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"Philae": Aufwachen zur Kometenlandung

Foto: AFP / Esa Medialab / C.Carreau

Kometenlander "Philae" wieder wach Kartoffel, wir kommen!

Ein dreibeiniger Würfel namens "Philae" soll im November auf einem fernen Kometen aufsetzen. Von Deutschland aus haben Wissenschaftler die Landeeinheit der Sonde "Rosetta" aufgeweckt.

Matt Taylor trägt schon das eine oder andere Tattoo am Körper. Und doch muss es eine recht schmerzhafte Prozedur gewesen sein, als er sich Mitte des Monats in einem britischen Studio seine neueste Verzierung stechen ließ (siehe Video unten). Seitdem verschönert ein eher ungewöhnliches Motiv seinen rechten Oberschenkel. Gut handtellergroß sind die europäische Kometensonde "Rosetta" und deren Landegerät "Philae" zu sehen. Die Gerätschaften sind im Anflug auf den Kometen Tschurjumow-Gerasimenko - und Taylor gehört zum zuständigen Wissenschaftsteam bei der Europäischen Weltraumorganisation (Esa).

Am Freitag ist die Mission einen wichtigen Schritt vorangekommen: Die Landeeinheit "Philae" hat sich am frühen Nachmittag nach mehr als zweieinhalb Jahren Winterschlaf zurückgemeldet. Im Kölner Kontrollzentrum des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) jubelten Mitarbeiter und Zuschauer über diese Nachricht von der Muttersonde. "Rosetta" hatte sich im Januar selbst aufgeweckt, "Philae" ist nun mit Steuerkommandos hochgefahren worden. Dabei hat die etwa würfelförmige Landeeinheit neue Software für den 8-Megahertz-Computer an Bord bekommen.

Die Systeme waren zuvor aus Energiespargründen ausgeschaltet gewesen, als das Raumfahrzeug weitab von der Sonne seine Bahn zog. "Philae" musste mit Hilfe der schlappen Solarzellen trotzdem weiter beheizt werden. Jetzt liefern die Module wieder genug Energie - und "Rosetta" und der Lander können sich bereit machen für das Rendezvous mit dem Kometen Tschurjumow-Gerasimenko. Die Landung auf dem kartoffelförmigen Himmelskörper ist für den 10. November geplant.

Wie gut funktionieren Eisschrauben und Harpunen?

Insgesamt 21 Instrumente auf "Rosetta" und "Philae" sollen den rund vier Kilometer großen Kometen ausspähen. Es geht um fundamentale Fragen, die nicht nur für eine Handvoll Wissenschaftler interessant sind: Wer einen Kometen untersucht, blickt auf Material vom Anfang des Sonnensystems vor 4,6 Milliarden Jahren. So kann man auf Hinweise hoffen, warum etwa die Planeten so aussehen, wie sie aussehen. Und nicht nur das: Womöglich haben Einschläge von Kometen nicht nur Wasser zur Erde gebracht, sondern die Bausteine des Lebens.

Die Suche auf Tschurjumow-Gerasimenko soll bei der Entschlüsselung dieser Rätsel helfen. Daher auch die Namen der Gerätschaften: "Rosetta" erinnert an den Stein, der dem französischen Ägyptologen Jean-François Champollion einst bei der Decodierung der Hieroglyphen half. Und "Philae" erinnert an einen Obelisken, der - gefunden auf einer Insel im Nil - dabei ebenfalls nützlich war.

Der dreibeinige Lander "Philae" soll dem Kometen mit dem schwierig auszusprechenden Namen seine Geheimnisse aus nächster Nähe entlocken. Fallschirme und Airbags braucht er für das Aufsetzen auf dem kleinen Körper nicht. Doch das Gerät muss sich gut festhalten können: Eisschrauben und Harpunen sollen das möglich machen.

Zweieinhalb Tage bis sechs Monate lang soll das System den Kometen erforschen. So etwas hat es bisher noch nicht gegeben. Das Problem: "Wir wissen bisher überhaupt nicht, wie die Oberfläche aussieht", sagt DLR-Projektleiter Stephan Ulamec im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE.

Als man die Landeeinheit konzipiert habe, sei man von einigermaßen festem Eis mit Staub darin ausgegangen. Doch vielleicht bestehe die oberste Schicht des Kometen aus Pulverschnee oder sehr feinem Regolith. Besteht also das Risiko, dass "Philae" sich nicht sichern kann und ins All abprallt? Ulamec sagt, bei einer staubigen Oberfläche funktionierten die Harpunen in der Tat schlechter. Gleichzeitig sei keine so starke Verankerung nötig - weil "Philae" beim Bohren nach Bodenproben weniger Widerstand zu überwinden habe und damit leichter festzuhalten sei.

"Für das bevorstehende Abenteuer gerüstet"

In den kommenden Wochen und Monaten werden die Wissenschaftler erfahren, wie Tschurjumow-Gerasimenko aussieht. Gerade hat "Rosetta" zum ersten Mal ihr Ziel erspäht. Forscher unter Leitung des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung in Göttingen haben das Kamerasystem der Sonde in Betrieb genommen. Die Aufnahmen des sogenannten Osiris-Systems sind für Laien ziemlich unspektakulär: Der Komet ist noch nicht einmal als einzelner weißer Punkt sichtbar.

Die Wissenschaftler sind dennoch begeistert: "Nach einer zehnjährigen Reise durchs All unser Ziel endlich vor uns zu sehen, ist ein unbeschreibliches Gefühl", sagt Holger Sierks, der wissenschaftliche Leiter des Kamerateams. "Diese ersten Bilder, die aus einer solch riesigen Entfernung gelungen sind, zeigen uns, dass Osiris für das bevorstehende Abenteuer gerüstet ist." Schon bald werde man verfolgen können, wie die Aktivität des Kometen erwacht. Denn wenn Tschurjumow-Gerasimenko der Sonne näher kommt, wird er aufgeheizt - dadurch wird auch sein staubiger Schweif immer größer.

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Für die aktuellen Aufnahmen waren eine Serie von Belichtungen von 60 bis 300 Sekunden nötig - und ein paar Tricks bei der Bildverarbeitung. Doch schon bald wird "Rosetta" viel mehr sehen. Ab Anfang August soll die Sonde um den Kometen kreisen und ihn kartieren, mit einer Auflösung im Dezimeterbereich. "Bis Mitte Oktober haben wir dann Zeit, Landeort und -strategie festzulegen", sagt Stephan Ulamec vom DLR.

Im November muss "Philae", dann zeigen, was er kann. Damit sich Matt Taylor sein Tattoo nicht umsonst hat stechen lassen - und "Rosetta" und ihr Lander ihrem geheimnisvollen Ziel möglichst viele Informationen entlocken können.

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