Die ersten Bilder des »Webb«-Teleskops Ein neues Kapitel in der Erkundung des Universums

Webb-Aufnahme des Carinanebels
Foto: Space Telescope Science Institute Office of Public Outreach / ESA / CSA / STScI / NASAAus 1,5 Millionen Kilometern Entfernung hat das James-Webb-Weltraumteleskop begonnen, Beobachtungsdaten ans Space Telescope Science Institute in Baltimore zu senden. Auf einer lang im Voraus angekündigten Bilderschau hat die US-Weltraumagentur Nasa jetzt der Öffentlichkeit einen ersten Einblick in Aufnahmen des Instruments erlaubt. Für Astronomen öffnet sich damit ein neues Kapitel in der Erkundung des Universums.
Das Webb ist ein Gerät der Superlative. Es ist das zugleich leistungsstärkste und teuerste Teleskop der Astronomie. Es wird tiefer in die Vergangenheit des Universums blicken können als alle Vorgänger, und es ist mit einer 6,5-Meter-Schüssel ausgestattet – dem mit Abstand größten Spiegel, der je im Weltall stationiert worden ist.
Nach dem spektakulären Erfolg des Hubble-Teleskop in den 1990er-Jahren hatte es die Nasa eilig, einen noch leistungsfähigeren Nachfolger auf den Weg zu schicken. Die Schwierigkeiten wurden dabei zunächst weit unterschätzt. Zum Preis von weniger als einer Milliarde Dollar glaubten die Nasa-Planer das neue Teleskop schon 2007 ins All schießen zu können. Ende letzten Jahres war es dann endlich so weit – mit 14 Jahren Verspätung. Die Kosten hatten sich inzwischen auf rund 10 Milliarden Dollar mehr als verzehnfacht.
Vier Bilder aus 70 möglichen Motiven
Entsprechend hoch war der Druck, die mittlerweile enormen Erwartungen an das neue Teleskop zu erfüllen. Die Nasa-Führung tüftelte, zusammen mit PR-Spezialisten, ein Programm von Himmelsregionen zusammen, die als erste ins Visier genommen werden sollten, um die Leistungsfähigkeit des Instruments möglichst augenscheinlich unter Beweis zu stellen. Die Vorgabe: Die ersten Bilder sollten farbenprächtig und vielfältig sein, sie sollten ein möglichst großes Spektrum der mit Webb möglichen Themenfelder abdecken und dabei insbesondere Einblicke in die drei großen Kernaufgaben der Webb-Mission erlauben: das Studium der Sternentstehung, die Untersuchung von Exoplaneten und den Vorstoß in die Frühzeit des Universums.
Unter rund 70 möglichen Motiven wählte das Nasa-Team vier Bilder und ein Spektrum aus. Die Liste der untersuchten Objekte wurde zunächst geheim gehalten, lange durften selbst Insider nicht erfahren, was es zu sehen geben würde. Ende letzter Woche gab die Nasa dann schließlich die »targets« bekannt, die Bilder selbst aber blieben weiter unter Verschluss. Nur Präsident Joe Biden machte den Nasa-Strategen einen Strich durch die Rechnung: Eines der Bilder präsentierte er der Welt schon Montagnacht, knapp einen Tag vor dem verabredeten Termin.
Die anderen drei Aufnahmen und das jetzt veröffentlichte Planetenspektrum sind für die Forschergemeinde weltweit ebenso neu wie für die Öffentlichkeit: Die Nasa lüftete den Schleier und stellte der Welt den neuen Blick des James-Webb-Teleskops aufs Universum vor:
Babyboom am Sternenhimmel

Webb-Aufnahme des Carinanebels
Foto: Space Telescope Science Institute Office of Public Outreach / ESA / CSA / STScI / NASADie prächtigste der Webb-Aufnahmen stammt vom Carinanebel. Sie zeigt eine etwa 8000 Lichtjahre von der Erde entfernte Region unserer Milchstraße, in der Staub- und Gasschwaden umherwirbeln. Das Geschehen ist spektakulär: Staub scheint sich zu einer gewaltigen Gebirgskulisse aufzutürmen, bunte Wolken durchdringen sich wechselseitig, immer wieder reißen die Schwaden auf und geben den Blick in ihr Inneres frei. Ihrer markanten Gestalt wegen sind einzelne Formationen als »Schlüsselloch«, »Stinkefinger«, »Hufeisen« oder »Zauberberg« bekannt.
