
Kamikaze-Komet: "Ison" beginnt zu zerbrechen
Kamikaze-Komet Ison beginnt zu zerbrechen
Der Helligkeitsausbruch des Ison-Kometen dauert an - und er hält die Forscher weiter in Atem. Während Ison der Sonne entgegenrast und einen riesigen Schweif entwickelt hat, wird seine Substanz brüchiger: Aktuelle Beobachtungen an der Wendelstein-Sternwarte der Universität München offenbaren, dass Teile des Kometenkerns abgesprengt sind. Ob das der Anfang vom Ende des Kometen ist, wie manche Beobachter annehmen, kann momentan niemand einschätzen.
Ison hatte in der vergangenen Woche seine Helligkeit beträchtlich gesteigert, er ist nun kurz vor Sonnenaufgang mit bloßem Auge zu sehen. Wegen seiner Bahn, die ihn Ende November extrem nahe an die Sonne führen wird, halten Astronomen es für möglich, dass er noch viel stärker aufleuchtet - er könnte sogar alle anderen Himmelskörper ausstechen, abgesehen vom Erdmond. Ob Ison tatsächlich als Jahrhundertkomet brilliert, hängt auch davon ab, ob er einigermaßen intakt bleibt. Schafft er die Umrundung der Sonne, dann könnte die Hoffnung vieler Hobbyastronomen wahr werden: Ison erleuchtet den Dezemberhimmel.
Beobachtungsverbot für Hubble
Sterngucker und Profi-Astronomen haben seit Wochen ihre Fernrohre auf den Kometen gerichtet. Hermann Böhnhardt vom Göttinger Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung war an der Analyse der neuesten Fotos beteiligt: "Wir sehen klare Indizien, dass mindestens ein größeres Stück des Kometenkerns abgebrochen ist." Momentan können solche Bruchstücke nicht direkt beobachtet werden, dazu sind Kern und Trümmerstück noch zu nahe beieinander. Lediglich der Adlerblick des Hubble-Teleskops könnte weiterhelfen, doch für Hubble ist Isons Winkelabstand zur Sonne bereits zu gering; das empfindliche Weltraumteleskop hat dort Beobachtungsverbot - aus Sicherheitsgründen.
Die Wendelsteiner Fotos zeigen verräterische Indizien, Experten sprechen von "coma wings", die Struktur ähnele der Silhouette eines Vogels im Flug, so Böhnhardt. Dies belege, dass der Kometenkern nicht mehr nur aus einem Stück besteht - mindestens ein Fragment wurde also abgesprengt. Auf Basis der Bildauswertung kann Böhnhardt den Abstand allerdings nur grob taxieren: "Wir schätzen die gegenseitige Distanz auf etwa hundert Kilometer."
Sollte sich die Interpretation der Bilddaten als korrekt erweisen, so wäre das Hauptstück des Kerns noch intakt, "allerdings mit einem großen Loch", so der Kometenforscher. Das kleinere Fragment wird wie ein Schneemann in der Frühlingssonne schnell verschwinden: Bei der stetig steigenden Hitze wird es nach zwei bis drei Wochen in viele kleine Trümmer zerbröselt sein. Böhnhardt: "Auch die Fragmentierung des einige Kilometer großen Kerns kann noch weiter voranschreiten, so war es früher bei einigen vergleichbaren Kometen."
Hochofen nahe der Sonne
Denn die Hitze setzt Kometenkernen, die sich auf sonnennahen Bahnen bewegen, mächtig zu. Staub auf ihrer Oberfläche verglüht, und Substanzen, die sonst tief im Inneren des Kometenkerns gebunden sind, verdampfen. Dadurch wächst der Druck im Kern. Das geht so lange gut, bis die Kräfte, die den Kern zusammenhalten, durch den inneren Druck übertrumpft werden. Die Folge: Der malträtierte Himmelskörper fliegt auseinander. Das Szenario, das Sterngucker fürchten, hätte für Kometenforscher wie Böhnhardt allerdings auch Vorteile. Denn so wird plötzlich der Blick auf das Innere des Kerns frei, das ansonsten immer verborgen bleibt. Und die Hochofenhitze bei der Sonnenpassage würde Analysen erlauben, die bislang unmöglich waren. "In dieser Entfernung wird die Temperatur an der Oberfläche des Kometen bis zu 2000 Grad Celsius erreichen", erklärt Böhnhardt. Selbst Metalle, die ansonsten chemisch in Mineralen im Inneren des Kerns gebunden sind, verdampfen bei diesen Temperaturen - und werden möglicherweise erstmals von den Spektroskopen der Astronomen aufgespürt.
Aber es geht nicht nur um Metalle. "Bei den Beobachtungen von Ison, die wir von Hawaii aus durchführen, stehen vor allem die organischen Moleküle des Kometen im Vordergrund", so Böhnhardt. Schätzungen zufolge machen diese bis zu einem Drittel der mineralischen Masse eines Kometen aus. Insbesondere Astrobiologen interessieren sich für diese Substanzen, sie halten es für möglich, dass einst durch die Einschläge von Kometen solche Moleküle zur Erde kamen - und so unserem Heimatplaneten bei der Entwicklung des Lebens auf die Sprünge halfen.