Neue "Sojus"-Raketenrampe Heikler Countdown im Dschungelcamp
Noch stehen sie ganz ruhig da: vier riesige Blitzableiter, vier Flutlichtmasten und dazwischen eine Art blau-gelbes Kirmeskarussell aus Metall. So sieht eines der wichtigsten Kooperationsprojekte der internationalen aus der Entfernung aus. Läuft aber alles nach Plan, wird das Areal in diesem Sommer unter martialischem Krach und Feuerstürmen erzittern. Dann soll nach jahrelanger Verzögerung erstmals eine russische " "-Rakete vom Weltraumbahnhof Kourou in Französisch-Guayana ins All abheben.
Wenn man sich dem Startplatz nähert, tut sich zwischen den Metallstreben ein rund 30 Meter tiefes Loch im Boden auf. An seinem mit Beton ausgekleideten Grund wachsen Moose und Algen in Regenpfützen. Trotz eines Geländers muss man schwindelfrei sein, um hinab zu sehen. Der gähnende Schlund ist an einer Seite geneigt wie eine wahnwitzige Sprungschanze, um Abgase und Krach von der startenden Rakete wegzuleiten. Einstweilen sieht das Ding aber vor allem aus wie ein Schwimmbecken außer Dienst.
Rotationsenergie der Erde als Gratis-Starthilfe
Russische Flugkörper, die von der europäischen Anlage tief im Dschungel Südamerikas in den Himmel donnern - ein Novum der Raumfahrtgeschichte. Für die Russen bietet der Startplatz in den Tropen aber auch ganz handfeste Vorteile. Dort bekommen sie eine natürliche Starthilfe, auf die sie am traditionellen Startplatz Baikonur in Kasachstan weitgehend verzichten müssen.
Am Äquator ist die Tangentialgeschwindigkeit am größten, weil der Abstand zu Erdachse am größten ist. Deswegen brauchen Raketen hier weniger Sprit, um die Erde hinter sich zu lassen - weil sie die Rotationsenergie kostenlos mit auf den Weg bekommen. Baikonur liegt - obwohl im Süden des einstigen Sowjetreiches - auf 45 Grad nördlicher Breite, Kourou hingegen auf 5 Grad, also fast am Äquator. Bei einem "Sojus"-Start von hier lassen sich rund 45 Prozent Treibstoff einsparen. Da lohnt sich der logistische Mehraufwand.

Auch die Europäer haben großes Interesse, die Russen auf das Gelände des Centre Spatial Guyanais zu holen. Immerhin hat sie der Bau des "Sojus"-Startplatzes rund 410 Millionen Euro gekostet. Doch wofür der ganze Aufwand? Nur im Dienste der Völkerfreundschaft? In der -Zentrale in Paris hofft man wohl eher auf eine kleine, billige Schwester der "Ariane"-Rakete. Das 150 Millionen Euro teure All-Transportgerät der Europäer kann rund zehn Tonnen schwere Lasten in den geostationären Orbit bringen.
Der wird zum Beispiel von Kommunikationssatelliten genutzt, um immer über dem selben Punkt der Erdoberfläche zu stehen. Doch in vielen Fällen sind die zu befördernden Lasten heutzutage deutlich kleiner als zehn Tonnen. Die im Vergleich etwa halb so teure "Sojus" soll deswegen kommerzielle Satellitenkunden mit kleinerem Budget ansprechen. Der russische Kosmos-Oldie hievt rund drei Tonnen schwere Fracht auf die geostationäre Bahn. Die Technik ist seit mehr als 50 Jahren erprobt.
Die Esa habe zwei Optionen gehabt, sagt Behördenchef Jean-Jaques Dordain im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE: "Entweder wir entwickeln selbst eine mittelgroße Rakete - oder wir starten eine Kooperation mit den Russen." Wohl nicht zuletzt aus politischen Gründen entschied man sich für Variante zwei. Das bedeutete, dass auf dem schwer bewachten Dschungelgelände eine Startrampe nach dem Vorbild des russischen Weltraumbahnhofs Baikonur entstehen musste.
Am schützenden Turm wird noch gearbeitet
Von einer "Kopie mit Verbesserungen" sprechen die Russen in Kourou. Tatsächlich ist der Weltraumbahnhof aus der kasachischen Steppe aber quasi eins zu eins in den Urwald gebeamt worden - inklusive der beiden Lagerräume, in denen sie in Baikonur überschüssige Tische und Stühle wegschließen. Einen wichtigen Unterschied gibt es allerdings: ein mobiler Serviceturm, an dem Bauarbeiter momentan noch fleißig hämmern und flexen. Wie eine fahrbare Riesengarage soll er die aufgestellte, knapp 50 Meter hohe Rakete vor dem feuchtheißen Tropenwetter schützen.
Wie nötig diese sogenannte Gantry ist, beweisen die Regenpfützen auf dem Boden. Wie auch die dunklen Wolkentürme am Horizont künden sie von den Güssen, die hier regelmäßig niedergehen. Weil die Russen mit dem Bau des Schutzturms keinerlei Erfahrung hatten, verschob sich dessen Fertigstellung immer wieder.
Auch die Arbeiten im Untergrund des "Sojus"-Startplatzes waren extrem aufwändig und sorgten für lange Verzögerungen. Das Loch nahe der Ortschaft Sinnamary in den Boden zu baggern und zu sprengen, machte den Bautrupps weit mehr Mühe als vermutet. Schuld war massiver Granit. Gleichzeitig ist das harte Gestein im Untergrund aber wichtig, um das Gewicht der Rakete zu tragen. Mehr als 300 Tonnen wiegt eine vollgetankte "Sojus". Die gelb-blaue Stahlrohrkontruktion am Startplatz hält sie quasi frei schwebend über dem Abluftschacht.