Der Carinanebel ist eine Geburtsstätte von Sternen. In den Wolken ballt sich das Gas zusammen, bis es sich so weit verdichtet und aufgeheizt hat, dass Wasserstoffkerne miteinander zu Helium verschmelzen können. Wo dieser Prozess in Gang kommt, entzündet sich eine Baby-Sonne. Tausende junger Sterne sind im Carinanebel beschrieben, viele von ihnen weitaus größer, heller und massereicher als die Sonne.
Vielfach ist Carina mit modernen Teleskopen fotografiert worden. Auch das Hubble-Teleskop hat inzwischen legendäre Aufnahmen dieses Nebels gemacht. Doch viele der hier wabernden Staubschwaden sind für sichtbares Licht undurchdringlich. Vor allem die Sternengeburt selbst vollzieht sich deshalb zumeist für Hubble unsichtbar im Innern einer Staubhülle.
Das Webb-Teleskop dagegen ist empfindlich für Infrarotlicht, und dieses vermag den Sternenstaub zu durchdringen. Auf der neuen Aufnahme können die Forscher deshalb auf ganz neue Weise das subtile Gleichgewicht der Kräfte studieren, über das die Sternentstehung in Staubwolken gesteuert wird.
Jupiter im Wasserdampf

Spektrum des Exoplaneten WASP-96b
Foto: NASA / ESA / CSA / STScIEine der wichtigsten Aufgaben des Webb-Teleskops wird es sein, sogenannte Exoplaneten zu untersuchen, die ferne Sterne umkreisen. Allerdings gibt es hier keine Fotos zu sehen, denn Exoplaneten sind selbst für das Webb-Teleskop zu weit entfernt, als dass ihr Licht direkt wahrnehmbar wäre, zumal es von dem weitaus intensiveren Licht ihrer jeweiligen Muttersterne überstrahlt wird. Doch ist es möglich, das Licht von Exoplaneten indirekt zu messen und seine spektrale Zusammensetzung zu bestimmen.
Spektren sind aussagekräftig, denn sie erlauben es nicht nur, ferne Objekte zu identifizieren, sondern auch ihre chemische Zusammensetzung zu bestimmen. Einige Astronomen beteuern sogar, wie ein Bild mehr als tausend Worte sage, so sage ein Spektrum mehr als tausend Bilder. Für Planetenforscher war das Grund genug, gespannt auf die Veröffentlichung des ersten Planetenspektrums des Webb-Teleskops zu warten.
WASP-69b ist dieser Planet. Es handelt sich um einen Gasplaneten, der etwa so groß wie Jupiter doch nur ungefähr halb so schwer ist. In einer Entfernung von 1150 Lichtjahren umkreist WASP-69b seinen Mutterstern, der in Masse und Temperatur ziemlich genau der Sonne ähnelt. Doch anders als Jupiter bewegt sich dieser Planet auf einer extrem engen Bahn: Ein Jahr auf WASP-69b dauert nur dreieinhalb Tage. So lange dauert es, bis der Planet seinen Mutterstern einmal umkreist hat – in einem Abstand von gerade einmal sieben Millionen Kilometern. Entsprechend heiß ist es auf WASP-69b: Die Oberflächentemperatur beträgt ungefähr 1000 Grad.
Vor vier Jahren gelang es Forschern, mithilfe des Very Large Telescope (VLT) in Chile, ein erstes Spektrum dieses Exoplaneten aufzunehmen. Insbesondere ließen sich darauf sämtliche Linien des Leichtmetalls Natrium erkennen. Die Forscher schlossen daraus, dass die Atmosphäre dieses Planeten weitgehend wolkenfrei ist, denn dichte Wolken hätten zumindest einige dieser Linien verschluckt.
Anhand des Webb lassen sich jetzt wesentlich genauere Aussagen treffen. In dem bis weit ins Infrarote reichende Spektrum des neuen Weltraumteleskops sind sehr deutlich die typischen Emissionslinien des Wassers zu erkennen. Ganz so heiter wie gedacht ist der Himmel auf diesem Jupiter also nicht: Er ist vielmehr in Schwaden von Wasserdampf gehüllt.
