Drohender Absturz Problem-Satellit beunruhigt Bundesregierung

Der deutsche Satellit "Rosat" taumelt ohne Steuerung durchs All - und steht vor dem Absturz. Nach SPIEGEL-Informationen zeigt eine neue Analyse, dass die Überreste zwischen Oktober und Dezember dieses Jahres auf die Erde prallen könnten. Auch Deutschland liegt auf der Flugbahn.
"Rosat" (grafische Darstellung): "Sehr unwahrscheinlich, dass Menschen getroffen werden"

"Rosat" (grafische Darstellung): "Sehr unwahrscheinlich, dass Menschen getroffen werden"

Foto: AP/ NASA

Wissenschaftlich gesehen, daran besteht kein Zweifel, war das fliegende Observatorium ein Erfolg. Rund 125.000 bis dahin unbekannte Röntgenquellen im All hat der deutsch-britisch-amerikanische Forschungssatellit "Rosat" im Rahmen seiner achteinhalbjährigen Spähkarriere entdeckt. Dazu kommen noch weitere 479 Funde im Extrem-Ultraviolett-Bereich. Mehr als 700 Wissenschaftler generierten aus den gesammelten Daten Tausende Fachpublikationen, zum Teil noch Jahre nach dem Missionsende. So steht es in den Statistiken des Max-Planck-Instituts für extraterrestrische Physik in Garching.

Allerdings gibt es auch weit weniger schmeichelhafte Statistiken zu "Rosat". Und die sorgen aktuell für Debatten in Berlin. Es geht um die Frage, ob der Satellit schon in wenigen Monaten für Schäden auf der Erde sorgen wird. Der Bundesregierung liegt nach SPIEGEL-Informationen eine Analyse vor, wonach Überreste in einem Zeitfenster von 80 Tagen zwischen Oktober und Dezember 2011 auf die Erde prallen könnten.

Dornier

"Rosat", einst gebaut unter Führung der Firma in Friedrichshafen, kann nämlich schon seit längerer Zeit nicht mehr gesteuert werden. Auf seiner Bahn in aktuell 370 Kilometern Höhe gibt es aber noch feinste Reste der Atmosphäre. Deswegen kommt der Flugkörper der Erde immer näher. Ein Absturz ist nur eine Frage der Zeit. Vor allem die optischen Systeme an Bord könnten den furiosen Ritt durch die niedrigeren Schichten der Atmosphäre wohl überstehen - und mit einer Geschwindigkeit von 400 Kilometern pro Stunde auf die Erde krachen.

Satelliten

Verantwortlich dafür ist die große Menge an Glas- und Keramikbauteilen im Inneren des . So ist beispielsweise der Werkstoff Zerodur an Bord. In abgewandelter Form kommt dieser im Haushalt bei Ceran-Kochfeldern zum Einsatz. Hitzebeständigkeit gehört zu den wichtigsten Eigenschaften der Verbindung. Bei "Rosat" könnte das nun zum Problem werden.

Raumfahrt

Im schlechtesten Fall könnte rund die Hälfte des 2,4 Tonnen schweren Satelliten die Erde erreichen. Im besten Fall werde "Rosat" dagegen vollständig in der Atmosphäre verglühen oder ins Meer stürzen, heißt es derzeit in Berlin. Fielen Teile dagegen auf eine Stadt, könnten die Auswirkungen immens sein. "Es ist sehr unwahrscheinlich, dass Menschen getroffen werden", sagt Jan Wörner, Chef des Deutschen Zentrums für Luft- und (DLR), hingegen SPIEGEL ONLINE. "Dagegen ist ein Lottogewinn deutlich wahrscheinlicher."

Nasa

Und tatsächlich: Ein Blick in die Statistiken des Center for Orbital and Reentry Studies  zeigt, dass regelmäßig Schrott-Satelliten auf die Erde stürzen. Größere Probleme sind nicht aktenkundig. Der schwerste unkontrollierte Absturz war das 69 Tonnen schwere "Skylab" der . Es rumste im Juli 1979 ins australische Niemandsland - weitestgehend folgenlos. Die Kassenwarte der Raumfahrtbehörde mussten nur Finderlohn für ein paar Trümmerstücke in ihren Ausgabenbüchern verbuchen.

Doch was wäre, wenn der Ernstfall eines Absturzes über bewohntem Gebiet nun gerade bei "Rosat" eintritt? Wenn Hightech-Schrott ein Bürohaus in Tokio trifft? Oder die Uferpromenade von Seattle? Oder einen Rentierzüchter in Lappland? Die Wahrscheinlichkeit mag gering sein. Die Folgen, falls doch etwas passiert, wären trotzdem dramatisch. Einer internationalen Vereinbarung zufolge haftet Deutschland für alle Schäden, die weltweit durch einen Absturz entstehen würden.

Gleichzeitig wäre eine Warnung bestenfalls kurz vor dem Einschlag möglich. Das europäische Satellitenzentrum Esoc in Darmstadt verfolgt den Wackelkandidaten made in Germany zwar mit steigender Aufmerksamkeit, je näher er der Erde kommt. Aber der Ort des Aufschlags lässt sich höchstens einige Tage vorher eingrenzen. Auf seiner Bahn überfliegt das ausgediente Röntgenobservatorium übrigens auch Deutschland.

Neue Mission soll Müllabfuhr fürs All bringen - irgendwann

Wer verstehen will, warum "Rosat" überhaupt zum Problem-Satelliten werden konnte, muss sich die Geschichte der Mission ansehen. Eigentlich sollte das Hightech-Gerät nämlich von einem Space Shuttle im All ausgesetzt und später wieder eingefangen werden. Nach der Explosion der Raumfähre "Challenger" im Januar 1986 wurden die Planungen jedoch umgestellt. "Rosat" sollte nun auf einer Rakete ins All reiten. Im Juni 1990 war es schließlich soweit: Eine "Delta II" hob vom Weltraumbahnhof Cape Canaveral ab und setzte den Satelliten in rund 580 Kilometern Höhe aus.

Anschließend absolvierte "Rosat" brav sein Forschungsprogramm, spähte Neutronensterne, Galaxiehaufen und Pulsare aus. Dann begann nach und nach die Technik zu versagen. Steuerungskreisel fielen aus, der Gasvorrat an Bord ging zur Neige. Am 12. Februar 1999 wurden dann schließlich die Geräte des Forschungs-Opas ausgeschaltet. Seitdem düst "Rosat" einsam durchs All. Nicht ansprech- und schon gar nicht steuerbar.

Könnte man den Satelliten nun nicht einfach abschießen, wie es sowohl die USA als auch China mit - vermeintlich - störrischen All-Objekten getan haben? Diese Möglichkeit sei diskutiert und verworfen worden, heißt es beim DLR. Man habe zwischenzeitlich auch überlegt, den Satelliten mit regelmäßigen Laserpulsen aus dem Orbit zu kegeln. Doch auch diese Option für ein kontrolliertes Ende habe man nicht wählen können, sagt Vorstandschef Wörner: "Wir haben dafür nicht die Ausstattung."

Seit einiger Zeit arbeite das DLR aber einer Art Müllabfuhr fürs All. "Deos" soll die Mission heißen. Sie könnte dafür sorgen könnte, dass sich eine kritische Situation wie bei "Rosat" nicht noch einmal ergibt. Irgendwann.

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