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Mission ins All Zum Mond mit Marke Eigenbau

Das Budget ist winzig, das Ziel umso größer: Deutsche Hobby-Raumfahrer basteln an einem Mondfahrzeug zum Dumpingpreis, das bald auf dem Erdtrabanten landen soll. Gelingt die Billig-Mission, sähen Nasa und Co. ziemlich alt aus.

Loser Treibsand, störende Felsblöcke, gefährlichen Krater, eisige Kälte - "Asimov Junior 2" muss in einer Umwelt bestehen, die lebensfeindlicher kaum sein könnte. Doch davon lässt sich der Pionier nicht aus der Ruhe bringen. Mit stoischer Gelassenheit schnurrt das ferngesteuerte Fahrzeug - seinen Namen verdankt es dem russisch-amerikanischen Science-Fiction-Autor Isaac Asimov - auf seinen vier Alurädern über den dunklen Holzfußboden eines Berliner Großraumbüros.

Mit einem Laptop in der Hand schlendert Karsten Becker, ein blonder Informatik-Doktorand aus Hamburg, dem Gefährt hinterher. In gemütlichem Tempo geht es durch eine ehemalige Fabriketage im Prenzlauer Berg. Unter einer strahlend weißen Gewölbedecke sitzen hier normalerweise die Angestellten einer Filmproduktionsfirma. Doch während die ihr Wochenende genießen, tüftelt eine Handvoll Enthusiasten unter einem riesigen Wandbild der Jerusalemer Klagemauer an nichts geringerem als an einem neuen Mondauto. "Das ist das schnellste Weltraummobil, das es gibt", freut sich Becker.

Unter dem Namen "Part Time Scientists", also Teilzeitwissenschaftler, haben seine Kollegen und er sich zusammengefunden. Es geht um den Sieg im internationalen Wettbewerb "Google Lunar X-Prize" - und um den Beweis, dass sich kleinere Weltraummissionen dank innovativer Planung und Entwicklung auch ohne Mega-Budget durchziehen lassen.

Während die nationale deutsche Mondmission "Leo" ("Lunarer Erkundungsorbiter") wegen Geldmangels auf den Sankt Nimmerleinstag verschoben wurde und die Europäische Weltraumorganisation seit Jahren über eine 600-Millionen-Euro-Reise zum Südpol des Erdtrabanten nachgrübelt, soll "Asimov Junior 2" bis zum Jahr 2013 ins All abheben - und das zum Discountpreis. Soweit jedenfalls der Plan.

Weltweite Aufmerksamkeit - und 20 Millionen Dollar

Der Teamchef der Freizeitwissenschaftler, Robert Böhme, ist normalerweise freiberuflicher IT-Sicherheitsberater. Für die Mondfahrt kalkuliert er mit einem vergleichsweise läppischen Budget von 15 Millionen Euro, für das Personal, die Entwicklung des ferngesteuerten Autos und die nötige Transportrakete. Etablierte Raumfahrer von Esa und Nasa würden für das Geld kaum mehr als eine Machbarkeitsstudie umsetzen können, hier soll es für die gesamte Mission reichen. Das klingt ebenso ambitioniert wie halsbrecherisch.

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"Part Time Scientists": Zum Mond mit einem Mini-Budget

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Die anderen Wettbewerbsteilnehmer setzen zum Teil deutlich mehr Geld an. "Wir sind derzeit das günstigste Team", sagt Böhme stolz. Doch wie die zwei Dutzend Konkurrenzmannschaften rund um den Globus muss er den größten Teil der benötigten Finanzen erst noch einsammeln. Auch ein weiteres deutsches Team, "C-base Open Moon", wirbt noch um Sponsoren.

Unterstützer der eifrigen Mondfahrer-Truppen, so versprechen es die Teams, können auf weltweite Medienpräsenz hoffen. Und tatsächlich: Sollte es der betreffende Eigenbau-Rover unbeschadet bis zum Ziel schaffen, sind die Firmenlogos der Sponsoren wohl weltweit im TV zu sehen. Wenn hingegen einer der Amateure auf dem Weg ins All scheitert, dann wäre das weit weniger blamabel als eine Panne der großen Raumfahrtorganisationen. Und selbst die kommt immer wieder vor. Zum Beispiel Ende der neunziger Jahre, als die Nasa-Sonde "Mars Climate Orbiter" am Roten Planeten verglühte. Ingenieure hatten vergessen, Entfernungsangaben von Meter in Fuß umzurechnen.

