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Weltraumschrott: Saubermachen im Orbit

Foto: DPA / Esa

Trümmer im Orbit Japan schickt den Schrottangler ins All

Zehntausende Trümmerteile rasen durch den Erdorbit. Eine katastrophale Kollision ist jederzeit möglich. Im Kampf gegen Weltraumschrott wollen japanische Forscher eine neue Methode testen, um den Müll vom Himmel zu holen.

Spätestens seit dem Film "Gravity" weiß auch der durchschnittliche Kinogänger: Mit Weltraumschrott ist nicht zu spaßen. Im Thriller von Alfonso Cuarón zerlegen die Trümmer eines russischen Satelliten auf einen Schlag den Großteil der menschlichen Präsenz im All. Raumfahrer sterben, milliardenteure Technik schmiert ab.

Das Ganze ist mehr als ein modernes Gruselmärchen: Jahrzehnte der Raumfahrt haben eine Trümmerwolke im Erdorbit entstehen lassen. Allein durch die niedrigen Umlaufbahnen rasen mehr als 20.000 Teile, die mindestens so groß sind wie eine Grapefruit. Dazu kommen Hunderttausende kleinere Partikel.

Das Problem wird ständig größer. Erst Anfang des Monats warnte der Wissenschaftliche Dienst des US-Kongresses  vor der Gefahr: Wie Geschosse aus einer Schrotflinte rasen Trümmerteile um die Erde. Bereits jetzt drohen alle paar Jahre katastrophale Kollisionen im All. Japanische Forscher wollen nun eine Idee ausprobieren, um dem Problem irgendwann Herr  zu werden: Die japanische Weltraumbehörde Jaxa und die Kagawa University testen Ende Februar einen sogenannten elektromagnetischen Tether.

Die Konstruktion muss man sich vorstellen wie die Weltraumversion des Verlängerungskabels für den Rasenmäher daheim. Nur dass das Kabel, oder besser gesagt der Tether, erstens ungleich dünner ist und zweitens nicht zur Stromversorgung dient. Sondern dazu, Weltraumschrott gezielt zum Absturz zu bringen - wenngleich Strom dabei eine entscheidende Rolle spielt.

"Ein sehr effektiver Mechanismus"

Das Ganze soll so funktionieren: Ein Putzsatellit nähert sich einem Stück Weltraumschrott. An diesem befestigt er den Tether, also ein langes, elektrisch leitendes Seil. Das wird anschließend ausgerollt - und orientiert sich wegen der Gravitation nach unten. Das Schrottteil und das angebrachte Kabel sausen gemeinsam durchs Erdmagnetfeld. Und das sorgt dafür, dass im Tether ein Strom induziert wird.

Wegen der sogenannten Lorenzkraft wird der stromdurchflossenen Leiter im Magnetfeld abgebremst. Der Weltraumschrott wird also immer langsamer - und verglüht früher oder später in der Atmosphäre. "Das ist ein sehr effektiver Mechanismus, der für eine Widerstandserhöhung sorgt", sagt Weltraumschrott-Experte Heiner Klinkrad von der Europäischen Weltraumorganisation (Esa).

Der Test der Japaner soll zunächst zeigen, ob sich in einem 300 Meter langen Kabel im All tatsächlich ein Stromfluss nachweisen lässt. "Space Tethered Autonomous Robotic Satellite 2", kurz "Stars 2", heißt die Mission , bei der gewissermaßen die Angel ausgeworfen wird.

Dabei stellt bereits das Abrollen des Tethers die wichtigste technische Herausforderung dar: Der sehr kleine Satellit setzt dazu einen noch kleineren Tochterflugkörper gewissermaßen an einer Leine aus. Allerdings kommt das Testsystem - wenn alles nach Plan läuft - noch nicht einmal in die Nähe von echtem Weltraumschrott.

Satellit mit 20 Fangnetzen

Von einem praktischen Einsatz ist das Verfahren noch weit entfernt. Auch wenn mancher Journalist  bereits über das Müllsammeln mit einem kosmischen Fischernetz fabuliert. Tatsächlich hat sich die Jaxa vor Jahren mit dem Fischereiausrüster Nitto Seimo  für solch ein Projekt zusammengetan. Doch bisher ist die Schleppnetzfischerei nach Schrott im Orbit vor allem eine Zukunftsvision - von der es auch unzählige andere gibt.

Mal wird vorgeschlagen, den Schrott mit einer Wolke aus Metallpartikeln zu entfernen, mal mit speziellen Lasern, mal mit kleinen oder großen Putzsatelliten. Auch die Idee eines Netzes hat die Esa vor einiger Zeit von Airbus Defence and Space schon untersuchen lassen. "Roger" hieß das Konzept für einen dreieinhalb Tonnen schweren Satelliten, der mit 20 Netzen auf die Jagd nach kaputten Kollegen  gehen könnte.

Ein Plan für ein 25 Quadratmeter großes Segel zum Einsammeln von Kosmos-Müll , ausgearbeitet von der britischen University of Surrey, liegt bei der Esa ebenfalls in der Schublade. Und auch einen Tether haben die Europäer schon ausprobiert. Dem "Young Engineers' Satellite 2" gelang es 2007, ein 30 Kilometer langes Seil aus Kunstfasern abzuspulen - elektrische Leitung, wie jetzt bei den Japanern, spielte aber keine Rolle.

Bei der Jaxa wartet man derweil gespannt auf den Ausgang des aktuellen Tests. Im kommenden Jahr will die Organisation dann noch einmal Erfahrungen mit einem Tether sammeln. Frühestens 2019 könnte das System dann tatsächlich zum Einsatz kommen.

Doch gerade bei einem Tether gibt es noch ein ganz spezielles Problem: "Die Seile sind sehr verwundbar", sagt Weltraumschrott-Experte Klinkrad. Denn würde das Kabel von einem fliegenden Teilchen gekappt, droht ein echtes Dilemma: Die Weltraumschrott-Experten müssten einen Neuzugang in ihren Datenbanken vermerken. Und der ist womöglich kilometerlang - und damit besonders gefährlich.

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