Fotostrecke

Isotop: Zerfallszeit von Eisen-60 verblüfft Physiker

Foto: NASA / ESA J. Hester / Arizona S

Geschichte des Universums Messung stellt Theorie der Elemente-Bildung in Frage

Wie die uns bekannten Elemente entstanden sind, muss nach einer neuen Messung überdacht werden. Denn ein bei Sternenexplosionen gebildetes radioaktives Isotop zerfällt deutlich langsamer als bisher angenommen. Die Zerfallszeit ist eine wichtige Stellgröße in den Modellen der Astropyhsik.

Das radioaktive Isotop Eisen-60 ist äußerst selten. In unserem Sonnensystem kommt es praktisch nicht vor, denn es entsteht ausschließlich bei der Explosion eines Sterns (Supernova), in Meteoriten unter Einfluss kosmischer Strahlung oder im Labor von Atomphysikern. Trotzdem hat das Atom mit 26 Protonen und 34 Neutronen im Kern eine große Bedeutung: Die Strahlung seines Zerfallsprodukts Kobalt-60 liefert wichtige Rückschlüsse auf die Entstehung schwerer Elemente in Sternen unserer Milchstraße.

Nun haben Physiker aus München und der Schweiz festgestellt, dass das Isotop viel langsamer zerfällt als bislang gedacht. Die Halbwertzeit von Eisen-60 liege mit 2,6 Millionen Jahren deutlich über dem bisher bekannten Wert von 1,5 Millionen Jahren, schreiben die Forscher im Fachblatt "Physical Review Letters" . Dies sei "ein gewaltiger Unterschied", sagt Gunther Korschinek von der TU München, einer der Autoren der Studie.

Untersuchungen zu kosmischen Vorgängen neu bewerten?

Halbwertzeiten sind wichtige Größen in der Astrophysik. Wenn es Forschern gelingt, die Mengenverhältnisse der beteiligten Ausgangs- und Zerfallsprodukte auf einem fernen Himmelskörper zu bestimmen, können sie auf den Zeitpunkt schließen, an dem der radioaktive Prozess seinen Anfang nahm - vorausgesetzt, sie kennen die Halbwertzeit des betreffenden Stoffes genau.

Die Neuberechnung der Halbwertzeit hat Konsequenzen für bisher genutzte Modelle: Frühere Untersuchungen zu kosmischen Vorgängen müssten neu bewertet werden, erklärt Korschinek im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. Er verweist auf gewaltige Sternexplosionen in der Nähe unseres Sonnensystems, sogenannte Supernovae, die nach einem anderen Schema abgelaufen sein könnten. Auch schwere Elemente in unserem Universum könnten auf andere Weise entstanden sein, als bislang vermutet. "In den Rechnungen über die nuklearen Prozesse muss nun einiges korrigiert werden", meint der Forscher. Modelle müssten angepasst werden.

Die Zerfallsreihe des Isotops Eisen-60 führt über Kobalt-60 zum stabilen Element Nickel-60, dessen Häufigkeit in Meteoritengestein Rückschlüsse auf die früheste Geschichte des Sonnensystems vor mehr als viereinhalb Milliarden Jahren zulässt. In jener Phase, so vermuten die Astrophysiker, konnte Eisen-60 gemeinsam mit anderen radioaktiven Elementen als Wärmequelle im Inneren der neu entstehenden Planeten und Kleinplaneten agiert und so deren Beschaffenheit entscheidend beeinflusst haben.

Seltener Fund am Meeresgrund

"Bei der Bildung des Sonnensystems spielen radioaktive Elemente eine große Rolle, weil sie beim Zerfall Wärme abgeben und die Materie flüssig halten", erklärt Korschinek. Wenn das Material erkalte und erstarre, änderten sich die Isotopenverhältnisse kaum noch. Das Vorhandensein von Eisen-60 im entstehenden Sonnensystem können sich die Astronomen im Grunde nur durch eine nahe Supernovae erklären, deren ausgeworfenes Material sich mit dem Gas des entstehenden Sonnensystems vermischt hat.

Hinweise auf eine derartige Explosion hatten Forscher der TU München schon vor einigen Jahren auf dem Meeresgrund gefunden. In Krustenmaterial stießen die Forscher auf Eisen-60-Spuren, die es sonst nirgends auf der Erde gibt. "Die untersuchte Schicht war drei Millionen Jahre alt und geht auf eine Supernova zurück, die in der Nähe des Sonnensystems stattfand", sagt Korschinek. Wegen der nun neu bestimmten längeren Zerfallszeit müsse man nun den Abstand der Supernova nach oben korrigieren.

Der bisherige Wert der Halbwertzeit von 1,5 Millionen Jahren litt unter einer großen Unsicherheit. Der neue Wert hat einen Fehler von nur noch zwei Prozent. Die Forscher der TU München und vom Schweizer Paul Scherrer Institut (PSI) hatten bei ihrer neuen Messung einige Gramm Eisen-60-haltigen Materials untersucht - immerhin zehnmal mehr bei der letzten Messung 1984.

Isotop längst zerfallen

Das Eisen stammte aus einem Stück Kupfer, das von 1980 bis 1992 als Strahlstopper für energiereiche Protonen am PSI diente. Nach einer speziellen chemischen Aufbereitung beobachteten die Forscher mit einem besonders empfindlichen Gamma-Spektrometer fast drei Jahre lang die Anreicherung des Materials mit Kobalt-60, dem unmittelbaren Zerfallsprodukt des radioaktiven Eisens. Zudem wurde am PSI die Gesamtzahl an Eisen-60-Atomen bestimmt.

Um das Isotop überhaupt untersuchen zu können, waren die Physiker auf das Material aus dem Schweizer Labor angewiesen: "In unserem Sonnensystem ist Eisen-60 längst zerfallen", sagt Korschinek. "Man sieht nur noch die Spuren der Zerfallsprodukte."

Mehr lesen über

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren