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Satellit auf Crash-Kurs: "Rosat" stürzt bald auf die Erde

Foto: dapd/ EADS Astrium

Deutscher Satellit "Rosat" Feuerball aus Schrott stürzt auf die Erde

Wo und wann der Satellit aufschlagen wird? Niemand kann diese Fragen derzeit beantworten. Erst Stunden vor dem Aufprall wissen die Forscher mehr. Der ausrangierte deutsche "Rosat" stürzt in wenigen Tagen auf die Erde - und weite Teile Deutschlands zählen zur möglichen Crash-Zone.

Berlin - Vielleicht hat Jan Wörner Glück. Genau genommen ist es sogar ziemlich wahrscheinlich, dass er es hat. Wenn das ausgediente deutsche Röntgenobservatorium "Rosat" irgendwann zwischen dem 20. und dem 25. Oktober mit Getöse auf die Erde stürzt, dann stehen die Chancen gut, dass es irgendwo auf Nimmerwiedersehen verschwindet - in den Tiefen des Ozeans, in der Weite der Sahara. Irgendwo, wo es niemanden stört, so wie unlängst geschehen beim schrottreifen Nasa-Satelliten "UARS": Der rasselte ganz und gar unspektakulär bei Amerikanisch Samoa in den Pazifik.

Nun hofft Wörner, Chef des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), auf ein ähnlich unkompliziertes Ende seines Schützlings "Rosat". Sicher sein kann sich der Raumfahrtmanager freilich nicht, denn niemand kann den Ausgang der kosmischen Lotterie vorhersagen. Zwar beträgt das Risiko, dass Menschen durch den abstürzenden Satelliten zu Schaden kommen, laut Wörner nur 0,04 Prozent. Doch solche statistischen Wahrscheinlichkeiten dürften bestenfalls nüchterne Mathematiker und Ingenieure beruhigen.

Bis zu 1,6 Tonnen schwere Trümmerstücke könnten den feurigen Ritt des Satelliten durch die Erdatmosphäre überstehen - und dann mit 400 Kilometern pro Stunde am Boden aufschlagen. Im Extremfall würden bis zu 30 Teile in einem 80 Kilometer breiten Korridor vom Himmel regnen. Vor allem die optischen Systeme von "Rosat", zum Teil gefertigt aus hochgradig feuerfesten Materialien wie der Glaskeramik Zerodur, werden wohl nicht verglühen.

In den letzten Stunden hilft nur Daumendrücken

Wegen seiner Bahnneigung wird der Satellit irgendwo zwischen 53 Grad südlicher und 53 Grad nördlicher Breite auf die Erde stürzen. Damit sind das nördliche Niedersachsen, Hamburg, Schleswig-Holstein und weite Teile Mecklenburg-Vorpommerns fein raus, und Helgoland allemal: Sie alle liegen nördlich des möglichen Einschlaggebiets. Doch viel mehr Gewissheit gibt es nicht, das wird auch noch tagelang so bleiben.

Weder das Absturzdatum noch die Crash-Region lassen sich verlässlich vorausberechnen. Es gibt zu viele Unbekannte: Der unregelmäßig geformte 2,4-Tonnen-Bolide mit seinen Antennen und Sonnensegeln torkelt chaotisch durch die äußere Atmosphäre. Die Luftschichten dort dehnen sich je nach Aktivität der Sonne jeweils unterschiedlich stark ins All aus. Damit ändert sich auch stetig ihre Bremswirkung auf den Satelliten.

Selbst einen Tag vor dem Absturz liegt die Unsicherheit bei der Berechnung des Crash-Zeitpunkts bei plus/minus fünf Stunden. Das sind für den todgeweihten Satelliten sechseinhalb Erdumläufe. Weil sich unser Planet so rasend schnell unter "Rosat" wegdreht, können selbst kleine Änderungen der Parameter den Absturzort um Hunderte Kilometer verschieben. Erst unmittelbar vor dem Aufschlag könnten Bahnverfolgungsstationen des amerikanischen Space Surveillance Network die Daten für eine genaue Prognose liefern.

Zu den Beobachtungsstationen zählt auch das "Tira"-Radar des Fraunhofer-Instituts für Hochfrequenzphysik und Radartechnik in der Nähe von Bonn. International ausgetauscht werden die gesammelten Daten über das sogenannte Inter-Agency Space Debris Coordination Committee  (IADC), in dem sich rund ein Dutzend Weltraumorganisationen zusammengeschlossen haben.

In den entscheidenden Stunden heißt es dann: Daumen drücken. Die Chance, dass ein Trümmerteil Deutschland trifft, gibt das DLR mit eins zu 580 an. Doch Statistik ist in diesen Dingen nicht alles. "Unsere Verantwortung ist, offen und transparent mit dem Thema umzugehen", sagt DLR-Chef Wörner.

Sein Haus bewegt sich in der "Rosat"-Debatte zwischen zwei Extremen: Man darf sich nicht dem Verdacht aussetzen, den bevorstehenden Absturz mit all seinem Aufregerpotential zu bagatellisieren. Ebensowenig darf man die geringe Gefahr übertrieben darstellen. Keine leichte Aufgabe - eine spezielle "Rosat"-Website  hat das Zentrum gerade ins Netz gestellt. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) erwägt außerdem, eine Telefonhotline für besorgte Bürger einzurichten.

Gleitsichtbrillen dank "Rosat"

Schuld an dem aktuellen Schlamassel ist eines der schlimmsten Unglücke der Raumfahrtgeschichte, der Absturz der US-Raumfähre "Challenger" am 28. Januar 1986. Denn eigentlich sollte "Rosat" mit dem Shuttle ins All gebracht werden. Durch die "Challenger"-Explosion wurden die Pläne aber umgeworfen. Das Observatorium wurde schließlich am 1. Juni 1990 mit einer "Delta 2"-Rakete in eine 585 Kilometer hohe Umlaufbahn gebracht. Bereits zu diesem Zeitpunkt war allerdings klar, dass der Satellit nie wieder kontrolliert zur Erde zurückkehren würde, sondern in einem Feuerball.

"Rosat" kann auf eine beeindruckende wissenschaftliche Karriere zurückblicken und hat durch jahrelange Beobachtung Zehntausende bis dahin unbekannte Röntgenquellen im All entdeckt. Forscher konnten mit seiner Hilfe auch nachweisen, dass der Mond die Röntgenstrahlung der Sonne reflektiert. Aus den gesammelten Daten sind über die Jahre Tausende Fachpublikationen entstanden.

Auch das Alltagsleben habe der Satellit bereichert, sagt Wörner. Das für den Spiegel des Röntgenobservatoriums entwickelte Schleifverfahren komme heute bei der Fertigung von Gleitsichtbrillen zum Einsatz. Alles in allem sei der Satellit also "unglaublich erfolgreich" gewesen.

Nun steht der Absturz unmittelbar bevor - wegen der geringen Sonnenaktivität der vergangenen Jahre deutlich später als nach dem offiziellen Missionsende im Februar 1999 vermutet. "Ich persönlich bin nicht besorgt", sagt Wörner. Wer dem Mann allerdings partout nicht glauben will, der sollte über einen Kurzausflug nach Helgoland nachdenken.

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