
Russlands Raumfahrt Mit neuem Staatskonzern zurück zur Weltspitze
- • Raumfahrtkrise: Erneuter Raketenabsturz schockiert Russland
- • Folge der Sanktionen: Bauteile für Russlands Raumschiffe werden knapp
Die Proton-Rakete dreht sich in der Luft, zerbricht und zerschellt in einem gewaltigen Feuerball. Der Absturz der russischen Rakete in Baikonur am 2. Juli 2013 war einer von vielen Rückschlägen für die einst so erfolgreiche Raumfahrtnation. Mit der Gründung eines neuen Großunternehmens will Russland endlich die Probleme in den Griff bekommen.
Staatliche Korporation Roskosmos, kurz GK Roskosmos, heißt der neue Konzern offiziell. Präsident Wladimir Putin hat die Gründung bereits abgesegnet. In dem Unternehmen wird die im Aufbau befindliche Vereinigte Raketen- und Raumfahrtkorporation (ORKK) mit der bisherigen Raumfahrtagentur Roskosmos zusammengeschlossen.
Die Nachricht von der Fusion hat viele Beobachter überrascht, galt doch die ORKK bisher als das Allheilmittel für die Überwindung der Rahmfahrtkrise. In der Holding sollten alle staatlichen Zulieferbetriebe der Branche gebündelt werden. Die Krise begann 2012 mit mehreren Raketenfehlstarts und hat sich durch den Ukraine-Konflikt und die damit verbundenen Embargos noch verschärft.
Ministerpräsident Dmitrij Medwedjew will nun sämtliche Ressourcen in dem neuen Staatskonzern zusammenführen, sowohl Produktion als auch Forschung. Die Probleme bei der jüngst eingeleiteten Reform der Branche seien "ernsthafter und komplizierter" als angenommen, erklärte er gegenüber Putin. Als Vorbild empfahl Medwedjew die Staatliche Korporation Rosatom. Diese habe ihre Effektivität bei der Erfüllung der wichtigsten staatlichen Aufgaben in der Atomindustrie unter Beweis gestellt.
Putin betonte, er halte den Vorschlag für "richtig", in der Raketen- und Raumfahrtbranche hätten sich viele Probleme angestaut. Vor allem Roskosmos galt als hoffnungsloser Fall. In der Behörde saßen Ex-Generäle an den Schaltstellen, die zwar befehlen konnten, aber kaum managen.
Der Branchenumbau hat bereits begonnen: Oleg Ostapenko, Boss der alten Raumfahrtagentur Roskosmos, musste abtreten, seine Agentur wird faktisch aufgelöst. Als Chef des neuen Konzerns GK Roskosmos wurde ORKK-Chef Igor Komarow gekürt.
Komarow räumte gleich ein, dass die Idee für dieses Unternehmen auch mit der "außenpolitischen Lage und den Sanktionen sowie mit gewissen Turbulenzen in der wirtschaftlichen Situation zu tun hat". Dann gab er die abenteuerlich klingende künftige Marschrichtung vor: Die Hauptaufgabe des neuen Staatskonzerns bestehe darin, "die Konkurrenzfähigkeit zu erhöhen" sowie "Parität und Überlegenheit gegenüber den geopolitischen Gegnern" zu sichern.
Komarow veranschlagt für die Formierung der GK Roskosmos nur ein halbes Jahr, während seine Anfang 2014 gegründete ORPP auch nach einem Jahr noch nicht funktionierte. Wie er das bewerkstelligen will, bleibt sein großes Geheimnis. Die Branche schiebt einen gewaltigen Berg ungelöster Probleme vor sich her: Die Betriebe mit ihren rund 200.000 Mitarbeitern sind nur knapp zur Hälfte ausgelastet, der Maschinenpark ist marode, die Arbeitsproduktivität gering, die Löhne niedrig, es fehlen nahezu die gesamte mittlere Generation der Facharbeiter und ein wirksames Qualitätsmanagement. Jährlich werden 10.000 Hochschulkader spezieller Fachrichtungen gebraucht, die kaum eine Universität zu bieten hat.
Hinzu kommen die Sanktionen für Importe weltraumtauglicher Mikroelektronik-Bauteile, die Russlands Raketen- und Satellitenschmieden zu 90 Prozent aus dem westlichen Ausland bezogen hat. Abhilfe sollen nun die verstärkte Kooperation mit China und anderen asiatischen Partnern sowie der mühsame Aufbau eigener Produktionskapazitäten schaffen.
Rogosin will Hochtechnologie ankurbeln
Kritik übte der neue Chef von GK Roskosmos an den Raumfahrtembargos der USA. Die einzig der Nasa noch erlaubte Zusammenarbeit mit Russland sind bemannte Flüge zur Raumstation ISS. Auf diese sind die Amerikaner freilich angewiesen, weil sie derzeit keine eigenen dafür nutzbaren Raumschiffe besitzen. "Ich bin der Ansicht, dass die Erschließung des fernen Weltraums, der Schutz der Erde vor Asteroiden und die bemannte Raumfahrt von politischen Faktoren unabhängig bleiben müssen", sagte Komarow.
Der für Raumfahrt zuständige Vizepremier Dmitri Rogosin hat bereits drei Ziele für die GK Roskosmos vorgegeben:
Er versprach, "in den nächsten Monaten" eine überarbeitete Fassung des neuen Föderalen Raumfahrtprogramms (FKP) für die Jahre 2016-24 vorzulegen, das auch "Klarheit" hinsichtlich des Schicksals der ISS und der bemannten Raumfahrt schaffen werde. Damit wird dann wohl auch die Frage beantwortet, ob Russland nun eine eigene Raumstation bauen wird oder nicht.
