Simulation Kosmologen erschaffen die Milchstraße neu
Zürich - Seit Jahrzehnten haben Kosmologen versucht, die Entstehung unserer Welt zu verstehen. Doch es war frustrierend: Ihre Computersimulationen scheiterten daran, die Bildung der Milchstraße nachzubilden. Aus dem virtuellen kosmischen Nebel wollte sich einfach keine Spiralgalaxie formen. Mal drängelten sich zu viele Sterne im Zentrum der Galaxien, oder der Computer erschuf eine viel zu hohe Gesamtmasse an Sternen. Hatten die Experten etwa die astronomischen Gesetze missverstanden?
Fast 20 Jahre lang schlugen sich die Astrophysiker mit solchen Problemen herum. Doch jetzt meldet ein Forscherteam aus Kalifornien und der Schweiz Erfolg: Sie präsentieren eine Simulation zur Entwicklung einer Galaxie - und ihr virtueller Spiralnebel ähnelt unserer Milchstraße. Die Ergebnisse zeigen außerdem: Am äußersten Rand unserer Heimatgalaxie könnten Sterne existieren, welche die Forscher bislang übersehen haben.
Die komplexe Simulation war selbst für den Großcomputer ein Kraftakt. Die Rechenmaschine zerlegte die Milchstraße zunächst in 18,6 Millionen Teile, alle standen miteinander in Wechselwirkung. Monatelang hatten drei Supercomputer gerechnet, ein PC wäre damit 570 Jahre beschäftigt gewesen. Entscheidend für die Galaxie-Entwicklung ist offenbar neben den bekannten Naturgesetzen wie Gravitation, Strahlenphysik und Hydrodynamik die mysteriöse Dunkle Materie.
Dunkle Materie lässt es leuchten
Die "Kalte Dunkle Materie" (Englisch: cold dark matter, CDM) ist eine hypothetische Form der Materie. Sie ist unsichtbar, also "dunkel", da sie mit Licht oder anderen elektromagnetischen Wellen nicht wechselwirkt. Mit ihrer Hilfe wollen die Astrophysiker beispielsweise erklären, warum Galaxien so schnell rotieren, ohne dabei von Fliehkräften zerrissen zu werden. Eine unsichtbare Substanz - eben die Dunkle Materie - scheint dies mit ihrer Schwerkraft zu verhindern. Seit Jahrzehnten fahnden die Forscher nach dem ominösen Sternenkitt, bislang jedoch erfolglos. Trotzdem gehen die meisten Astronomen von ihrer Existenz aus. Die CDM-Materie soll sogar fünfmal häufiger sein als die die Atome der konventionellen Materie - und aus dieser wiederum bestehen Galaxien, Sterne, Planeten und der ganze sichtbare Rest.
Die Dunkle Materie setzt der neuen Simulation zufolge die Galaxie-Entstehung in Gang: "Unser Ergebnis zeigt, dass eine realistische Spiralgalaxie geformt werden kann, wenn man vom Konzept der Kalten Dunklen Materie ausgeht", erklärt Lucio Mayer von der ETH Zürich. Sie ist, so die Theorie, aus schweren, langsamen Partikeln aufgebaut. In den Jugendtagen des Universums sollen sich daraus zunächst Verklumpungen gebildet haben, in die dann die gewöhnliche Materie, hauptsächlich Wasserstoff, hineinstürzte - der Startschuss für die Bildung von Sternen und Galaxien. Doch bei Simulationen solcher Prozesse konnten bislang keine Spiralgalaxien erzeugt werden. Das echte Universum hingegen ist voll davon - Zweifel an der Korrektheit der Hypothese der Kalten Dunklen Materie waren deshalb unausweichlich.
Energie aus der Sternenexplosion
Die neue Berechnung - sie wurde nach einer Göttin aus der griechischen Mythologie Eris-Simulation genannt - zeigt aber nun, dass in einem Gebilde, das sich später zu einer Spiralgalaxie formt, die Sternentstehung in gigantischen Gaswolken stattfindet. Das Gas der Riesenwolken weist eine hohe Dichte auf. Dort geht die Sterngeburt ungleichmäßig vonstatten, große Gruppen von Sternen finden in den Wolken zusammen. In dem astronomischen Ballungsgebiet explodieren Sterne bei sogenannten Supernovae.
Die Hitze katapultiert schließlich Materie aus dem Verbund des Sternensystems: "Die Supernovae produzieren Gas-Abflüsse aus dem inneren Teil der Galaxie. Dort würden sich ansonsten zu viele Sterne bilden und eine große Aufwölbung ausbilden", erläutert Piero Madau von der University of California. "Die Sternentstehung in Haufen und der Energieeintrag durch Supernovae sind die Zutaten, die den Erfolg der Simulation ausmachen." Die Rechnung reproduziere auch die korrekte Gesamtmasse aller Milchstraßensterne und andere Kenndaten unserer Galaxis, wie sie von den Astronomen beobachtet werden.
Doch nicht alle Kollegen sind überzeugt. Pavel Kroupa von der Universität Bonn glaubt weder an die Existenz der Dunklen Materie noch daran, dass die Basisannahmen der Simulation realistisch sind. Der Experte für Stellardynamik kritisiert: Die Gasdichte, ab der die Sternentstehung einsetzt, sei bei Eris viel zu hoch angesetzt. Generell würden CDM-Simulationen dazu tendieren, diesen Wert eher willkürlich, wie einen frei wählbaren Parameter, zu behandeln.
Der Streit könnte also noch andauern. Immerhin wagen die Eris-Astronomen aufgrund ihrer neuen Simulation eine Prognose: Am Rand der Milchstraße, in 600.000 Lichtjahren Distanz, sollen noch unentdeckte Sterne und Gaswolken existieren. Ein entsprechender Fund könnte der Simulation - und ihrer CDM-Grundlage - Gewicht verleihen. Doch Geduld ist angeraten: Erst die nächste Generation von Großteleskopen und Raumsonden wäre imstande das schwache Glimmen vom Ende der Welt zu erhaschen - und die Eris-Simulation zu bestätigen.