"Stardust"-Projekt Kometen-Staubkörner widerlegen Theorien über Sonnensystem
Seit die Apollo-Missionen zum Mond in den siebziger Jahren zu Ende gingen, haben Menschen keine festen Bestandteile von Himmelskörpern aus dem All zur Erde gebracht. Dass eine kleine Raumsonde drei Jahrzehnte später wieder damit anfing, war im vergangenen Jahr immerhin eine Nachricht wert - Bilderbuchlandung in der Wüste von Utah. Das war im Januar.
Fast auf den Tag genau elf Monate später macht die kaum vorstellbar leichte Ausbeute an Staubkörnen, die "Stardust" vom Kometen Wild 2 heimgebracht hat, Furore in der Wissenschaftswelt. Die Forscher müssen ihre Vorstellungen darüber revidieren, wie Kometen zusammengesetzt sind - und wie die Materie bei der Entstehung unseres Sonnensystems verteilt war.
"'Stardust' hat uns eine Menge Futter zum Nachdenken gebracht", schreibt Michael A'Hearn, Forscher an der University of Maryland und wissenschaftlicher Leiter der "Deep Impact"-Kometenmission, in einem Kommentar im Wissenschaftsmagazin "Science". Das renommierte Blatt veröffentlicht in seiner aktuellen Ausgabe gleich sieben Forschungsberichte, an denen insgesamt mehr als 180 Wissenschaftler mitgearbeitet haben - eine ungewöhnliche Häufung. Auch Experten des Mainzer Max-Planck-Institutes (MPI) für Chemie, des Garchinger MPI für extraterrestrische Physik und der Universität Münster waren daran beteiligt. Das Titelblatt von "Science" (Bd. 314) schmückt ein hellblau leuchtender Aerogel-Würfel.
Flug im Staubschweif des Einzelgängers
In diesem ungewöhnlichen Stoff hatte die Raumsonde "Stardust" im Januar 2004 Staubpartikel eingefangen, die sich von Wild 2 gelöst hatten. Im Februar 1999 war die Sonde gestartet und hinter die Marsumlaufbahn hinaus ins Weltall zum Rendezvous mit dem kosmischen Einzelgänger geflogen. Auf weniger als 250 Kilometer näherte sich "Stardust" dem unförmigen Eisbrocken.
4,6 Milliarden Kilometer flog das kleine Raumschiff, bevor es in Utah landete - und nach sieben Jahren Missionszeit rund tausend feine Krümel aus der Staubwolke des Kometen für die irdischen Labors mitbrachte. Die gesamte Ausbeute wiegt nur etwa ein Tausendstel Gramm.
Die ersten Analysen zeigen: Der harte Brocken Wild 2 besteht nicht allein aus dem Material vom fernen Rand des Sonnensystems, sondern trägt auch mineralische Bestandteile aus dessen heißem Zentrum in sich. "Das ist so überraschend, wie einen Stein aus Neuseeland in seinem Vorgarten zu finden", sagte Forschungsleiter Don Brownlee von der University of Washington in Seattle. Dieser Überraschungsfund passt nur überhaupt nicht zu der Vorstellung, dass der Geburtsort des Kometen vor 4,6 Milliarden Jahren am Rand unseres Sonnensystems lag, in der kalten Region jenseits von Neptun und Pluto - wo es damals nur wenige, kalte Materialien gegeben hat. Jedenfalls war dies die bisherige Lehrmeinung.
Unerwartet: Material aus dem heißen Zentrum
Doch bis zu einem Zehntel der Mineralien aus dem Kometenstaub seien bei der Entstehung des Himmelskörpers mehr als 1700 Grad Celsius heiß gewesen, schreiben die Forscher in "Science". Deshalb müssen sie aus dem inneren Sonnensystem herausgeschleudert worden seien, folgern sie. Das bedeute, dass sich bei der Entstehung des Sonnensystems viel mehr Stoffe miteinander gemischt haben als bisher angenommen, sagte Brownlee. Er schätzt, dass bis zu zehn Prozent des Kometenmaterials aus dem inneren Sonnensystem kamen. "Das ist eine echte Überraschung, weil der allgemeinen Vorstellung entsprechend Kometen nur aus interstellarem Staub und Eis bestehen sollten."
Zwar hatte im Herbst 2005 "Deep Impact" vom Kometen Tempel 1 Analysen zur Erde gefunkt, aus denen zu schließen war: Der Klumpen besteht aus dreckigem Eis. Doch diese spektrometrischen Beobachtungen entstanden aus der Ferne, als "Deep Impact" den Eisball beschossen hatte. Proben hatte die Raumsonde nicht eingesammelt.
Im Tausendstel Gramm von Wild 2 fanden die Forscher nicht nur Körnchen aus dem heißen Zentrum, aus dem sich unsere Sonne gebildet hat. Sie stießen auch auf ein seltenes Mineral, das aus einigen Meteoriten bekannt ist - die zu den allerältesten Proben des Sonnensystems gehören.
Wie genau die Durchmischung im entstehenden Sonnensystem stattgefunden haben könnte, die diese Materialien in die kühlen Randbezirke brachte: Das gehört zu den neuen Rätseln, die "Stardust" aufgeworfen hat.
stx/AP/dpa