Kühne Pläne Europas Raumfahrtfirmen drängt es zum Mond
Eine unbemannte Forschungsstation müsse auf dem Mond gebaut werden, verlangten die Unternehmenssprecher heute in Bremen, und zwar eine europäische. Unter anderem soll ein gewaltiges Teleskop bislang nicht messbare Radiowellen auffangen. Die Firmen hoffen nach eigener Aussage, dass die Europäische Raumfahrtagentur Esa das Projekt und die Kosten übernimmt. Die Esa werde darüber auf ihrer nächsten Tagung Anfang Dezember beraten. Dann findet in Berlin ein Treffen der zuständigen Minister statt.
Grundsätzlich verlangten Vertreter von Industrie und Wissenschaft, den erdnahen Himmelskörper zu einem Schwerpunkt der europäischen Weltraumforschung zu machen. "Der Mond ist das nächste lohnende Ziel", sagte der Astronaut Manfred Messerschmid während eines Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt. Anders als der Mars sei der Mond nicht 1000 Tage weit entfernt.
Das "Aurora"-Projekt der Esa, das 2001 begann, schließt Pläne sowohl für eine bemannte Marsmission als auch für bemannte Mondmissionen bereits mit ein. Zum Mars will die Esa aber erst im Jahr 2033, zum Mond im Jahr 2024. Zunächst ist für das Jahr 2011 eine Marsmission mit einem Erkundungsroboter geplant.
Hat der Mond in Europa keine Lobby?
Andere Staaten beschäftigten sich längst mit Mond-Missionen, erklärte der Chef des Bremer Raumfahrtunternehmens OHB, Manfred Fuchs. In Europa habe das Thema aber leider bislang "nicht die erste Priorität", kritisierte er. Deutschland als größtes Land der EU dürfe nicht tatenlos zusehen, wie die USA, Russland, Japan, China und Indien eigene Programme planten und umsetzten.
Ein zentrales Problem sei der geringe Etat für Raumforschung in Deutschland, sagte der Präsident der EADS Space Transportation, Evert Dudok. Das nationale Budget sowie Deutschlands Esa-Mittel betrügen zusammen nur noch knapp 700 Millionen Euro. Das Geld sei komplett verplant. "Um endlich wieder Spielräume zu bekommen, verlangen wir eine Erhöhung um 15 Prozent oder 100 Millionen Euro."
Während die OHB-Pläne für Mond-Missionen auf biologische Experimente zielen, arbeitet der Konzern EADS Space Transportation zusammen mit niederländischen Forschern an dem Mond-Teleskop. Die Anlage, die mit einer Ariane-5-Rakete transportiert werden soll, wird laut Plänen aus 100 kleinen Antennen bestehen und so einen Durchmesser von zunächst 300 Metern abdecken. Mit dem Teleskop wollen die Wissenschaftler ab dem Jahr 2015 bislang nicht erfassbare, besonders langwellige Signale aus der Anfangszeit des Universums auffangen.
"Quantensprung der Radioastronomie"
Das Projekt werde "einen Quantensprung in der Radioastronomie" bedeuten, sagte Dudok. Zunächst müsse es nun in einer deutsch-niederländischen Kooperation vorangetrieben werden. Dann solle die Esa das nach Schätzungen eine Milliarde Euro teure Vorhaben übernehmen. Als Fernziel gilt, die Station als Basis für den Aufbau einer bemannten Mondstation zu verwenden.
Beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) reagiert man zurückhaltend auf die Pläne der Industrievetreter. Das "große Nahziel" des DLR sei und bleibe die internationale Raumstation ISS und das Andocken des europäischen Forschungsmoduls "Columbus", sagte DLR-Sprecher Bernhard Fuhrmann auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE.
Möglicherweise machen die Unternehmen in Bremen auch nur schnell noch ein bisschen Wahlkampf. Erst kürzlich hatte der Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie (BDLI) Bundesforschungsministerin Edelgard Bulmahn kritisiert. BDLI-Präsidialgeschäftsführer Hans-Joachim Gante sagte: "Bemannte Raumfahrt ist nicht bloß eine Prestige-Objekt, wie Frau Bulmahn meint." Deutschland dürfe nicht "den Fehler machen, wieder einmal aus einer Technologie auszusteigen, in der es noch führend ist".
Bulmahn hatte in der "Frankfurter Rundschau" gesagt, bemannte Raumfahrt werde "immer ein politisches Prestige-Projekt bleiben". Die notwendige Zeit, um intergalaktische Distanzen zu überwinden, werde "solche Abenteuer" stark einschränken. Deutschland und Europa müssten sich auf die unbemannten Bereiche konzentrieren, weil hier die technologischen und wissenschaftlichen Herausforderungen lägen. Als Beispiel nannte sie den großen Erfolg der Sonde "Mars-Express".
Christian Stöcker