Letztes Flackern eines sterbenden Sterns

Südlicher Ringnebel im nahen und im mittleren Infrarotbereich
Foto: ESA / CSA / STScI / NASAUnter den jetzt veröffentlichten Bildern ist die Aufnahme des »Südlichen Ringnebels« wohl jenes, von dem sich die meisten Wissenschaftler am wenigsten versprochen hatten. Dieser sogenannte planetarische Nebel wurde vor allem seiner intensiven Farbigkeit wegen in die Liste der jetzt präsentierten Untersuchungsobjekte aufgenommen. Und doch bescherte gerade dieser Nebel den Forschern besondere Überraschungen.
Planetarische Nebel haben, ihrem Namen zum Trotz, nichts mit Planeten zu tun. Die irreführende Bezeichnung geht darauf zurück, dass diese Gebilde in Teleskopen etwas geringerer Auflösung wie diffus leuchtende Gasplaneten aussehen. In Wirklichkeit handelt es sich um Wolken aus Gas und Plasma, die von einem sterbenden Stern abgestoßen und ins All hinausgeschleudert worden sind. Zurück bleibt im Innern ein weißer Zwerg von enorm hohen Temperaturen. Seine ultraviolette Strahlung regt in der hinausgeschleuderten Hülle intensive Fluoreszenz an – was die Farbigkeit der planetarischen Nebel erklärt.
Dieses letzte Flackern von Sternen kann bizarre Formen annehmen: Einige planetarische Nebel sind hantelförmig, andere ähneln einem Schmetterling. Sie können kaleidoskopartig schillern oder faserig erscheinen. Der südliche Ringnebel dagegen ist von vergleichsweise schlichter Form: Er ähnelt einer von scharfen Konturen umrissenen Erdnuss. Im Innern sind zwei Sterne zu erkennen, wobei der eine auf den bisher bekannten Bildern erheblich heller leuchtet als der andere.
Wie komplex die Zusammensetzung eines solchen Nebels ist, offenbaren jetzt die Aufnahmen des Webb-Teleskops. Das Gerät hat zwei Bilder in verschiedenen Wellenlängenbereichen geliefert, und diese unterscheiden sich dramatisch voneinander. Im nahen Infrarot (links) ähnelt das Foto den bekannten Hubble-Bildern, nur dass die feinen orangefarbenen Filamentstrukturen sehr viel detailreicher erscheinen.
Als besonders interessant gilt die Aufnahme im mittleren Infrarot (rechts). Hier erscheinen beide Sterne im Innern der Wolke fast gleich hell. Der weiße Zwerg, der die fluoreszierende Hülle ausgestoßen hat, ist hier sehr viel deutlicher zu erkennen. Blaue Strukturen in den Außenregionen sprechen für die Gegenwart von Kohlenwasserstoffen.
Galaktischer Massencrash


Galaxiengruppe »Stephans Quintet«, aufgenommen mit dem Hubble-Teleskop (links) und dem Webb-Teleskop
Foto: ESA / Hubble / NASA / ESA / CSA / STScI / NASADie drei ersten vom Webb-Teleskop beobachteten Objekte sind in der Milchstraße und damit in der kosmischen Nachbarschaft der Sonne beheimatet. »Stephans Quintet« dagegen, das Motiv des vierten Bildes, befindet sich 260 Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt, also weit draußen im All. Doch auch in dieser Himmelsregion geht es turbulent zu.
Zu sehen sind fünf einander umwirbelnde Galaxien. Unter dem Einfluss der wechselseitigen Schwerkraft bewegen sie sich aufeinander zu. Sie rauben einander Sterne, Gezeitenkräfte zerreißen das galaktische Gefüge, gravitative Wellen durchwandern das Sternengefüge.
Das besondere Interesse der Astronomen hat ein eigenartiges intergalaktisches Filament geweckt, das sich oberhalb der beiden kleineren, einander umkreisenden Galaxien abzeichnete. Auf den Aufnahmen eines Röntgenteleskops stellte sich heraus, dass es sich um eine gewaltige Schockwelle handelt. Diese heizt das intergalaktische Gas auf mehrere Millionen Grad auf, was zur Emission von Röntgenstrahlung führt. Ausgelöst wurde diese Schockwelle offenbar von einer der beiden kleinen Galaxien, die mit einer Geschwindigkeit von mehreren Millionen Kilometern pro Stunde ins Zentrum der Galaxiengruppe stürzt.