"Das gesamte Gewicht der Rakete hängt an vier Punkten", erklärt Esa-Mitarbeiter Jean Claude Garreau. Wenn die Rakete abhebt, klappen die stählernen Stützen zur Seite weg. Es sieht aus, als öffne sich eine Blüte. Die Konstruktion mag für manchen europäischen Ingenieur archaisch anmuten. Sie hat ihre Zuverlässigkeit aber bei mehr als 1700 Starts bewiesen.
Countdown auf Russisch, Kommandos auf Französisch - geht das?
Der Franzose Garreau wird den ersten "Sojus"-Start in Baikonur auf Seiten der Esa leiten. Das wird schon sprachlich eine Herausforderung. Die Russen ziehen ihre Startabläufe auf Russisch durch, die Flugsicherheit läuft dagegen auf Französisch. "Die werden sich schon verstehen", hofft ein Esa-Mann. Garreau spricht fließend russisch, immerhin.
Doch die Zusammenarbeit ist auch aus anderen Gründen nicht ganz einfach. Beide Seiten sind Partner, klar. Aber sie trauen sich gegenseitig nicht so recht über den Weg. Das sieht man allein an der Lage der "Sojus"-Rampe auf dem 700 Quadratkilometer großen Gelände des Weltraumbahnhofs. "Die französischen Behörden wollten aus Sicherheitsgründen etwas Abstand", sagt Esa-Chef Dordain. Zum Interview stehen wir unter einem schützenden Unterstand. Denn nun ist auch der Regen da. Weil die der Fluten vom Himmel so auf das Blechdach trommeln, versteht man kaum sein eigenes Wort.
Wegen des latenten Misstrauens gegenüber den Russen liegt der neue Startplatz weitab der bisherigen Anlagen in Kourou. "Als wir 2002 zum ersten Mal hier waren, stand noch der Dschungel", erinnert sich Dordain. "Wir mussten mit Kettenfahrzeugen der Armee herkommen." Nun ist der Straßenbelag auf dem orangeroten Boden brandneu. Doch die "Sojus"-Rampen sind weggesperrt hinter Stacheldraht, Elektrozäunen und mehreren bewachten Checkpoints. An jedem von ihnen muss man einem Sicherheitsmann seine Berechtigungskarte vorzeigen. Dazwischen patrouillieren Fremdenlegionäre mit Ketten- und Allradfahrzeugen.
"Bei jeder Kooperation gibt es Grenzen", insistiert auch Arianespace-Pressechef Mario de Lepine. Seine Firma wird die "Sojus"-Starts im Dschungel kommerziell vermarkten. "Es ist besser, wenn jeder für sich ist", verkündet der kleingewachsene Mann aus Französisch-Guayana energisch. Auch Satellitenkunden, die auf die "Ariane" setzten, würden das so sehen.
Eingang strikt verboten ohne russische Genehmigung
Die Russen starten sensible Missionen weiter in Baikonur, eines Tages dann wohl auf dem Gelände des geplanten Kosmodroms Wostoschny, unweit der chinesischen Grenze. In Kourou revanchieren sie sich für das Misstrauen der Europäer mit abgetrennten Zonen auf dem "Sojus"-Gelände. In einer hellen, klimatisierten Halle neben der Startrampe liegt eine grau gestrichene Rakete, bei der nur noch der Kopf fehlt. Hier können sich Esa-Mitarbeiter und Gäste erstaunlich frei umsehen. Doch wer in den Bereich will, in dem die Oberstufe der Rakete montiert werden wird, kommt dort nur mit russischer Ausnahmegenehmigung hin. "Eingang strikt verboten ohne russische Genehmigung", steht in Französisch und Russisch auf der Tür.
Trotz aller Schwierigkeiten wollen beide Seiten dem Projekt aber zum Erfolg verhelfen. Die ersten Tests sollen am 1. April beginnen. Der Termin des ersten Starts hängt dann davon ab, wann die Nutzlast fertig ist. Läuft alles nach Plan, soll die "Sojus" im Sommer erstmals abheben, an Bord zwei des europäischen Navigationssystems "Galileo". Im verbunkerten Kontrollraum nahe des Startplatzes werden gerade die letzten Computer installiert. Die Box, mit der Garreau und sein russischer Kollege den Start kontrollieren, ist schon da. "Ich bin der Erste, der im Gulag landet, wenn etwas schiefläuft", witzelt der Franzose.
Dazu dürfte es kaum kommen, die robuste "Sojus"-Technik wird es schon richten. Selbst wenn ein oder zwei der Raketenmotoren ausfallen, erreicht die Rakete noch ihr Ziel. Sagen jedenfalls Leute, die sich damit auskennen.
Könnten eines Tages auch Menschen mit der russischen Veteranentechnik von Kourou aus ins All starten? "Es gibt keine Planungen dafür", sagt Esa-Chef Dordain. Viel Geld müssten die Europäer dafür in jedem Fall in die Hand nehmen. Zum Beispiel für Kriegsschiffe, die im Fall eines Startabbruchs die Astronauten aus dem Wasser fischen.
Irgendwann einmal. Vielleicht. "Man sollte niemals nie sagen", sagt Dordain.