequenzen mit Supercomputern ausrechnen.

Kraftakt im Computer

Die Rechnungen zeigen, dass sich aus den Materieklumpen schließlich kleinere, urtümliche Galaxien formten, die durch Verschmelzungen untereinander an Masse zulegten. Diese Ur-Galaxien waren bereits die Bühne für dramatische Prozesse: Sterne entstanden und explodierten, und superschwere Schwarzer Löcher wuchsen in ihren Zentren heran.

Numerisch war die Rechnung ein Kraftakt: Bis zu 8000 Prozessoren waren mehrere Monate mit Illustris beschäftigt. Neben der geballten Computerpower waren auch verbesserte Rechenverfahren und die genauere Berücksichtigung der wichtigen physikalischen Prozesse entscheidend, um zu realistischen Galaxien zu kommen.

Alle vorhergehenden Simulationsrechnungen auf der Basis der Dunklen Materie mussten dabei passen - ein Schwachpunkt, der nun ausgeräumt erscheint. "Wir können nun endlich die alten groben Modelle hinter uns lassen. Die Ergebnisse markieren einen Umbruch in theoretischen Studien der Galaxienentstehung", sagt Springel.

Beeindruckt von den Resultaten zeigte sich auch Lutz Wisotzki vom Leibniz-Institut für Astrophysik in Potsdam, der an der Studie nicht beteiligt war. "Mit der Rechnung haben die Kollegen ein Zeichen gesetzt", so Wisotzki. Zwar bezweifelt der Galaxien-Experte, dass die Formen der simulierten Illustris-Galaxien wirklich völlig identisch mit denjenigen im echten Universum sind, das ändere aber nichts daran, dass die Simulation ein Meilenstein sei.

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