Esa-Chef Wörner Wie Deutschland endlich eine Astronautin bekommen kann

Noch nie war eine Frau aus Deutschland im All. Die Bundesregierung würde das gern ändern. Der Chef der Europäischen Raumfahrtagentur macht nun einen Vorschlag, wie es klappen könnte.
Start einer "Sojus"-Rakete in Baikonur (September 2015): "Nicht einfach alle Regeln über Bord werfen"

Start einer "Sojus"-Rakete in Baikonur (September 2015): "Nicht einfach alle Regeln über Bord werfen"

Foto: Sergei Ilnitsky/ dpa

Die Überirdischen sind eine illustre Truppe. Genau elf Deutsche waren bisher im All - und allesamt waren es Männer. DDR-Jagdflieger Sigmund Jähn, der im Sommer 1978 mit einer sowjetischen "Sojus"-Kapsel zur Raumstation "Saljut 6" flog, war der Erste. Geophysiker Alexander Gerst, der im vergangenen Jahr ein halbes Jahr auf der Internationalen Raumstation verbrachte, der vorerst Letzte (sehen Sie alle in der Fotostrecke unten).

Die Bundesregierung sähe es gern, wenn möglichst bald eine deutsche Frau zur ISS flöge. Das hat die zuständige Wirtschaftsstaatssekretärin Brigitte Zypries klargemacht: "Deutschland könnte nach elf Männern auch mal eine Frau ins Weltall schicken." Jedenfalls sei das ihre "persönliche Präferenz".

Einerseits wäre die Sache aus wissenschaftlichen Gründen interessant - um die Frage zu klären, wie anders sich der weibliche Körper in der Schwerelosigkeit verhält. Zum anderen, und das wäre wohl noch wichtiger, könnte eine Astronautin zum Vorbild für junge Frauen avancieren, die sich für naturwissenschaftliche und technische Themen interessieren.

Vor allem in den USA sind Raumfahrerinnen alles andere als eine Seltenheit. Aus Europa ist zuletzt die italienische Kampfpilotin Samantha Cristoforetti zur Internationalen Raumstation geflogen. Und Deutschland? In den dreieinhalb Jahrzehnten nach Jähns historischem Flug hat es gerade einmal zwei Kandidatinnen für ein Raumflugticket gegeben: Die Meteorologin Renate Brümmer und die Ärztin Heike Walpot waren Ende der 1980er-Jahre unter den Bewerbern für die deutsche Spacelab-Mission "D2". Walpot wurde nach dem Training aussortiert, Brümmer flog als Ersatzkandidatin auch nie ins All.

Johann-Dietrich Wörner, der neue Chef der Europäischen Raumfahrtorganisation (Esa), muss sich nun mit dem deutschen Wunsch nach einer Astronautin auseinandersetzen. Im Interview erklärt er, wie er sich umsetzen ließe - und ob europäische Astronauten auf der Krim trainieren würden.

Zur Person

Johann-Dietrich Wörner, 61, ist seit Juli 2015 Generaldirektor der Europäischen Weltraumorganisation (Esa). Davor war der Bauingenieur unter anderem Chef des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) und Universitätspräsident der TU Darmstadt.

SPIEGEL ONLINE: Noch nie ist eine Frau aus Deutschland ins All geflogen. Wird es nicht langsam Zeit für eine deutsche Astronautin, wie es die Bundesregierung fordert?

Wörner: Leider haben es Heike Walpot und Renate Brümmer in den 1990ern nicht geschafft, eine Mission zu fliegen. Heute wäre eine deutsche Astronautin nicht nur ein Symbol. Sie würde die deutschen Bemühungen, Frauen für ingenieurtechnische Berufe zu gewinnen, deutlich unter Beweis stellen. Aber so einfach ist die Sache nicht. Wir haben im Moment leider keine deutsche Kandidatin im Astronautenkorps.

SPIEGEL ONLINE: Dann vielleicht unter den All-Interessenten, die es bei der Auswahl im Jahr 2008 nur ganz knapp nicht auf die Liste der Kandidaten geschafft haben?

Wörner: Wir hatten zwar 8413 Bewerbungen im Auswahlprozess. Aber unter den letzten 10 oder 20 war keine Frau aus Deutschland. Das hilft also auch nicht weiter.

Fotostrecke

Deutsche im All: Elf Männer, bisher keine Frau

Foto: AP / ADN

SPIEGEL ONLINE: Warum hat es denn keine Frau aus Deutschland so weit geschafft? Waren es zu wenige? Haperte es an der Qualifikation?

Wörner: Ob es zu wenige Bewerberinnen aus Deutschland gab oder die Qualifikation gefehlt hat, vermag ich nicht zu sagen. Der Auswahlprozess und die dafür geltenden Rahmenbedingungen für das europäische Astronautenkorps sind klar definiert. Es galt, die geforderten Nachweise zu erbringen und alle Prüfungen zu bestehen. Die Besten gingen aus diesem Prozess als Astronautenanwärter hervor.

