"Deep Impact" Im Visier der Kometen-Kanone
Während die Amerikaner in der Nacht zum 4. Juli den Feiern zum Unabhängigkeitstag entgegenschlummern, zündet die Nasa ein himmlisches Feuerwerk, wie es die Welt noch nicht gesehen hat. Ihre Raumsonde "Deep Impact" wird ein 372 Kilogramm schweres Geschoss ausklinken - den Impaktor - und auf den Kometen 9P/Tempel 1 lenken. Das Projektil wird nach kurzem Flug mit rasanten 37.000 Kilometern pro Stunde auf der Tagseite des Kometen einschlagen. Die Aufprallenergie entspricht einer Sprengkraft von fast fünf Tonnen TNT und könnte den Himmelskörper bis zu fünfzig Meter tief aufreißen.
Die Sonde selbst kann das Spektakel von einem Logenplatz aus verfolgen. Zum Zeitpunkt des Aufschlags rast sie in lediglich 500 Kilometer Entfernung am Kometenkern vorbei und verfolgt dreieinhalb Minuten lang die Kollision und ihre Nachwirkungen. Anschließend soll sie weitere zehn Minuten lang in den frischen Krater hineinspähen, bis sie sich so weit entfernt hat, dass das Einschlaggebiet aus ihrem Blickfeld gerät. Sie funkt ihre Messdaten zur Erde, genau wie der Impaktor, der eine eigene Sendeanlage an Bord hat. Die Antennen des Deep-Space-Networks in Kalifornien und Australien haben die Aufgabe, den Datenstrom aufzufangen.
Auch die Weltraumteleskope Hubble, Chandra, Spitzer und XMM-Newton sollen ihren Blick auf das Ereignis richten. Vom Boden aus werden sowohl Profis als auch Amateure den Kometen im Visier haben. Es ist wichtig, jede Veränderung vor, bei und nach dem Einschlag zu registrieren. Landet die Sonde einen Volltreffer, dann könnte die Explosionswolke Tempels Helligkeit vervielfachen. War er vorher ein nebliges Objekt neunter oder zehnter Größenklasse, so könnte nach dem Aufprall seine Leuchtkraft durchaus die 6. Größe erreichen.
Die Idee eines künstlich herbeigeführten Aufschlags auf einem Kometen geht auf das Jahr 1996 zurück, als Alan Delamere, damals bei Ball Aerospace, und Michael Belton vom National Optical Astronomy Observatory der Nasa (NOAO) eine entsprechende Mission vorschlugen. Mit von der Partie war Michael A'Hearn von der University of Maryland. Verschiedene Gründe führten zur Ablehnung des Antrags. Unter anderem hielt die Weltraumbehörde das Zielobjekt, den Himmelskörper 3200 Phaethon, für ungeeignet. Auch wollte niemand so recht glauben, dass das Geschoss den Kometen tatsächlich treffen würde.
Die Forscher ließen sich jedoch nicht beirren und zwei Jahre später versuchte es A'Hearn erneut. Mit einer Reihe von Änderungen am Missionsplan konnten er und sein Team die Nasa überzeugen. Unter anderem sollten die Steuerung und der Antrieb des Impaktors nun komplett automatisiert werden; als Zielkomet war jetzt der aktive kurzperiodische Tempel 1 vorgesehen. Das Geld wurde 1999 bewilligt: 267 Millionen Dollar nach heutigem Stand. A'Hearn wurde zum Chef der Mission ernannt. So viel zur Entstehung des Projekts - aber warum wollen die Wissenschaftler überhaupt einen Kometen unter Beschuss nehmen? Die meisten Forscher nehmen heute an, dass es sich bei diesen Himmelskörpern um gefrorene Überreste aus dem Geburtsnebel unseres Sonnensystems handelt.
