Kritischer Astronom Arps langer Kampf gegen den Knall

Halton Arp: Der letzte Gegner des Urknalls
Schöne Aussicht. Vorn die Erlöserkirche von Schwabing, weiter hinten die Kuppeln der Frauenkirche, am Horizont die Alpen. Halton Arp steht am Panoramafenster seiner Wohnung und blickt in die Dämmerung. Er hat keinen Blick für die Berge, er sagt nur: "Da ist eine Atmosphärenschicht." Übersetzt: Eine sternklare Nacht wird das nicht. So ist das, wenn man sein halbes Astronomenleben lang durch Teleskope in den Himmel gespäht hat.
Inversionswetterlagen, Zirrus- und Stratuswolken waren Arps Alltag. Nächtelang kauerte der junge früher am kalifornischen Palomar-Observatorium in einem käfigartigen Hochstuhl und wartete auf Löcher in der Wolkendecke. In klaren Neumondnächten schob er eine Fotoplatte nach der anderen zwischen die Linsen des Teleskops, des größten der Welt. Durch die offene Kuppel zog kalte Luft. Arp trug einen Fliegeranzug aus dem Zweiten Weltkrieg mit eingebauter Heizung, die einen Kurzschluss hatte: Am Bauch heizte sie, der Rest des Anzugs war kalt. Doch dann verbot man ihm die Benutzung des Teleskops. "Ketzer-Astronom soll Zugang zur Sternwarte verlieren" schrieb die Los Angeles Times 1982.
Wie kam es zu diesem Karrieresturz?
In den fünfziger Jahren zählte Arp zu den besten Astronomen weltweit, berühmt für seine Aufnahmen von Galaxien. Der große Edwin hatte ihn angestellt, er schätzte Arps "Ausdauer bei widrigem Wetter und sein Gespür für neuartige Phänomene". Damals tobte ein heftiger Streit über eine noch junge Theorie, der zufolge das Universum einst einen Anfang hatte - den . Immer mehr Forscher ließen sich durch neue Daten und Argumente davon überzeugen. Nur Arp weigerte sich, seine Meinung zu ändern. Er sucht bis heute nach Beweisen für ein ewig existierendes Universum und gegen die Urknalltheorie. Für die meisten Kollegen ist er deshalb ein Spinner: Halton Arp, der letzte Gegner des Urknalls.
Für manche ist Halton Arps Geschichte aber auch der Beleg dafür, dass die Wissenschaft zu stromlinienförmig geworden ist. "Wir brauchen Leute wie ihn", sagt der Astrophysiker Rudolph Kippenhahn, "sonst besteht die Gefahr, dass sich in der Wissenschaft Cliquen bilden, die keine Kritik von außen zulassen." Kippenhahn leitete in den achtziger Jahren das Max-Planck-Institut für Astrophysik in Garching. Als Halton Arp am Palomar-Observatorium in Ungnade fiel, holte er ihn mit einem Stipendium nach München. Dort lebt der Amerikaner bis heute.
Fuchsbau nennen die Münchner das pyramidenförmige Apartmenthaus neben der Erlöserkirche. Arp wohnt mit seiner Frau, einer französischen Astronomin, und der Enkeltochter im siebten Stock. Er sei dünner geworden, sagen seine Freunde. Sein Gedächtnis ist nicht mehr so gut, er geht gebeugt und stolpert manchmal. Arp lässt sich in das Sofa fallen, abgewetztes Leder, ein Erinnerungsstück. Er ist jetzt 82. "Meine Zeit läuft ab", sagt er. Aber er ist noch nicht fertig mit dieser Welt. Er schreibt an einem Artikel, der seine Kritiker überzeugen soll.
Er sagt: "Der wird alles aufklären, die letzten Absätze müssen perfekt sein."