Rogosin beauftragte den Roskosmos-Chef auch, einen Beauftragten zu ernennen, der die Arbeiten auf Russland "Schlüsselbaustelle", dem neuen Kosmodrom Wostotschny im Amur-Gebiet, koordiniert. Das ist der derzeit wohl undankbarste Posten, der zu vergeben ist. Denn Putin hatte den Weltraumbahnhof, mit dem sich Russland von Baikonur in Kasachstan unabhängig machen will, zur Chefsache erklärt.
Dennoch läuft im Fernen Osten einiges schief. Es gibt erheblichen Planverzug, weil es an Fachkräften, Material und sogar an Bauunterlagen fehlt. Damit ist der Ukas Putins in Gefahr, dass hier unbedingt noch 2015 die erste Sojus-2-Trägerrakete unbemannt aufsteigen muss.
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Rakete Proton-M (2013 in Baikonur): Ein neues Staatsunternehmen - die Gossudarstwennaja Korporazija (GK) Roskosmos - soll Russlands Raumfahrt direkt aus der Krise an die Weltspitze katapultieren.
Sojus TMA-15M auf dem Weg zur Startrampe (November 2014): Ministerpräsident Dmitrij Medwedjew will sämtliche Ressourcen in dem neuen Staatskonzern zusammenführen, sowohl Produktion als auch Forschung.
Altes "Sojus"-Raumschiff: Die sowjetischen Raketen und Raumschiffe waren einst der Stolz des Vielvölkerstaats. Russland will nun an erfolgreiche Zeiten anknüpfen.
Abgestürzte Proton-M: Die Krise der russischen Raumfahrt begann 2013 mit Raketenfehlstarts wie diesem und hat sich durch den Ukraine-Konflikt und die damit verbundenen Embargos noch verschärft.
Chef des neuen Staatskonzerns, Igor Komarow: "Ich bin der Ansicht, dass die Erschließung des fernen Weltraums, der Schutz der Erde vor Asteroiden und die bemannte Raumfahrt von politischen Faktoren unabhängig bleiben müssen."
Ex-Roskosmos-Direktor Oleg Ostapenko: Die bisherige russische Raumfahrtagentur wird faktisch aufgelöst, er verlor seinen Job.
Rakete auf Startrampe in Baikonur (November 2014): Die Hauptaufgabe des neuen Staatskonzerns soll darin bestehen, "die Konkurrenzfähigkeit zu erhöhen" sowie "Parität und Überlegenheit gegenüber den geopolitischen Gegnern" zu sichern.
"Sojus"-Start (September 2014): Die Probleme bei der jüngst eingeleiteten Reform der Branche seien "ernsthafter und komplizierter" als angenommen, sagte Ministerpräsident Dmitrij Medwedjew.
Sitzt das Kabel? Der russische Kosmonaut Roman Romanenko beim Training für einen Flug ins All in einer Kapsel des Raumschiffs "Sojus-TMA". Die in den russischen Raumschiffen eingesetzten elektronischen Bauteile werden infolge des Embargos westlicher Länder gegen Russland langsam knapp.
Rakete "Proton-M" vor Start in Baikonur: Die Sanktionen seien "eine Prüfung für den nationalen Charakter" der Russen, sagte Vizepremier Dmitrij Rogosin.
Satellit des Navigationssystems Glonass: Die wichtigsten Bauteile für das mit GPS konkurrierende System will Russland selbst herstellen.
Frachter "Progress" bei Annäherung an die Raumstation ISS (Juli 2010): Die kosmische Strahlung ist für Menschen wie für Bauteile gefährlich. Gute Abschirmung und spezielles Design machen elektronische Bauteile sicher für den Dauerbetrieb im All.
"Sojus TMA-13M" auf der Startrampe (Mai 2014): Um den drohenden Engpass beheben, will Vizepremier Dmitrij Rogosin eine eigene Mikroelektronik-Produktion für die russische Raumfahrtbranche aus dem Boden stampfen.
Rakete "Sojus U" für Cargo-Schiff "Progress M-12M": Die Sanktionen der Europäer und Amerikaner treffen Roskosmos hart. Womöglich werden dringend benötigte Bauteile künftig aus China oder Korea importiert.
Rakete "Proton-M" mit drei Glonass-Satelliten an Bord (Juni 2013): "Wir sind Pragmatiker, Realisten", sagte Rogosin. Man werde weiterhin Raketentriebwerke ins Ausland liefern, trotz der vom Westen gegen Russland verhängten Sanktionen.
Putin beim Ortstermin (2. September 2014): Der russische Präsident ist extrem verärgert über die Verzögerungen auf der Baustelle. Statt Roskosmos-Chef Oleg Ostapenko soll sich zukünftig der für das Militär und die Raumfahrt zuständige Vizepremier Dmitrij Rogosin um die Baustelle kümmern.
Proton-M-Rakete am Weltraumbahnhof Baikonur: Putin will Russland Unabhängigkeit von anderen Startplätzen außerhalb der Landesgrenzen verschaffen - sprich von Baikonur in Kasachstan.
Ferienjobber auf der Weltraumbahnhof-Baustelle: Nach Fertigstellung sollen in Wostotschnij junge, hochqualifizierte Spezialisten die russische Raumfahrt voranbringen. Um sie anzulocken, sollen komfortable Wohnungen, Schulen, Kindergärten und medizinische Einrichtungen entstehen.
Putin, Vize Ostapenko und Roskosmos-Chef Oleg Ostapenko nach der Landung in Wostotschnij: Ostapenko versicherte Putin, in gut einem Jahr werde - wie geplant - die erste "Sojus 2"-Trägerrakete von der neuen Startrampe abheben. 2020 soll Wostotschnij endgültig fertig sein.
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