
"New Horizons": Zum Ex-Planet - und wie weiter?
Nasa-Sonde "New Horizons" Ziellos am Rand des Sonnensystems
Mitte Januar 2006 war die Welt noch in Ordnung, ganz weit draußen in unserem Sonnensystem. An der Spitze einer "Atlas V"-Rakete schickte die US-Weltraumbehörde Nasa ihre Sonde "New Horizons" ins All - mit der Rekordgeschwindigkeit von 16,21 Kilometern pro Sekunde. Der Forschungsroboter hatte schließlich einen weiten Weg vor sich: Er sollte mit sieben wissenschaftlichen Instrumenten an Bord erstmals den äußersten Planeten Pluto ansteuern.
Bis jetzt wissen Forscher nur wenig über den vor 85 Jahren entdeckten Himmelskörper aus Gestein und Wassereis, der eine dünne Atmosphäre hat. Selbst leistungsfähige Teleskope liefern nur verwaschene Bilder der fernen Welt. Nur wenige Monate nach dem Start verlor Pluto freilich seinen bisherigen Status. Die Internationale Astronomische Union (IAU) degradierte den einst stolzen Himmelskörper zum Zwergplaneten. Einfach zu klein sei das Ding, zu elliptisch und geneigt seine Umlaufbahn, so die Argumente. Zumal es jenseits des Neptuns weitere, ganz ähnliche Objekte gebe. Und diese würden schließlich auch nicht als Planeten geführt.
Nach mehr als neun Jahren soll "New Horizons" im kommenden Juli ihr Ziel erreichen - und in knapp 10.000 Kilometern Entfernung am Pluto vorbeifliegen. Dessen Mond Charon, mit einem Durchmesser von gut 1200 Kilometern beinahe halb so groß wie der Ex-Planet, soll die Sonde anschließend in einem Abstand von 27.000 Kilometern passieren.
Doch bereits jetzt hat unter Planetenforschern die Debatte darüber begonnen, was in der Zeit danach passiert. "New Horizons", so der Plan, könnte erstmals ein weiteres Objekt des sogenannten Kuipergürtels näher untersuchen - nur lässt sich bisher partout kein passendes Exemplar finden. Und die Zeit wird jetzt schon knapp, denn das Manöver will gut vorbereitet sein - damit die Sonde nicht ohne die gewünschte Beobachtung im interstellaren Raum verschwindet. Denn dahin fliegt sie letzten Endes.
"Eine Chance, die man nur einmal im Leben bekommt"
"Den Kuipergürtel zu besuchen ist eine Chance, die man nur einmal im Leben bekommt - in Wahrheit sogar noch seltener", sagt Planetenforscherin Cathy Olkin aus dem "New Horizons"-Wissenschaftsteam im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. Die Forscherin vom Southwest Research Institute in Boulder (US-Bundesstaat Colorado) sucht deswegen zusammen mit Kollegen nach einem passenden Ziel für die Sonde. Doch das gestaltet sich schwieriger als gedacht. Bei umfangreichen Suchen mit erdgebundenen Teleskopen konnten Astronomen keinen Kandidaten ausmachen, der mit dem vorhandenen Treibstoffvorrat erreichbar wäre.
Der Kuipergürtel ist - etwas despektierlich formuliert - eine riesige kosmische Müllhalde. Viele Kometen stammen von dort. Aber auch weit größere Objekte ziehen fern der Sonne ihre Bahn: Experten gehen davon aus, dass im Gürtel allein 70.000 Brocken mit mehr als 100 Kilometern Durchmesser zu finden sind. Sie sind ein Überbleibsel aus der Zeit, als sich in den inneren Bereichen des Sonnensystems die großen Planeten bildeten. Und genau deswegen interessieren sich Forscher für sie, als Zeitkapseln aus der Jugend unserer Heimat im All.
"Bisher gibt es keine Planungen für eine andere Mission in den Kuipergürtel", sagt Cathy Olkin. "Ich hoffe, wir verpassen diese Chance nicht. Es wäre ein Verlust für alle von uns." Die Forscher müssen sich schon bald auf ein Ziel festlegen, um dessen Bahn um die Sonne möglichst genau berechnen zu können - und die daraus resultierenden Steuermanöver der Sonde. Nur wenn es Beobachtungsdaten über einen möglichst langen Zeitraum gibt, sagen die Astronomen, hat das Vorhaben überhaupt Aussicht auf Erfolg.
In Illinois ist Pluto noch immer Planet
Das Magazin "Aviation Week" berichtet von einem gemeinsamen Brief zweier Nasa-Beratergruppen. Die "Small Bodies Assessment Group" und die "Outer Planets Assessment Group" forderten demnach Ende April, das Weltraumteleskop "Hubble" zur Suche nach einem Ziel zu nutzen. Der immer wieder aufgerüstete Forschungs-Methusalem biete ungleich bessere Beobachtungsmöglichkeiten als Teleskope auf der Erde.
Zunächst solle das Teleskop 40 Erdumrundungen lang, also etwa zweieinhalb Tage, den Kuipergürtel ausspähen. Das unausgesprochene Kalkül hinter dieser Forderung: Sollte sich danach noch immer kein geeigneter Kandidat finden, ließe sich eine Anfrage nach weiterer Beobachtungszeit leicht begründen.
Doch nach Ansicht von Planetenforscher Bill McKinnon von der Washington University in Saint Louis (US-Bundesstaat Missouri), der ebenfalls zum "New Horizons"-Wissenschaftsteam gehört, ist das wohl gar nicht nötig: "Wir könnten den einen finden, den wir brauchen, den Sieg erklären und nach Hause gehen." Man habe zwar bei der Suche nach einem Ziel für "New Horizons" bisher schon 50 neue Himmelskörper aufgespürt - doch keiner davon sei für die Sonde erreichbar.
Seine Kollegin Cathy Olkin sagt: "Wenn wir das Hubble Space Telescope zur Suche nach einem Ziel nutzen können, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass wir ein Objekt im Kuipergürtel finden können, an dem 'New Horizons' vorbeifliegen kann. Das ideale Ziel für die Sonde würde aus Sicht der Forscher einen Durchmesser von 25 bis 50 Kilometern haben - und für "New Horizons" nach der Stippvisite bei Pluto und Charon mit dem restlichen rund 100 Kilogramm Hydrazin im Treibstofftank erreichbar sein.
Für die Forscher ist interessant, dass die anderen Objekte des Kuipergürtels ganz anders aussehen als der Pluto. Die Himmelskörper seien kalt, dunkel - und ziemlich rot, sagt Bill McKinnon: "Genau genommen sind sie so rot, dass Astronomen sie 'ultra-rot' nennen, um sie von anderen roten Objekten zu unterscheiden." Doch was die Dinger "ultra-rot" mache, wisse man nicht. Die Sonde könne das wohl herausfinden.
Dass Pluto seinen Status als fernster Planet verloren hat, damit kann sich übrigens bis heute nicht jeder abfinden. Der Senat von Illinois, Heimatstaat von Pluto-Entdecker Clyde Tombaugh, hat dazu vor fünf Jahren sogar einen offiziellen Beschluss gefasst. Der ferne Himmelskörper gilt dort demnach weiter als Planet. Die Degradierung sei "unfair" gewesen - schließlich hätten an dem entscheidenden Votum nur vier Prozent aller IAU-Forscher teilgenommen.
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