Für Teams wie die "Part Time Scientists" ist noch mehr drin als globale Medienpräsenz. Wer den von einer gemeinnützigen Stiftung in den USA ausgelobten Mondpreis gewinnt, der kann sich neben der Aufmerksamkeit vor allem über 20 Millionen Dollar freuen. Die Gewinner soll bis Ende 2013 ein ferngesteuertes Maschinchen sanft auf dem Mond absetzen. Das Gefährt muss anschließend einen halben Kilometer durch den Staub rollen und dabei hochauflösende Fernsehbilder zur Erde schicken.

Für diesen Job hat der Prototyp von "Asimov Junior 2" schon jetzt drei Kameras auf dem Kopf. Doch die funktionieren noch nicht vollständig. Auch bei anderen Komponenten des Rovers gibt es noch einiges nachzubessern. Die 70 Teammitglieder arbeiten an vielen Stellen gleichzeitig. Sie konzipieren das Fahrzeug am Computer und testen gleichzeitig am Prototypen, welche technische Lösung Erfolg verspricht: Größere Bauteile werden in Berlin gewechselt. An der Elektronik wird in Hamburg getüftelt. Der fragile "Asimov Junior 2" - mehr als tausend Einzelteile, 30.000 Euro reine Baukosten - reist dann in einer knallroten Metallkiste von der Elbe an die Spree und zurück.

"Es gibt keinen ungemütlicheren Platz für Elektronik als das Weltall"

Bei seiner Reise ins All wird der Roboter mit weit Extremerem klarkommen müssen als dem ICE-Geschüttel. "Ich kann mir keinen ungemütlicheren Platz für Elektronik vorstellen als das Weltall", sagt Karsten Becker. Alles, was die Freizeit-Weltraumtechniker ersinnen, muss Kälte, Hitze, Strahlung und Vakuum aushalten. "Wir fordern unser Glück schon ein bisschen heraus. Man kann nicht alles testen", sagt Becker.

Vor seiner Reise bekommt "Asimov Junior 2" die widrigen Bedingungen des Alls so weit wie möglich im Labor zu spüren. Doch nicht das aktuelle weiße Kunstoffmodell mit dem klappbaren Solarpaneel wird dann malträtiert, sondern eine 500.000 Euro teure Version aus Karbon, die dann schließlich die Reise antreten soll.

Apropos fliegen: Wie kommt der kleine, zehn Kilogramm schwere Rover in rund zwei Jahren eigentlich vom Prenzlauer Berg auf den Mond, genauer gesagt irgendwo zwischen die Landestellen von "Apollo 12" und "Apollo 14"? Entscheidend dabei helfen soll eine "Falcon 1E"-Rakete der US-Firma SpaceX.

Die Pensionäre Jack Crenshaw und Robert Tolson, Veteranen aus dem "Apollo"-Programm der Nasa, berechnen für das deutsche Team derzeit die nötige Flugbahn. Klar ist bereits: Nachdem die rund zehn Millionen Dollar teure Trägerrakete das Fahrzeug in die Erdumlaufbahn gebracht hat, soll die Reise mit einem speziellen Transfer- und Landemodul weitergehen. Beide wird wohl ein Industriepartner liefern, der auf diese Weise seine Technik ausprobieren kann. Den Namen der Firma mögen die "Part Time Scientists" aber noch nicht nennen.

Politische Widrigkeiten

"Drei Teams haben gute Chancen zu gewinnen", sagt Böhme. Seine Mannschaft gehöre dazu. Bis zu einer Landung auf dem Mond ist es freilich noch ein weiter Weg. Und der wird durch politische Widrigkeiten noch komplizierter. Die Deutschen dürfen ihr Raumfahrzeug zum Beispiel nicht einfach so zum Start in die USA bringen. Stattdessen müssen sie es in Einzelteilen ins Land schaffen und dort zusammensetzen. Schuld daran sind strenge Rüstungskontrollregeln.

Und auch in China hatten die schwarz-rot-goldenen Mondfahrer schon Probleme mit dem Zoll. Es ging um den Export der Computerchips für ihren Prototypen. Die Technik sei sicherheitstechnisch zu sensibel, befanden Pekings Beamte: Ausfuhr unmöglich! Erst nach monatelangen Verhandlungen ließen sich die Amtsträger schließlich umstimmen. Und das war alles andere als einfach, wie sich Teamchef Böhme erinnert: "Erklären Sie mal jemandem, dass Sie ein Mondauto bauen!"

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