Reise in die Vergangenheit
Damit ähneln die Kometen urtümlichen Zeitkapseln, die einzigartige Informationen über die Entstehung des Planetensystems bergen. Durch Beobachtung konnten die Astronomen im Lauf der Jahrhunderte einiges über sie lernen. Anfangs nahmen sie die Schweifsterne nur mit bloßem Auge ins Visier, später mit Teleskopen und schließlich mit unbemannten Raumsonden. Zuletzt raste im Januar 2004 die Nasa-Sonde Stardust am Kometen 81P/Wild 2 vorbei und sammelte Staubproben und Gase aus dessen Hülle (der "Koma"). An Bord einer Rückkehrkapsel soll die kostbare Fracht Anfang 2006 in der Wüste von Utah landen. Die Kameras an Bord der Sonden offenbarten im Innern der Koma kleine, vereiste Kerne mit dunklen und rauen Oberflächen.
Die bisherigen Beobachtungen beschränkten sich notgedrungen auf das Äußere der Kometenkerne. Woraus aber besteht ihr Inneres? Wie ist ihr struktureller Aufbau? Deep Impact wird in mehrfacher Hinsicht zu unserem Verständnis von Kometen beitragen: Durch die Beobachtung des Geschosseinschlags, durch die chemische Analyse der aufgewirbelten Trümmerwolke und der Innenflächen des frisch aufgeworfenen Kraters sowie durch die Untersuchung der Gase, die nach dem Aufprall aus dem Kometen austreten. Diese Messungen werden es endlich erlauben, das Innenleben eines Kometenkerns mit seiner Oberfläche zu vergleichen. Spektroskopische Untersuchungen sollen zum Beispiel zeigen, ob der Kometenkern innen aus Schichten besteht oder ob er einheitlich zusammengesetzt ist.
Bei der Deep-Impact-Mission geht es also um nichts anderes als um die wahre Natur der Kometen. Der Harvard-Astronom Fred Whipple vermutete im Jahr 1950, dass Kometenkerne feste Körper aus gefrorenen Substanzen wie Wasser, Ammoniak, Methan, Kohlendioxid und Kohlenmonoxid sind, vermengt mit Meteoritenstaub. Nähert sich ein solch eisiger Geselle der Sonne, dann heizt ihre Strahlung die gefrorenen Gase auf. Diese verdampfen sofort, bilden die Kometenkoma und in einigen Fällen einen langen, eindrucksvollen Schweif.
Breit und flach oder schmal und tief?
Missionsleiter A'Hearn sieht den wichtigsten Beitrag von Deep Impact jedoch woanders: Endlich würden wieder aktive Experimente mit planetaren Körpern aufgegriffen, statt sich nur auf passive Beobachtungen und mikroskopische Analysen zu beschränken. Vergleichbares geschah zuletzt in den frühen 1970er Jahren, als Apollo-Astronauten Mondbeben erzeugten und die daraus resultierenden seismischen Erschütterungen untersuchten, um den inneren Aufbau unseres Monds zu enthüllen.
Laut A'Hearn ist unser Wissen über die physikalischen Eigenschaften von Kometenkernen noch derart begrenzt, dass jede neue Erkenntnis einen gewaltigen wissenschaftlichen Gewinn darstellt. "In erster Linie interessieren wir uns für die Unterschiede zwischen der Kernoberfläche, die im Lauf von Jahrmilliarden verändert wurde, und dem Innern des Kerns", erläutert er.
Lesen Sie im 2. Teil: Was genau geschehen wird, wenn der Impaktor auf dem Kometen einschlägt - und wie die Sonde vor einer Kollision gerettet werden soll ...
Die Deep-Impact-Spezialisten erwarten einen kreisförmigen Einschlagkrater, wissen aber nicht genau, welche Ausmaße er am Ende haben wird. Hat der Kern nur einen losen Zusammenhalt, könnte beim Einschlag viel Material herausgeschleudert werden, dessen Hauptanteil auf die Oberfläche des Kometen zurückfallen und sich dort in Form einer ausgedehnten Decke niederschlagen würde. Für diesem Fall erwarten die Wissenschaftler einen Kraterdurchmesser zwischen 60 und 240 Metern und ein Verhältnis von Durchmesser zu Kratertiefe von 4:1.