Dass das Universum in einem dichten Feuerball geboren wurde, lernt heute jedes Schulkind. Diese physikalische Schöpfungsgeschichte erscheint so selbstverständlich wie die Tatsache, dass Steine nach unten fallen. Wie kann man daran zweifeln? "Man muss die Bilder sehen", sagt Arp, "sie zeigen alles". Bilder von Galaxien und Sternen, die er über Jahrzehnte zusammengetragen hat, um die Urknalltheorie zu widerlegen. Am nächsten Tag will er sie vorführen, am Max-Planck- Institut in Garching, dort hat er noch ein Büro.
Die Bilder! Sein Vater war Maler, wahrscheinlich entfernt verwandt mit dem Dadaisten Hans Arp, so genau weiß man es nicht. Halton Arp kommt nach seinem Vater, er sagt: "Ich bin ein visueller Typ, die anderen sind Worttypen." Die "anderen", das sind die modernen Astronomen. Sie schicken Satelliten ins All und stellen Statistiken über Sterne und Lichtspektren auf, sie berechnen die Dichte des Weltalls und die Krümmung des Raums, und darin erkennen sie Belege für die Urknalltheorie. Die Diagramme der Worttypen sehen aus wie Kindergekrakel. Arps Aufnahmen von Galaxien sehen aus wie Kunst.
Es war nicht immer so, dass er die Welt in "ich und die anderen" einteilte. "Am Anfang war ich einer von denen", sagt Arp. Zu denen gehörten Albert Einstein, Arthur Eddington und ihre Jünger, Physiker also, die sich durch Beobachtungsdaten und Theorien davon überzeugen ließen, dass das Universum einen Anfang hatte.
Auch Arp stand der Urknalltheorie zunächst offen gegenüber.
Es war die Zeit, als manche Astronomen der Glamour umwehte und sie mehr waren als nur Wissenschaftler. Edwin Hubble verkehrte mit Schauspielern und Künstlern, er war Ehrengast bei der Oscar-Verleihung. Jazz-Größen wie Cole Porter besuchten die Sternwarte am Mount Wilson, Arp war mit Musikern aus Charlie Parkers Band befreundet. Hubble war Amateurboxer, Arp Fechtmeister der Westküste, für die USA sollte er bald zur Weltmeisterschaft nach Paris fahren. Er schrieb Flugblätter gegen Atomwaffen und demonstrierte neben der Sängerin Joan Baez gegen die Rassentrennung. Selbst die Wissenschaft war irgendwie politisch. Als Arp sich auf einer Party neben einen bekifften Hippie hockte, schlug dieser nur kurz die Augen auf und murmelte: "Das Problem mit der Welt ist ihre inkorrekte ."
Edwin Hubble hatte bereits in den zwanziger Jahren das Licht entfernter Sterne studiert und festgestellt, dass es rötlicher erschien als erwartet. Die Wellenlänge schien gedehnt, wie die Schallwellen einer Krankenwagensirene, die nach dem Vorbeifahren tiefer klingt - der Dopplereffekt. Die Sterne, so folgerte Hubble, entfernen sich voneinander. Jahrhundertelang hatten die Menschen an ein statisches Universum geglaubt. Nun schien es, als dehne der Kosmos sich aus.
Von Autoritäten ließ sich Arp noch nie beeindrucken

Halton Arp: Der letzte Gegner des Urknalls
Wenn das Universum expandierte, musste es in der Vergangenheit kleiner gewesen sein als heute und davor noch kleiner, und wer die Zeit in Gedanken rückwärts laufen lässt, sieht das Universum zum Zeitpunkt null zu einem hoch verdichteten Körnchen zusammenschrumpfen. Albert Einstein, der stets an ein statisches Universum geglaubt hatte, erkannte, dass seine auch mit einem expandierenden Weltall vereinbar war.
Hubbles Messungen waren damals allerdings noch sehr ungenau. Und von Autoritäten ließ sich Halton Arp noch nie beeindrucken. Schon als Kind ging er eigene Wege. Während die anderen in der Schule saßen, las er Philosophie-Bücher in der New Yorker Stadtbibliothek. Irgendwann schickten ihn seine Eltern auf eine Privatschule. Dort wurde er gerügt, als er einen Fehler im Mathematikbuch fand. "Ich begann zu begreifen, wie der Hase wirklich läuft", sagt Arp.
