

Die Verantwortlichen wussten schon länger, dass der Termin nicht mehr zu halten war. In Wostotschnij, im Fernen Osten nahe der chinesischen Grenze, entsteht ein neuer Weltraumbahnhof - eine Art russisches Cape Canaveral. Aber der für 2015 geplante erste Start kann nicht stattfinden. Und niemand traute sich, die unangenehme Wahrheit zu verkünden.
Denn immerhin handelt es sich um ein Prestigeobjekt des Präsidenten Wladimir Putin, mit dem er Russland auf dem eigenen Territorium einen unabhängigen Zugang zum All sichern will. Bislang sind bemannte Starts nämlich nur vom Kosmodrom Baikonur möglich, das nach dem Zerfall der UdSSR in Kasachstan liegt.
Erste Starts 2016?
Und so musste Putin jetzt persönlich einschreiten. Bei einem Inspektionsbesuch sagte er den ursprünglich für den 1. Weihnachtsfeiertag anberaumten Erststart einer Sojus-2-Rakete mit zwei Wissenschaftssatelliten ab - wegen des "großen Planverzugs" von durchschnittlich vier Monaten.
"Konzentrieren Sie sich auf die ersten Starts im Jahr 2016, irgendwann im Frühling", rief er den Bauleuten zu. Ein exaktes Datum gab der Kreml-Chef nicht vor. Wenn man das aber zum Internationalen Tag der Raumfahrt am 12. April schaffe, "ist das gut", fügte er hinzu. An diesem Tag vor 55 Jahren war Jurij Gagarin als erster Mensch in den Weltraum geflogen.
Experten begrüßten die Entscheidung, den Termin zu verschieben. Das biete die Möglichkeit, angefangene Arbeiten korrekt zu Ende zu führen und alle fertigen Anlagen noch einmal gründlich zu überprüfen.
Für den Raumfahrtanalytiker Alexandr Shelesnjakow von der Ziolkowski-Akademie ist die späte Bekanntgabe jedoch "systembedingt". In Russland spreche man nicht gern über Misserfolge, vor allem nicht, wenn diese im Kontrollbereich des Präsidenten liegen.
Mangelnde Kontrolle von Spezstroj und Roskosmos
Putin zeigte erstaunlich viel Verständnis für die Planrückstände. Es handele sich bei Wostotschnij um ein "grandioses" Projekt, das technisch weltweit Maßstäbe setze. Auf vergleichbaren Baustellen im Ausland "war die Verzögerung ähnlich groß", sagte er. Scharf kritisierte Russlands Präsident dagegen, dass von den 2,6 Milliarden Euro für das Kosmodrom aus dem Staatsbudget erst etwa 1,4 Milliarden vertraglich gebunden sind und davon wiederum nur ein gutes Drittel verbaut wurde.
Putin warf in diesem Zusammenhang dem Hauptauftragnehmer Spezstroj und der Raumfahrtagentur Roskosmos mangelnde Kontrolle vor und forderte die Bestrafung der Verantwortlichen.
Nach Ansicht des für das Militär und die Raumfahrt zuständigen Vizepremiers Dmitri Rogosin sind die westlichen Sanktionen eine der Hauptursachen für den Verzug. Durch sie sei man genötigt gewesen, Importtechnik kurzfristig durch eigene zu ersetzen, erläuterte er dem Präsidenten. Ferner habe es 20 Fälle von Misswirtschaft, Betrug und Korruption gegeben, mit denen sich jetzt die Generalstaatsanwaltschaft befasse.
Energieversorgung nicht gesichert
Putin hatte im November 2007 den Ukas für den Bau von Wostotschnij unterzeichnet, aber erst 2012 nahmen die Arbeiten Fahrt auf. Das neue Kosmodrom entsteht 5500 Kilometer von Moskau entfernt auf einer Gesamtfläche von rund 700 Quadratkilometern.
Der Präsident hatte die Baustelle 2014 als "größtes gesamtnationales Projekt" bezeichnet. Es geht immerhin um Russlands Unabhängigkeit von anderen Startplätzen außerhalb der Landesgrenzen - sprich: von Baikonur in Kasachstan - und um die Stärkung der Position als führende Raumfahrtmacht. Moskau zahlt Kasachstan 115 Millionen Dollar Miete pro Jahr, kann aber nur eine begrenzte Anzahl von Starts in Baikonur durchführen.
Noch vor Kurzem hatte Rogosin versichert, bis Ende November würden zumindest die zwölf Objekte des sogenannten Start-Minimums fertiggestellt - darunter die Startrampe, der Montage- und Testkomplex (MIK), das Kontrollzentrum und die Betankungsanlagen.
