Forscher haben analysiert, wie Sterne sich bewegen - und sind einem seltenen, astronomischen Ereignis auf die Spur gekommen: Vor rund zehn Milliarden Jahren hat unsere Milchstraße eine ganze Galaxie geschluckt.
Teile der Milchstraße sind in klaren Nächten gut als heller Streifen am Nachthimmel zu sehen. Doch wenn Astronomen Genaueres über unsere Heimatgalaxie wissen wollen, dann haben sie es nicht leicht. Denn sie können nicht von außen auf das aus Milliarden von Sternen bestehende System schauen. Staub, Gas oder Himmelskörper verdecken etwa den Blick auf die andere Seite der Galaxie.
Eine große Hilfe ist den Forschern deshalb das "Gaia"-Programm. Der Astrometriesatellit vermisst und kartiert seit einigen Jahren die Milchstraße und hat dabei wertvolle Daten gesammelt, die Forscher schon länger auswerten.
So haben Astronomen um Amina Helmi von der Universität Groningen Hinweise auf einen gigantischen kosmischen Crash erhalten. Demnach hat sich die Milchstraße vor rund zehn Milliarden Jahren eine komplette andere Galaxie einverleibt, berichten die Wissenschaftler im Fachblatt "Nature". Die Spuren des galaktischen Kannibalismus sind demnach noch heute deutlich zu sehen.
Foto: ESA/Gaia/DPAC
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Teleskop "Gaia": Inventur der Milchstraße
Das Team um Helmi analysierte die Daten von rund sieben Millionen Sternen, für die nicht nur die genauen Positionsangaben in allen drei Dimensionen vorliegen, sondern auch die genaue Eigenbewegung. Rund 30.000 Sterne im sogenannten Halo der Galaxie stachen dabei deutlich hinaus: Sie bewegen sich entgegengesetzt zur Mehrheit der Sterne und unterscheiden sich auch in ihren chemischen Eigenschaften. Die Forscher schließen daraus, dass diese Sterne aus einer anderen Galaxie stammen, die mit der Milchstraße verschmolzen ist.
Die Idee, dass unsere Milchstraße das Produkt einer Verschmelzung mit Satellitengalaxien ist, untersuchen Astronomen schon länger. Überraschend ist für sie jedoch die Dimension des jetzt entdeckten Crashs. "Wir haben im Halo Sterne von verschmolzenen Satellitengalaxien erwartet", erläuterte Helmi in einer Mitteilung ihrer Hochschule.
"Was wir nicht erwartet haben, ist, dass die meisten Halo-Sterne tatsächlich gemeinsam aus einer großen Verschmelzung stammen." Neben den rund 30.000 Einzelsternen identifizierten die Astronomen auch 13 sogenannte Kugelsternhaufen, Gebilde mit Millionen Sternen, die vermutlich aus der verschluckten Galaxie stammen.
Darstellung der Milchstraße mit "Gaia"-Daten
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Die Daten werfen auch neues Licht auf die Entstehung der dicken galaktischen Scheibe, wie die Forscher erläutern. Die Scheibe, die den zentralen Teil unserer Heimatgalaxie umgibt, teilt sich in einen dünnen Teil, in dem unter anderem die Spiralarme liegen, und einen rund zehnmal dickeren Teil, dessen Ursprung unbekannt ist. Der jetzt identifizierte kosmische Crash hat zur Entstehung der dicken Scheibe wesentlich beigetragen, wie Simulationsrechnungen zeigen. Die Milchstraße hat einen Durchmesser von etwa 100.000 Lichtjahren.
"Indem wir die Bewegungen von Sternen quer über den Himmel ablesen, können wir jetzt die Geschichte der Milchstraße zurückspulen und einen wesentlichen Meilenstein in ihrer Entstehung entdecken", betonte "Gaia"-Projektwissenschaftler Timo Prusti von der Europäischen Raumfahrtagentur Esa.
Verschmelzende Galaxien sind im Kosmos kein Einzelfall, Astronomen haben in den Tiefen des Alls verschiedene solche Ereignisse gesichtet. Auch für die Milchstraße wird es voraussichtlich nicht der letzte Crash gewesen sein: Forscher erwarten, dass unsere Heimatgalaxie in drei bis vier Milliarden Jahren mit der Andromedagalaxie verschmelzen wird, die sich zurzeit mit rund 120 Kilometern pro Sekunde auf uns zubewegt.
Blick auf Milchstraße und benachbarte Galaxien: Diese Aufnahme zeigt die Helligkeit und Farben von 1,7 Milliarden Sternen.
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Illustration des Satelliten: Ende 2013 war das Weltraumteleskop "Gaia" ins All gestartet. Aus den über Jahre gesammelten Daten haben Esa-Forscher nun die bislang detaillierteste Karte der Milchstraße erstellt.
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Diese Darstellung zeigt die Dichte der Sterne in der Milchstraße und basiert auf "Gaia"-Daten.
Foto: ESA/Gaia/DPAC
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Auch den interstellaren Staub der Milchstraße hat das Weltraumteleskop kartiert.