Er wurde zu einem, der Kontra gab.
In Harvard studierte Arp bei Harlow Shapley, dem Mann, der die Größe der Milchstraße vermessen hatte, und von dort ging er nach Los Angeles zu Edwin Hubble. Nachmittags trainierte er im Fechtklub, abends traf er sich mit den Künstlerfreunden seiner damaligen Frau. Er wollte beweisen, "dass Akademiker nicht so langweilige Leute sind".
Er mochte den Konkurrenzkampf in der Wissenschaft nicht, die Ellenbogenmentalität, den Neid. Statt ihre Ergebnisse zu dokumentieren, schrieben manche seiner Kollegen "Kleine grüne Männchen" ins Logbuch der Sternwarte. Sie wollten die Koordinaten neu entdeckter Galaxien vorerst für sich behalten. Manchmal wünschte sich Arp, in der Wissenschaft würde es zugehen wie beim Fechten. Man zieht den Degen, kämpft vor einem Schiedsrichter und sammelt Punkte. Wer am Ende die meisten hat, der hat gewonnen. Dann reicht man sich die Hand und geht auseinander.
Als seine Kollegen begannen, Galaxien in ein System einzuordnen, hielt Arp Ausschau nach untypischen Galaxien-Paaren. 1966 veröffentlichte er 338 Fotos in seinem Atlas of Peculiar Galaxies. Mit den Bildern wurde er berühmt - nicht jedoch mit ihrer Interpretation.
Die meisten Forscher sahen auf diesen Bildern kollidierende Galaxien. Arp dagegen glaubt bis heute, dass Galaxien aus anderen Galaxien geboren werden. Außerdem entdeckte er auf einigen Aufnahmen ungewöhnlich helle Objekte - sogenannte Quasare - neben gewöhnlichen Galaxien. Er behauptet, dass beide in unmittelbarer kosmischer Nachbarschaft liegen. Laut der Urknalltheorie liegen Quasare aber am Rand des sichtbaren Universums, und ihre scheinbaren Nachbarn befinden sich in Wirklichkeit Milliarden Lichtjahre näher an uns dran.
Das ist das Problem mit Arps Bildern: Sie liefern nur ein zweidimensionales Abbild des Himmels.
Die Position in der Tiefe des Raums erkennt man nicht. Vor allem braucht er eine Erklärung für die unterschiedliche Rotverschiebung der Sterne, das wichtigste Indiz für die Expansion des Weltalls. Arp hat so eine Erklärung, er behauptet, dass Atome im Laufe der Zeit immer schwerer werden und dadurch ihre Farbe verändern. Die Idee geht auf den indischen Theoretiker Jayant Narlikar zurück. Für die meisten Physiker ist sie so abwegig wie die Behauptung, die Sonne kreise um die Erde.
Im November 1981 bekam Halton Arp einen Brief des Dekans. Nach mehr als hundert Beobachtungsnächten habe sein Forschungsprojekt nicht die gewünschten Ergebnisse gebracht. Für diese Art der Forschung werde er keine Teleskopzeit mehr bekommen. Selbst andere Urknallgegner distanzierten sich von ihm.
"Er arbeitet eher wie ein Künstler", gab Margaret Burbidge zu Protokoll, eine anerkannte britische Astrophysikerin. "Niemand machte so schöne und direkte Aufnahmen wie er. Wir brauchten diese Bilder, aber seine physikalischen Argumente haben wir ignoriert. "
Die Fachzeitschrift Astronomy & Astrophysics bat ihn, keine Veröffentlichungen mehr einzureichen. Im Fechtklub konnte Arp die Streitereien vergessen. Aber auch dort änderten sich die Zeiten. Die neuen Degen waren weicher, und die Punkte wurden nun elektronisch gezählt, nicht mehr von Schiedsrichtern. Arp hörte auf, bevor er in der Rangliste wieder absteigen würde.
Hätte er die Urknalltheorie damals akzeptiert, wäre er heute einer von vielen.