Bei einem harten und unnachgiebigen Kern rechnen die Forscher mit wenig Auswurfmaterial. Der Durchmesser des Kraters könnte dann gerade einmal zehn Meter betragen, mit einem Durchmesser-Tiefen-Verhältnis von 3:1. Ist das Kernmaterial porös und fängt die Aufschlagenergie weit gehend durch Kompression auf, könnte der Krater sogar noch kleiner ausfallen. In diesem Fall wäre das Einschlagbecken im Verhältnis zum Durchmesser sehr tief und wiese extrem steile Wände auf.
Die Art des entstehenden Kraters kann also viel über den Aufbau des Kerns verraten - zumindest, was seine äußeren Schichten betrifft. Solche Informationen lassen wiederum Rückschlüsse auf die Entstehung des Kometen zu: Ist der Kern weich und lose, so würde das die These stützen, dass sich die Schweifsterne aus mehr oder weniger unverändertem Material des solaren Urnebels zusammensetzen. Ist das Material hart, so würde das darauf hindeuten, dass der Kometenkern nicht mehr im ursprünglichen Zustand ist, sondern sich durch innere Prozesse verfestigte. Denkbar wäre auch, dass die äußere Kruste aus verändertem Material besteht, während der innere Kern lupenreinen Urstoff beherbergt. Herausforderung für die Technik Größe und Geschwindigkeit der Auswurfwolke werden überdies Aufschluss über die Dichte des Kometenkerns geben. Nachdem die Forscher mit Hilfe der Kameras an Bord von Deep Impact die Größe des Kerns bestimmt haben, vermögen sie anhand der Dichte auch seine Masse zu berechnen.
An Bord: technologische Multitalente
Sowohl die Sonde als auch der Impaktor verfügen über eigene Messinstrumente und eine eigene Datenübertragung. Beide wurden bei Ball Aerospace im US-Bundesstaat Colorado gebaut. Die Instrumente müssen drei Aufgaben erfüllen: die Sonde in die Nähe von Tempel 1 lavieren, den Impaktor auf Kollisionskurs zum Kometenkern bringen und die wissenschaftlichen Messungen vor, während und nach dem Einschlag gewährleisten.
Die Sonde trägt die beiden Hauptkameras, nämlich das High-Resolution-Instrument (HRI) sowie das Medium-Resolution-Instrument (MRI). Mit einem Spektrometer können Moleküle und chemische Elemente im Kometenmaterial identifiziert werden, außerdem lässt sich die mineralogische Zusammensetzung im Innern des Kometenkerns und an seiner Oberfläche untersuchen. Die MRI-Weitwinkeloptik ist in erster Linie ein Hilfssystem für den Fall, dass HRI ausfallen sollte. Außerdem ist MRI für die Navigation zuständig, vor allem in den letzten Tagen vor dem Einschlag. Mit seinem großen Gesichtsfeld wird es den Kometenkern dann leicht auffinden können.
Nach dem Ausklinken des Impaktors wird die Sonde ihr Triebwerk zünden, um einer Kollision mit dem Tempel-Kometen zu entgehen. Das Ausweichmanöver ist so gewählt, dass sie in 500 Kilometer Abstand am Kometen vorbeifliegt - genügend weit entfernt, um keinen Schaden zu erleiden, aber gleichzeitig nah genug dran, um den Krater gut fotografieren zu können. Vorsichtshalber gehört auch ein Staubabwehrschild zur Ausrüstung der Sonde. Nach dem Vorbeiflug wird HRI den sich entfernenden Kometen weitere sechzig Stunden lang beobachten. Das Bordteleskop soll unter anderem nach größeren Trümmern spähen, die infolge des Aufschlags den Kern umschwirren könnten.
