Raumfahrt in Corona-Zeiten Lockdown im All

Esa-Kontrollzentrum in Darmstadt (Archivbild): Hier wird nur mit Minimalbesetzung gearbeitet
Foto: AP / dpa / Esa / Jürgen MaiWer einen Satelliten ins All schießt, braucht nicht nur viel Geld. Er muss sich anschließend auch gut um ihn kümmern: Ist er noch auf der richtigen Umlaufbahn? Funktionieren die Instrumente an Bord nach Plan? Liefern die Solarzellen genug Strom? Droht ein Crash mit Weltraumschrott oder einem anderen Satelliten?
"Das sind Werte von vielen Milliarden Euro, die wir da betreiben", sagt Rolf Densing, Direktor für Missionsbetrieb bei der Europäischen Weltraumorganisation Esa dem SPIEGEL. Densing leitet seit Anfang 2016 das Esa-Satellitenkontrollzentrum im hessischen Darmstadt. Von dort aus werden normalerweise 21 Raumfahrzeuge gesteuert. Erdbeobachtungssatelliten wie fünf "Sentinel"-Satelliten des EU-Programms "Copernicus" zum Beispiel, aber auch astronomische Observatorien und Planetenerkundungsmissionen.
Wegen der Coronakrise haben sich Densing und seine Leute nun entschieden, insgesamt acht Satelliten einstweilen in den Schlafmodus zu versetzen: die vier Flugkörper der "Cluster"-Mission, mit denen normalerweise das Erdmagnetfeld vermessen wird, die Mars-Sonden "ExoMars Trace Gas Orbiter" und "Mars Express" sowie das gerade erst gestartete Sonnenobservatorium "Solar Orbiter" .
"In den Tiefen des Raums könnten die betreffenden Sonden auch eine Weile auf sich allein gestellt arbeiten", sagt Densing. Ihre Betreuung sei sonst sehr personalintensiv. "Das war der Grund, warum wir sie jetzt schlafen gelegt haben." Im Esa-Kontrollzentrum arbeiten aktuell nur noch wenige Mitarbeiter: Statt normalerweise 700 Menschen pro Tag sind auf dem Areal unweit des Darmstädter Hauptbahnhofes jetzt noch nicht einmal 30 Personen unterwegs. Der Rest arbeitet von zu Hause aus.
"Es passiert immer mal wieder, dass ein Satellit persönliche Aufmerksamkeit verlangt. Dann fährt jemand ins Kontrollzentrum", sagt Densing. Erhöhtes Augenmerk verlangen unter anderem die im Schnitt zwei Ausweichmanöver wegen Weltraumschrott pro Woche. Die dürfen auch aus Cyber-Sicherheitsgründen nicht aus dem Homeoffice stattfinden. Wer aber aufs Gelände des Kontrollzentrums kommt, für den sollen strenge Regeln gelten: Mitarbeiter sollten sich nach Möglichkeit nicht sehen, aufs Händeschütteln zu verzichten. Außerdem soll jeder sein eigenes Keyboard mitbringen.
Arbeit auf dem Weltraumbahnhof Kourou steht still
Aufregend wird es für die Flugkontrolleure am 10. April. Da holt sich die Merkursonde "BepiColombo" auf dem Weg zu ihrem endgültigen Einsatzort Schwung bei der Erde. Um das Manöver ohne Probleme zu absolvieren, muss sie während des Vorbeiflugs mit neuen Steuerkommandos gefüttert werden. Dazu müssen auf jeden Fall Experten im Kontrollzentrum anwesend sein.
Einen Covid-19-Fall hat es in Darmstadt bereits gegeben, ein Mitarbeiter aus der Flugdynamik. An allen Esa-Standorten in ganz Europa wurden insgesamt etwa 50 Erkrankungen registriert. "Das ist schon ziemlich knackig", sagt Esa-Generaldirektor Jan Wörner dem SPIEGEL. "Wir haben daher alle Aktivitäten auf ein absolutes Minimum heruntergefahren."
Im Gespräch zeigt sich Wörner zuversichtlich, "im Wesentlichen" an allen Programmen mit Esa-Beteilung weiterarbeiten zu können. Aber: "Ein paar Starts werden verschoben werden". So dürfte sich der für Ende des Jahres geplante Erstflug der neuen europäischen Rakete "Ariane 6" auf 2021 verschieben. Auch die Wissenschaftsmission "Juice" zu den Eismonden des Jupiters, geplanter Start ist 2022, könnte sich etwas verschieben. Kurzfristige Absagen hat es bereits für den Start einer "Vega" und einer "Sojus"-Rakete vom Weltraumbahnhof Kourou in Französisch-Guyana gegeben. Dort ruht die Arbeit wegen der Coronakrise derzeit ebenfalls.