SPIEGEL ONLINE: Sie müssten also eine neue, europaweite Ausschreibung starten.

Wörner: Man kann nicht einfach alle Regeln über Bord werfen und eine Quotenregelung einführen. Das wäre auch nicht im Sinne der Gleichberechtigung. Denn die verlangt gleiche Chancen für alle. Es gäbe allerdings auch eine andere Lösung...

SPIEGEL ONLINE: Und die wäre?

Wörner: Wenn Deutschland will, kann es selbst eine eigene deutsche Astronautin finanzieren. Das ist etwas anderes als eine europäische Astronautin deutscher Nationalität. Die Italiener haben es vorgemacht. Sie haben einen eigenen Vertrag mit der Nasa geschlossen. Samantha Cristoforetti, im Auftrag Italiens von der Esa ausgewählt, ist mit einem Ticket der Nasa geflogen, das Italien bezahlt hat. Und weil die Nasa derzeit keine eigenen Raumschiffe hat, ist sie mit einer "Sojus" gestartet. Ich finde europäische Astronauten zwar besser. Aber jedes Land kann selbstverständlich eigene Verträge schließen.

Johann-Dietrich Wörner (im April 2014): "Politisch hochsensible Frage"

Johann-Dietrich Wörner (im April 2014): "Politisch hochsensible Frage"

Foto: Britta Pedersen/ dpa

SPIEGEL ONLINE: Das heißt, die Bundesregierung würde ein Astronautencasting starten?

Wörner: Nicht nötig, das können wir, also die Esa, gern erledigen. Es kann auch eine rein weibliche Ausschreibung in Deutschland sein. Das geht alles. Ansonsten bin ich aber an das europäische Regelwerk gebunden. Das heißt: aus dem jetzigen Pool von Kandidaten kann ich keine deutsche Frau rekrutieren.

SPIEGEL ONLINE: Was würde ein Ticket für eine deutsche Astronautin denn kosten, wenn die Bundesregierung es selbst bezahlt?

Wörner: Das muss Deutschland mit der Nasa verhandeln, oder einen Flug bei den Russen buchen. Im Moment kostet ein Touristenflug mit einem "Sojus"-Raumschiff zur ISS verbunden mit einem Aufenthalt für rund zehn Tage 30 Millionen Dollar. Wenn Deutschland es geschickt anstellen würde, wäre das aber bestimmt preiswerter zu haben. Und man müsste dafür noch nicht einmal Geld auf den Tisch legen.

SPIEGEL ONLINE: Deutschland könnte den Amerikanern stattdessen Technik liefern.

Wörner: Ja, zum Beispiel mit deutschem Geld ein Servicemodul für den zukünftigen US-Raumtransporter "Orion" bauen. Bei dieser Kapsel kommt beim ersten Flug ohnehin Technik aus Europa zum Einsatz. Wenn Deutschland ein zweites Modul finanzieren würde, könnte man dafür ganz sicher ein Flugticket bekommen.

SPIEGEL ONLINE: Die Amerikaner haben bisher nur ein "Orion"-Servicemodul in Europa bestellt, als Gegenleistung für Europas Anteil an der Internationalen Raumstation. Wer sagt, dass die Nasa diese Bauteile in Zukunft nicht selbst bauen will?

Wörner: Wenn man den Amerikanern ein zweites Servicemodul im Tausch anbietet, nehmen die das sofort. Eine Win-win-Situation für Deutschland und die USA.

SPIEGEL ONLINE: Vor einer deutschen Astronautin könnte auch Routinier Alexander Gerst noch einmal fliegen. Bekommt er noch eine Chance?

Wörner: Alexander Gerst wird mit ziemlicher Sicherheit noch einmal fliegen. Er ist deshalb auch wieder im Trainingsprogramm vorgesehen. Wir haben für das Jahr 2018 den Flug eines deutschen Astronauten in der Planung. Ob das Alexander Gerst sein wird oder jemand anderes, kann ich heute noch nicht sagen. Die Vorbereitungsdauer ist aber so lang, dass wir das bald entscheiden werden.

Fotostrecke

Astronaut: Gersts beste All-Momente

Foto: SPIEGEL ONLINE

SPIEGEL ONLINE: Für die Ausbildung der ISS-Crews ist Russland ein wichtiger Partner. Dort will man nun Teile des Trainings auf die Krim verlegen. Würden europäische Raumfahrer da mitmachen?

Wörner: Das ist eine politisch hochsensible Frage. Im Moment stelle ich sie mir mit Absicht noch nicht. Wahrscheinlich würde ich zunächst einmal mit meinem Kollegen von Roskosmos reden und fragen, ob das wirklich nötig ist. Die Russen sagen aber einstweilen, sie hätten in dieser Frage noch nichts entschieden.

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