So aber wurde er wenigstens zum Märtyrer der schrumpfenden Gemeinde von Urknallgegnern. "Er trägt das Kreuz des Spinnertums ", schrieben zwei von ihnen in einer Hommage. Fast täglich bekommt Arp E-Mails von Amateurkosmologen. "Mein Gott, die klingen wie ich", denkt er manchmal.
Warum tut er sich das an? Arp schweigt. Dann sagt er: "Ich war wohl schon immer aufseiten der Underdogs."
Als Rudolf Kippenhahn seinen Posten als Direktor des Max-Planck-Instituts räumte, baten einige Mitarbeiter den neuen Institutsdirektor Simon White, Arp rauszuwerfen. Er sei eine Blamage fürs Institut. White ignorierte sie, obwohl er Arps Thesen für Unsinn hält. "Halton Arp ist formal nicht Mitglied des Instituts", sagt White, "er bekommt kein Gehalt, er ist ein Gast. Es ist eine friedliche Koexistenz. Und wenn er etwas Interessantes findet, werde ich ihm zuhören."
Am nächsten Morgen fährt Halton Arp ins Institut. Junge Astrophysiker sind gerade auf Socken unterwegs in die Teepause, manche nicken ihm kurz zu, einer hilft ihm, den Projektor zu verkabeln.
"Ich rede mit ihnen nicht über Astronomie - es könnte ihre Karriere gefährden"
Am Max-Planck-Institut hat Arp inzwischen eine neue Theorie aufgestellt: eine Verschwörungstheorie. Die meisten Wissenschaftler seien intolerant, schrieb er schon 1998 in seinem Buch Seeing Red, sie seien autoritätsgläubig, würden die Ideale der Aufklärung verraten und anderslautende Meinungen unterdrücken. Im Jahr 2004 veröffentlichte er dann mit 33 anderen Wissenschaftlern und Hobbygelehrten einen offenen Brief. Die Urknallbefürworter würden sich gegenseitig Fördermittel zuschanzen und Kritiker mundtot machen, schrieben sie.
Braucht die Wissenschaft solche Leute? Es sei immer gut, für die Ideen von Außenseitern offen zu sein, sagt der Bielefelder Philosoph Martin Carrier. Aber: "Die Wissenschaft ist toleranter, als es oft aussieht. " Carrier erforscht Paradigmenwechsel in der Wissenschaft. In den sechziger Jahren, sagt er, seien Alternativen zur Urknalltheorie noch sehr offen diskutiert worden. "Aber wenn die Kritiker immer nur ihre alten Behauptungen wiederkäuen, ist es legitim, dass sie weniger Ressourcen bekommen." Sie könnten ja heute in den öffentlich zugänglichen Daten der Standardastronomie nach Beweisen suchen. Und sie müssten mal eine Vorhersage machen, die bestätigt wird, "das wäre ein toller Erfolg".
Arp startet seine Diaschau, die alles beweisen soll, aber doch nur neue Fragen aufwirft. Warum ignoriert er bis heute alle Indizien für die Urknalltheorie? Wie erklärt er die gleichförmige Mikrowellenstrahlung, die das gesamte Universum erfüllt, das Echo des Urknalls? Er könne all diese Argumente widerlegen, sagt Arp. Mit einem Kollegen wollte er immer "30 Gründe, warum die Urknalltheorie falsch ist", publizieren. Der Kollege ist vor Kurzem gestorben.
Man könnte Mitleid bekommen, aber Halton Arp ist keine tragische Figur. "Es macht ihm Spaß, querzuschießen", sagt der Kosmologe Gerhard Börner, der mittwochs mit Halton Arp Seniorentennis spielt. Arp sagt: "Ich hatte ein erfülltes Leben."
Bei der Fechtweltmeisterschaft damals in Paris wurde Arp in der Vorrunde besiegt und musste ausscheiden. Am Abend nach dem Turnier traf er im Fechtklub den Weltmeister, einen Franzosen. Er forderte ihn heraus, nur so zum Spaß. Sie gingen auf den Laufsteg und fochten ein Match. Arp verlor. Sie gaben sich die Hand, und alles war gut.