Weltraumbahnhof Kourou: Von hier soll die neue "Ariane 6"-Rakete starten, vermutlich aber erst im kommenden Jahr
Foto: JODY AMIET/ AFPBereits vor zwei Wochen hatte die Esa zusammen mit der russischen Weltraumbehörde Roscosmos entschieden, dass der eigentlich für diesen Sommer geplante Start der "ExoMars"-Landesonde um zwei Jahre nach hinten rutscht. "'ExoMars' hätten wir allerdings auch ohne Corona verschieben müssen", sagt Wörner. Es habe die Zeit für technische Tests gefehlt. Betroffen waren unter anderem die Fallschirme.
Die Hälfte aller Nasa-Standorte ist de facto geschlossen
Das europäische Navigationssystem Galileo wird im Auftrag der Europäischen Union in zwei privatwirtschaftlich betriebenen Kontrollzentren im bayerischen Oberpfaffenhofen und im italienischen Fucino gesteuert. Man habe alle Maßnahmen ergriffen, um einsatzbereit zu bleiben, heißt es bei der zuständigen EU-Agentur in Prag. Im vergangenen Jahr hatte Galileo mit einem tagelangen Ausfall zu kämpfen. Nun muss das System zeigen, dass es nicht durch die Folgen der Corona-Pandemie in die Knie gezwungen werden kann.
Auf der anderen Seite des Atlantiks, bei der US-Weltraumbehörde arbeiten – Stand Mittwochmittag – neun von achtzehn Standorten nur noch mit Minimalbesetzung. Die Mars-Mission der Amerikaner, das Roboterauto "Perseverance", dessen Start ebenfalls für diesen Sommer geplant war, sei derzeit aber noch im Plan, heißt es. Dagegen ruht derzeit die Arbeit am Bau der Schwerlastrakete SLS, dem Kernstück des amerikanischen Mondprogramms. Auch die Arbeiten an der zugehörigen Crewkapsel "Orion" sind vorerst gestoppt.
"Wir Astronomen können weiterhin geduldig sein"
Ebenfalls zu Verzögerungen kommt es beim amerikanisch-europäischen Gemeinschaftsprojekt "James Webb"-Teleskop. Das mit mindestens 8,8 Milliarden Dollar teuerste Weltraumobservatorium der Geschichte sollte eigentlich im kommenden März abheben. Doch nun hat die Nasa einstweilen alle Arbeiten eingestellt. "Eine Verzögerung des Starts ist absolut richtig, wenn dadurch die Menschen, die an der Mission arbeiten, sicher bleiben", zitiert "Nature" den Exoplanetenforscher Zachory Berta-Thompson von der University of Colorado Boulder. "Wir Astronomen können weiterhin geduldig sein."

Arbeiter mit "James Webb"-Teleskop (Archivbild): Das Projekt hat seit Jahren mit steigenden Kosten und Terminverschiebungen zu kämpfen.
Foto: KEVIN LAMARQUE/ REUTERSAuf der Internationalen Raumstation (ISS) geht die Arbeit trotz der Coronakrise einstweilen weiter. Am 9. April soll die Mission "Sojus MS-16" mit drei Raumfahrern aus Kasachstan starten. Dabei sollen besonders strenge Regeln für die zweiwöchige Quarantäne gelten. Zuschauer dürfen für den Start nicht vor Ort sein, selbst die Familien der Raumfahrer können sich nicht wie üblich verabschieden .
The main and the backup crews of #SoyuzMS16 spacecraft arrived at the Baikonur launch site to complete their preparations for the mission.
— РОСКОСМОС (@roscosmos) March 24, 2020
🚀 The launch of the Soyuz MS-16 on the Soyuz-2.1a launch vehicle is scheduled for April 9 at 08:05 UTC pic.twitter.com/84sOxICf2D
Währenddessen will sich das private US-Raumfahrtunternehmen SpaceX einstweilen nicht von der Coronakrise behindern lassen. Zwar wurde der Start des argentinischen Erdbeobachtungssatelliten "Saocom 1B" mit einer "Falcon 9"-Rakete gerade verschoben. Das geschah aber auf Kundenwunsch. SpaceX selbst legt weiter ein hohes Tempo vor: Am texanischen Standort Boca Chica werden die Prototypen des Riesenraumschiffs "Starship" zusammengeschweißt,
Und am Kennedy Space Center am Cape Canaveral in Florida bereitet die Firma gerade den Start ihrer ersten mit den Astronauten Bob Behnken und Doug Hurley besetzten Crewkapsel zur ISS vor. Er ist derzeit für Mitte Mai geplant. Ende Juli sollte dann bereits die nächste Kapsel mit vier Raumfahrern an Bord zur ISS starten. Ob sich der Plan halten lässt, wird sich zeigen. Am Kennedy Space Center gab es bereits einen Covid-19-Fall, im SpaceX-Hauptquartier im kalifornischen Hawthorne sogar zwei .
China startet bereits wieder Raketen
SpaceX-Chef Elon Musk hat einstweilen 1200 Beatmungsgeräte für kalifornische Krankenhäuser in China gekauft und lässt diese nun verteilen. Außerdem denkt Musk darüber nach, ob SpaceX und Tesla nicht bei Bedarf selbst in die Fertigung von Beatmungsgeräten einsteigen könnten.
Kleinere US-Raumfahrtfirmen hat die Krise dagegen bereits hart getroffen. So hat die Firma Bigelow Aerospace, die aufblasbare Weltraummodule baut und eines derzeit an der ISS testet, gerade alle rund 70 Mitarbeiter entlassen . US-Weltraumanalysten gehen davon aus, dass damit das endgültige Aus für das Unternehmen gekommen ist.
In China, wo zumindest die erste Welle der Sars-CoV-2-Infektionen weitgehend vorüber zu sein scheint, laufen die Weltraumaktivitäten inzwischen wieder an. Eine Rakete vom Typ "Langer Marsch 2C" brachte am Dienstag von einem Weltraumbahnhof in der Provinz Sichuan drei Spionagesatelliten erfolgreich ins All . Wenige Tage zuvor war der Start einer neuen Rakete des Typs "Langer Marsch 7A" allerdings gescheitert . Zu den Hintergründen gab es keine Information.