Neutronenstern Forscher entdecken geheimnisvollen Einzelgänger nahe der Erde
Einst waren sie gleißende Giganten, jetzt sind sie finstere Winzlinge: Neutronensterne. Ihr Durchmesser ist üblicherweise weniger als zwei Dutzend Kilometer klein, doch sie wiegen eineinhalb bis drei Mal so viel wie unsere Sonne. Neutronensterne entstehen, wenn ein großer Stern kollabiert und in einer Supernova seine Außenhülle ins All schleudert. Übrig bleibt der heiße Kern, der durch den Zusammensturz extrem verdichtet wird - aber noch nicht so stark, dass ein Schwarzes Loch entsteht. Ein Würfel von einem Zentimeter Kantenlänge aus dem Inneren eines Neutronensterns brächte auf der Erde rund eine Milliarde Tonnen auf die Waage.
Jetzt haben US-Astronomen im Sternbild Ursa Minor ein besonders seltsames Exemplar aufgespürt: Wahrscheinlich befindet sich kein anderer Neutronenstern so nahe an der Erde, teilte die Pennsylvania State University mit. Zudem handele es vermutlich um einen sogenannten isolierten Neutronenstern. Die Forscher gaben ihm den Spitznamen Calvera - nach einem berühmten Western-Bösewicht.
"Die bisher bekannten sieben isolierten Neutronensterne werden gemeinhin als 'Die Glorreichen Sieben' bezeichnet", sagte Mitentdecker Derek Fox. Der Name Calvera sei ein Insider-Witz. Neutronensterne haben in der Regel Überbleibsel einer Supernova als Begleiter, solo findet man sie selten.
Einsamer Stern
Entdeckt wurde Calvera eher zufällig. Robert Rutledge von der McGill University verglich Daten von 18.000 Röntgenstrahlenquellen, die der deutsch-amerikanische Satellit "Rosat" zwischen 1990 und 1999 aufgenommen hatte, mit einem Katalog von Objekten, die sichtbares Licht, Infrarotlicht und Radiowellen aussenden. Er entdeckte, dass die "Rosat"-Quelle 1RXS J141256.0+792204 kein Gegenstück in irgendeiner anderen Wellenlänge hatte.
Daraufhin richteten die Astronomen im August 2006 den Satelliten "Swift" auf das Objekt und stellten mit dessen Röntgen-Teleskop fest, dass die Quelle immer noch da war. Sie konnten ihre Position genauer bestimmen und zeigen, dass keine bekannten Objekte damit assoziiert waren.
"Die Quellen-Beobachtung mit dem 'Swift'-Satelliten brachte alles in Gang", sagte Andrew Shevchuk von der Penn State University. "Sofort als ich die Daten zum ersten Mal sah, wusste ich: Das ist ein Kandidat für einen Neutronenstern." Ihre Ergebnisse wollen die Forscher in Kürze im Fachmagazin "Astrophysical Journal" veröffentlichen.
Geheimnisträger Calvera
Worum genau es sich bei Calvera handelt, bleibt vorerst im Dunkeln. "Entweder ist Calvera ein ungewöhnliches Beispiel für eine bekannte Neutronenstern-Art", sagte Astronom Rutledge, "oder er ist der erste einer neuen, unbekannten Art."
Auch Calveras Position - hoch über unserer Milchstraße - ist Teil seines Geheimnisses. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist er ein Überbleibsel eines Sterns, der vor langer Zeit in unserer Galaxie existierte, bevor er als Supernova explodiert ist.
Welche Strecke er auf seiner Wanderung aus der Milchstraße heraus zurückgelegt hat, können die Forscher nur vermuten. "Die beste Schätzung ist, dass er sich immer noch sehr nah an seinem Geburtsort und deshalb in der Nähe der Erde befindet", sagte Rutledge. Wenn diese Vermutung stimmt, ist das Objekt 250 bis 1000 Lichtjahre entfernt. Damit könnte Calvera der Neutronenstern sein, der der Erde am nächsten ist.
"Weil er so hell und so nah an der Erde ist, ist er ein vielversprechendes Ziel für weitere Beobachtungen", sagte Fox. Um die Geheimnisse des Solosterns aufzudecken, plant das Forscherteam eine lange Beobachtung mit dem Weltraumteleskop "Chandra". Calvera könnte einer von vielen bisher unentdeckten Neutronensternen sein, glauben die Wissenschaftler. Fox: "Es könnte noch Dutzende geben."
khü