Auf dem Foto des Hubble-Teleskops (links) war diese Struktur kaum sichtbar. Ganz anders dagegen auf der Infrarotaufnahme des Webb (rechts): Als markanter rötlicher Bogen erstreckt sie sich, ausgedehnter als die Milchstraße, bis an den oberen Bildrand.
Blick zurück in die Tiefe


Himmelsregion SMACS 0723, aufgenommen mit dem Hubble- (links) und Webb-Teleskop
Foto: Relics / STScI / NASA / ESA / CSA / STScI / NASADie fünfte Webb-Aufnahme war schon am Vortag von Präsident Joe Biden persönlich der Öffentlichkeit vorgestellt worden. Er hatte dieses Bild ausgewählt, weil es unter den jetzt veröffentlichten Aufnahmen mit Abstand am weitesten in die Ferne blickt. Es zeigt eine Himmelsregion namens SMACS 0723, deren Größe etwa der Fläche am Himmel entspricht, die von einem in Armlänge vom Auge entfernten Sandkorn abgedeckt wird. Die enorme Sehschärfe des Webb-Teleskops macht in dieser winzigen Region ein vielfältiges Gewimmel von Galaxien sichtbar.
Bekannt ist SMACS 0723 schon von Aufnahmen des Hubble-Teleskops her, allerdings offenbaren diese weit weniger Details. Insbesondere sind auf dem Webb-Foto auch Galaxien zu erkennen, deren Licht außerhalb des für Hubble sichtbaren Spektralbereiches liegt.
Die augenscheinlichsten Objekte auf der Webb-Aufnahme sind für die Astronomen eher störend: Die schneeflockenartig strahlenden Gebilde sind einzelne Sterne im Vordergrund. Die Strahlen werden von der Wabenstruktur des Webb-Spiegels erzeugt.
Interessanter sind die eher verschwommen-kugeligen weißen Objekte. Die meisten von ihnen gehören dem Galaxienhaufen an, der in der Himmelsregion SMACS 0723 gelegen ist. Er ist etwa 4,6 Milliarden Lichtjahre von der Erde entfernt. Sein Licht stammt also aus der Zeit, als die Sonne und ihr Planetensystem entstanden sind.
Doch auch diesem Haufen gilt nicht das Hauptinteresse der Astronomen. Entscheidend für sie ist vielmehr, dass die gewaltige Ansammlung von Galaxien die Masse von insgesamt 340 Billionen Sonnenmassen in sich vereint. Diese Ansammlung wirkt auf hinter dem Galaxienhaufen liegende Lichtquellen wie eine Linse. Ihr Licht wird drastisch verstärkt.
Die Objekte hinter dem Galaxienhaufen sind auf dem Webb-Foto als rote, sichelförmig verzerrte Gebilde zu erkennen. Sie sind zahlreich, das ist schon auf den ersten Blick zu sehen. Genauere Details jedoch wird erst eine detaillierte Analyse zutage fördern. So kann die Untersuchung des Spektrums zum Beispiel verraten, wie weit einzelne Galaxien von der Erde entfernt sind. Für eine von ihnen haben die Forscher eine solche Analyse bereits durchgeführt. Ergebnis: Die Entfernung zur Erde beträgt 13,1 Milliarden Lichtjahre, es handelt sich mithin um eine der frühesten Galaxien des Universums überhaupt.
Überall auf der Welt studieren jetzt Astronomen die SMACS-0723-Aufnahme, um zu ermitteln, welche der darauf zu sehenden Objekte eine genauere Analyse lohnen könnten. In einigen der fernen Galaxien scheinen zum Beispiel einzelne Sternhaufen zu erkennen sein – ein Detail, an das auf Hubble-Aufnahmen nicht zu denken war. Auch hoffen die Forscher, mithilfe der Spektralanalyse die Masse des schwarzen Loches im Zentrum einzelner dieser Galaxien bestimmen zu können. Die Wechselwirkung frisch geborener Galaxien mit den in ihrem Inneren sitzenden schwarzen Löchern zu verstehen, gilt als eine der großen Herausforderungen der Kosmologie.