Doch nicht einmal dieses Versprechen kann eingelöst werden. Auch fehlt bisher eine stabile Strom-, Wasser- und Wärmeversorgung, obwohl der sibirische Winter mit Temperaturen unter minus 40 Grad vor der Tür steht. Zuvor war schon klar, dass der erste bemannte Start der neuen Angara-A5W-Rakete von hier nicht wie geplant 2018, sondern wohl erst 2025 stattfinden kann. Damit kann das Kosmodrom auch seine Rolle als "Lokomotive" der regionalen Entwicklung vorerst nur sehr eingeschränkt wahrnehmen.
Inzwischen geht schon die Angst um, die Baustelle könnte zu einem Dauerproblemfall werden. Vielleicht war ja Deutschland-Kenner Putin angesichts des Negativbeispiels BER deshalb auch so vorsichtig mit seiner Eröffnungsprognose.
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Baustelle des neuen Kosmodroms in Wostotschnij: Russlands Problemprojekt
Putin bei Besuch im Kosmodrom im Oktober: "Konzentrieren Sie sich auf die ersten Starts im Jahr 2016, irgendwann im Frühling", rief er den Bauleuten zu. Den ersten noch Ende 2015 geplanten Start musste Russlands Präsident absagen.
Kosmodrom Baikonur: Mit Wostotschnij will sich Russland unabhängig machen von anderen Startplätzen außerhalb der Landesgrenzen. Der bislang genutzte Weltraumbahnhof Baikonur liegt in Kasachstan.
Proton-M-Rakete am Weltraumbahnhof Baikonur: Russland zahlt Kasachstan 115 Millionen Dollar Miete pro Jahr, kann aber nur eine begrenzte Anzahl von Starts in Baikonur durchführen.
Inspektion der Baustelle (Oktober 2015): Laut Putin handelt es sich bei Wostotschnij um ein "grandioses" Projekt, das technisch weltweit Maßstäbe setze.
Russlands Präsident (rechts) und Roskosmos-Chef Igor Komarov (links): Putin warf dem Hauptauftragnehmer Spezstroj und der Raumfahrtagentur Roskosmos mangelnde Kontrolle vor und forderte die Bestrafung der Verantwortlichen.
Ferienjobber auf der Weltraumbahnhof-Baustelle (September 2014): Nach Fertigstellung sollen in Wostotschnij junge, hochqualifizierte Spezialisten die russische Raumfahrt voranbringen. Um sie anzulocken, sollen komfortable Wohnungen, Schulen, Kindergärten und medizinische Einrichtungen entstehen.
Putin, Vize Dmitry Rogozin und Roskosmos-Chef Oleg Ostapenko nach der Landung in Wostotschnij (September 2014): Noch damals versicherte Ostapenko Putin, Ende 2015 werde die erste "Sojus 2"-Trägerrakete von der neuen Startrampe abheben.
Rakete Proton-M (2013 in Baikonur): Ein neues Staatsunternehmen - die Gossudarstwennaja Korporazija (GK) Roskosmos - soll Russlands Raumfahrt direkt aus der Krise an die Weltspitze katapultieren.
Sojus TMA-15M auf dem Weg zur Startrampe (November 2014): Ministerpräsident Dmitrij Medwedjew will sämtliche Ressourcen in dem neuen Staatskonzern zusammenführen, sowohl Produktion als auch Forschung.
Altes "Sojus"-Raumschiff: Die sowjetischen Raketen und Raumschiffe waren einst der Stolz des Vielvölkerstaats. Russland will nun an erfolgreiche Zeiten anknüpfen.
Abgestürzte Proton-M: Die Krise der russischen Raumfahrt begann 2013 mit Raketenfehlstarts wie diesem und hat sich durch den Ukraine-Konflikt und die damit verbundenen Embargos noch verschärft.
Chef des neuen Staatskonzerns, Igor Komarow: "Ich bin der Ansicht, dass die Erschließung des fernen Weltraums, der Schutz der Erde vor Asteroiden und die bemannte Raumfahrt von politischen Faktoren unabhängig bleiben müssen."
Ex-Roskosmos-Direktor Oleg Ostapenko: Die bisherige russische Raumfahrtagentur wird faktisch aufgelöst, er verlor seinen Job.
Rakete auf Startrampe in Baikonur (November 2014): Die Hauptaufgabe des neuen Staatskonzerns soll darin bestehen, "die Konkurrenzfähigkeit zu erhöhen" sowie "Parität und Überlegenheit gegenüber den geopolitischen Gegnern" zu sichern.
"Sojus"-Start (September 2014): Die Probleme bei der jüngst eingeleiteten Reform der Branche seien "ernsthafter und komplizierter" als angenommen, sagte Ministerpräsident Dmitrij Medwedjew.
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