
Wostotschnij: Russlands Sorgenbaustelle
Baustelle Wostotschnij Schlamperei auf Putins Weltraumbahnhof
Wostotschnij soll das neue Zentrum der russischen Raumfahrt werden. In der Amur-Region nahe China wird ein Kosmodrom aus dem Boden gestampft, von dem künftig die gesamte Palette der Raumschiffe und Satelliten starten soll - ein Prestigevorhaben, das Präsident Wladimir Putin besonders wichtig ist.
Bislang sorgt das Projekt aber vor allem für Skandale und negative Schlagzeilen. Wegen Verzögerungen auf der Mammutbaustelle ist nun der Eröffnungstermin 2015 in Gefahr, bei den Finanzen gibt es Unregelmäßigkeiten. Präsident Wladimir Putin müsse in Wostotschnij nun persönlich für Ordnung sorgen - das war die Botschaft, die Russlands Staatskanäle nach einem Ortsbesuch des Staatschefs an die Bürger sandten.
Putin sprach gar von "halbkriminellen Machenschaften" in Wostotschnij, er müsse die Angelegenheit deshalb den Rechtsschutzbehörden übergeben. Das waren selbst für das an Korruptionsskandale gewöhnte russische Publikum harte Worte.
Der für das Militär und die Raumfahrt zuständige Vizepremier Dmitri Rogosin schaltete daraufhin nicht wie sonst üblich nur Vertreter des Rechnungshofs ein, sondern auch das Innenministerium, die Generalstaatsanwaltschaft und den Inlandsgeheimdienst FSB. Moskau hat seit 2010 umgerechnet 2,5 Milliarden Dollar in Wostotschnij investiert, eine weitere Milliarde soll im kommenden Jahr fließen. Insgesamt werden die Kosten für das Kosmodrom auf mehr als 6 Milliarden Dollar geschätzt.
Schon bei einem Ortstermin Anfang September hatte der Präsident in Wostotschnij unmissverständlich klargestellt, worum es bei dem "größten gesamtnationalen Projekt" geht: Um Russlands Unabhängigkeit von anderen Startplätzen außerhalb der Landesgrenzen - sprich: von Baikonur in Kasachstan -, um die Stärkung seiner Position als eine der führenden Raumfahrtmächte und um die effektive Umsetzung seiner internationalen Programme. Russland zahlt Kasachstan 115 Millionen Dollar Miete pro Jahr, kann aber nur eine begrenzte Anzahl von Starts in Baikonur durchführen. Verzug bei dem Projekt will Putin deshalb nicht dulden.
Das gelte nicht nur für die technischen Anlagen und die neuen Raketen, die höchsten Effektivitäts- und Zuverlässigkeitsansprüchen genügen müssten, sondern auch für die soziale Infrastruktur. Denn nur wenn es ausreichend komfortable Wohnungen, Schulen, Kindergärten, medizinische Einrichtungen und Einkaufmöglichkeiten gebe, könne man junge hochqualifizierte Spezialisten gewinnen, hier zu arbeiten.
Scharfe Kritik an Roskosmos-Chef Ostapenko
Dann nahm sich Putin den Chef der Weltraumagentur Roskosmos, Oleg Ostapenko, vor, der bis dato für das Projekt zuständig ist. Wie es denn komme, dass auf der Baustelle derzeit nur etwa 6000 Leute tätig seien, obwohl er, Ostapenko, doch 12.000 bis 15.000 für notwendig erachte, wollte der Präsident wissen. Und warum erst acht der 40 Wohnblöcke in Bau seien?
Ostapenko sprach von Finanzierungs-, Beschaffungs- und Rekrutierungsproblemen. Dann versicherte er, in gut einem Jahr werde - wie geplant - die erste "Sojus 2"-Trägerrakete von der neuen Startrampe abheben. Das Projekt Kosmodrom ist er trotzdem los, denn nach Putins Schelte nahm Vizepremier Rogosin dem Roskosmos-Chef die Zuständigkeit für Wostotschnij weg.
Rogosin übernimmt die Kontrolle
Der Vizepremier kündigte an, dass er ab sofort alle Arbeiten auf der Baustelle höchstpersönlich koordinieren und kontrollieren werde. Die bisherige Kontrolle "per Joystick" aus dem 5.500 Kilometer entfernten Moskau habe nicht funktioniert.
Rogosin versucht nun, den Präsidenten mit hektischem Aktionismus zu besänftigen. Er drohte "scharfe Maßnahmen" all jenen an, die für Bauverzögerungen verantwortlich seien. Das Projekt erfordere "äußerste Ordnung". "Verletzungen der Finanzdisziplin" in der Vergangenheit werde er "gründlich" nachgehen.
Rogosin erinnerte noch einmal an die gewaltigen Erwartungen, die Russland mit seinem künftig wichtigstem Weltraumbahnhof verbindet. Es gehe nicht nur um den Bau einer neuen Plattform für den Start von Telekommunikations- und Navigationssatelliten. Sondern auch um die Entwicklung eines neuen wissenschaftlichen und ökonomischen Zentrums in Ostasien, das sich um die künftige "Hightech-Stadt" Ziolkowski gruppiere. Sie soll einmal 30.000 Einwohner zählen.
Fertigstellung 2020
Das neue Kosmodrom entsteht auf einer Gesamtfläche von rund 700 Quadratkilometern. Sein administratives Zentrum ist die derzeit für Ausländer noch geschlossene Stadt Uglegorsk mit rund 6.000 Einwohnern. Von 1962 an war hier die 27. Division der Strategischen Raketentruppen stationiert, die im Rahmen des Salt-2-Abkommens aufgelöst wurde. Ab 1993 wurden hier Konversionsraketen des Typs "Start-1.2" gestartet, die fünf Satelliten, darunter vier ausländische, auf ihre Umlaufbahn brachten.
2010 hat Putin hier im Rahmen einer spektakulären Sibirienreise am Steuer eines knallgelben Lada-Kleinwagens den Grundstein für den zivilen Weltraumbahnhof gelegt, dessen Start-, Montage- und Versorgungskomplexe durch 115 Kilometer Straßen und 125 Kilometer Eisenbahngleise verbunden werden. Der erste Raketenstart war für 2015 geplant, 2020 soll Wostotschnij endgültig fertig sein.