
Asteroidenmission "Mascot": Auf dem Weg zu 1999 JU3
Deutscher Asteroidenlander "Mascot" Schuhkarton auf großer Fahrt
Wie beschreibt man das Ding am besten, das da vor uns auf dem Tisch liegt? Man könnte ein Puppenhaus ohne Wände und Dach in ihm sehen, mit einem Fachwerk aus schwarzen Kohlefaser-Streben. Dass die unscheinbare Box von der Größe eines Schuhkartons freilich mehr ist als eine vorweihnachtliche Bastelarbeit, das zeigt schon der Aufwand, um sie sehen zu dürfen.
Man muss sich weiße Überziehschuhe mit Gummisohlen überstreifen, einen Kittel, Handschuhe und sogar ein Haarnetz. Die Regeln im Institut für Raumfahrtsysteme des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Bremen sind streng. Wer ins E-Lab ins Erdgeschoss möchte, muss außerdem sein Mobiltelefon ausschalten - um sensible Messtechnik und elektronische Bauteile nicht zu stören. In einem der hellen Reinräume liegt derzeit der Asteroidenlander "Mascot" ("Mobile Asteroid Surface Scout"). Er soll in zwei Jahren mit der japanischen Raumsonde "Hayabusa 2" auf große Fahrt gehen.
Ziel ist ein winziger Himmelskörper namens 1999 JU 3. Er zieht zwischen Mars und Erde seine Bahn und ist gerade einmal einen Kilometer im Durchmesser groß. Vier Jahre wird die Anreise dauern - eine lange Zeit voller Kälte und Strahlung. "Das Modell vor uns geht nächste Woche in die Thermalkammer", sagt Testleiter Christian Grimm. "Da werden die Temperaturen simuliert, die bei der Reise zum Asteroiden auftreten."
"Eventuell einmal mit Wasser in Berührung gekommen"
Asteroiden stammen aus der Frühzeit unseres Sonnensystems. In der öffentlichen Wahrnehmung spielen sie vor allem dann eine Rolle, wenn sie in einem Hollywood-Film auf die Erde zurauschen. Doch die scheinbar so gefährlichen Brocken könnten einst womöglich auch das Leben auf die Erde gebracht haben. 1999 JU 3 hat einen vergleichsweise großen Kohlenstoffanteil - und verfügt über Gestein, das "eventuell einmal mit Wasser in Berührung gekommen ist", so DLR-Planetenforscher Ralf Jaumann.
Es wäre erst das zweite Mal, dass der waghalsige Stunt einer Probenrückführung gelingt - von Mondmissionen einmal abgesehen. Mit der Sonde "Hayabusa 1" hatte die japanische Weltraumagentur Jaxa im Jahr 2010 zum ersten Mal Staub vom Asteroiden Itokawa zur Erde gebracht. Auch wenn es sich nur um wenige Milligramm handelte, die noch nicht einmal mit bloßem Auge sichtbar waren: Die Sammelaktion war wissenschaftlich ein Erfolg. Die japanische Öffentlichkeit war elektrisiert, sogar ein Blockbuster wurde über die Raummission gedreht.
Möglichst langsam auf die Oberfläche
"Hayabusa 2" soll da noch mal einen oben drauf setzen - mit der Hilfe von "Mascot". Damit bei der Aktion möglichst interessantes Material eingefangen wird, soll der Landeroboter als eine Art kosmisches Vorauskommando zum Einsatz kommen. "Wir helfen der Muttersonde, einen geeigneten Ort für die Probensammlung zu finden", sagt Grimm.
Die Sonde wird den Asteroiden zunächst für ein Jahr begleiten - bevor dann der Lander aus etwa hundert Metern Höhe abgesetzt wird. Wichtig ist, dass das Kistchen möglichst langsam auf der Oberfläche auftrifft - damit es nicht wie ein Pingpongball wegspringt. Und das wäre schon bei einer Geschwindigkeit von 32 Zentimetern in der Sekunde der Fall. In der Schwerelosigkeit eines Parabelflugs haben die DLR-Fachleute den Abwurfmechanismus für die sanfte Annäherung bereits erprobt.
Ursprünglich hatten die Europäer mit einem Roboter selbst Material von einem Asteroiden einsammeln wollen. Doch dann wurde die Mission "Marco Polo" eingestampft. Nun ist das DLR zusammen mit der französischen Raumfahrtbehörde CNES als Juniorpartner bei der japanischen Reise dabei. "Hayabusa 2" war schon bis ins Detail durchgeplant, als "Mascot" - halbfertig - dazu kam.
Bis zu 200 Meter weite Sprünge
Deswegen müssen sich die DLR-Techniker sputen. An Bord hat der Lander neben Messgeräten für Temperatur und Magnetfeld eine Weitwinkelkamera und ein Mikroskop, mit dem sich auch Spektralanalysen durchführen lassen. "Wir wollten alles so einfach wie möglich machen", sagt Testleiter Grimm. "Deswegen gibt es zum Beispiel keine ausklappbaren Solarpaneele."
Das bedeutet aber auch: Wenn der Strom der einzigen Lithium-Ionen-Batterie an Bord zur Neige geht, ist das Schicksal des Landers besiegelt. Und das wird schon 16 Stunden nach dem Aufschlag auf 1999 JU 3 soweit sein. "Das klingt nach wenig. Aber für den Nutzen, den 'Mascot' liefern soll, ist das genug", versichert Ross Findlay, Systemingenieur in Bremen.
16 Stunden, das sind auf 1999 JU 3 genau zwei Tage - und die werden turbulent. Denn der Landeroboter soll mehrere Stellen des Asteroiden besuchen, um das perfekte Ziel für "Hayabusa 2" auszukundschaften. Dazu kann er mit Hilfe einer Erfindung der DLR-Kollegen in Oberpfaffenhofen hüpfend seine Position wechseln. An dem Modell im Reinraum kann man den Mechanismus dazu schon gut erkennen: An einem Schwungarm ist ein kleines, kompaktes Gewicht aus dem Metall Wolfram angebracht.
"Je schneller wir die Schwungmasse bewegen, desto weiter können wir hüpfen", erklärt Christian Grimm. Weil die Schwerkraft auf dem Asteroiden so winzig ist, reicht der Impuls für Sätze bis zu 200 Meter. Zwei Hüpfmanöver sind geplant. Dann geht dem fliegenden Schuhkarton die Puste aus.
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