Auf dem Impaktor selbst befindet sich nur ein einziges wissenschaftliches Instrument, der Impactor-Targeting-Sensor (ITS). Er ähnelt dem MRI, verfügt allerdings nicht über dessen Farbfilter. Der ITS soll zusammen mit einem kleinen Hydrazin-Triebwerk den Impaktor zielsicher zum Kern führen. In etwa zwanzig Kilometer Abstand, bevor alle Instrumente in ein Bombardement von Staubpartikeln geraten, wird ITS die schärfsten Bilder eines Kometenkerns schießen, die es je gab. Die Bildauflösung liegt dann bei etwa zwanzig Zentimetern pro Pixel. Nur die europäische Rosetta-Sonde und ihr Lander Philae dürften im Jahr 2014 einen noch besseren Blick auf den Kometen Tschuriumov-Gerasimenko haben.
Amateurastronomen als Missionshelfer
Die großen Weltraumteleskope werden zwar erheblich zum wissenschaftlichen Erfolg von Deep Impact beitragen, doch sollen auch wichtige erdgebundene Messungen stattfinden. Seit vielen Monaten läuft eine Kampagne, um die Großteleskope bei der Kometenjagd zu koordinieren. Zum Glück wird Tempel 1 im Juli so hell sein, dass auch Amateurastronomen ihn vor, während und nach dem Impakt kontinuierlich überwachen können. Ihre Beobachtungen sind ein unverzichtbarer Teil der Gesamtmission; die Forscher planen sie fest ein.
Zwar weiß niemand genau, wie Tempel 1 auf den Beschuss reagieren wird, aber kein beteiligter Forscher glaubt ernsthaft, dass der Komet zerbricht. "Die Kollision ist vergleichbar mit dem Zusammenprall eines 18-Tonnen-Trucks und einer Fliege", sagt der Nasa-Wissenschaftler Donald Yeomans. Der Einschlag des Impaktors wird die Geschwindigkeit des Kometen nur um etwa 0,4 Millimeter pro Stunde verändern und seinen sonnennächsten Punkt gerade einmal zehn Meter an unser Zentralgestirn heranrücken. Die Dauer seines Sonnenumlaufs wird sich um weniger als eine Sekunde verringern. Das herausgeschleuderte Material verbleibt im Kometenorbit und gelangt nicht auf die Erdbahn.
Seit einigen Jahren wird verstärkt über Maßnahmen gegen wirklich "bösartige" Kometen und Asteroiden diskutiert. Die Frage lautet: Was kann die Menschheit gegen Himmelskörper tun, die sich auf Kollisionskurs mit der Erde befinden? Zwar könne Deep Impact solche Grundfragen der "planetaren Verteidigung" nicht beantworten, meint Missionsleiter A'Hearn, aber: "Für eine gute Verteidigungsstrategie muss man möglichst viel über den Angreifer wissen - in diesem Fall über seine physikalischen Eigenschaften. Unsere Mission kann manche dieser Fragen klären." Um die Erde eines Tages wirkungsvoll zu schützen, werden solche Himmelskörper künftig von ähnlichen Sonden angesteuert werden - zum Beispiel im Rahmen der japanischen Hayabusa-Mission.
Die Deep-Impact-Mission wird wichtige Erfahrungen für solche Flüge liefern. Aus Sicht der Öffentlichkeit besteht ihr größter Nutzen darin, den Weg für eine künftige Kometen- und Asteroidenabwehr zu bereiten. Die Wissenschaftler hingegen hoffen in erster Linie darauf, neue Erkenntnisse zur Entstehung unseres Sonnensystems zu erlangen. Aus welchen Gründen auch immer: Wir alle werden um den 4. Juli herum in Richtung Tempel 1 starren. Hoffen wir auf einen klaren Himmel!
Von Elisabeth Warner (Direktorin am Observatorium der University of Maryland) und Greg Redfern, Astronomie heute