Sternwarte des Vatikans Dem Himmel so nah

In der Sternwarte des Papstes erforschen Priester den Urknall und Schwarze Löcher. Gott ist ihnen nicht im Weg, nur die Straßenlaternen - und ein paar Glaubensbrüder, die man mühsam davon überzeugen muss, dass Wissenschaft kein Teufelswerk ist.
Von Max Rauner

Der Papst guckt zu. Ein sanftes Lächeln auf den Lippen, die Hände im Schoß, darunter die Signatur "Benedictus XVI". Gegenüber eine Großaufnahme vom Mond, auf vier Bilderrahmen verteilt. Der Mond ist größer, aber der Papst hängt höher.

Zwischen Papst und Mond haben sich 35 Astrophysiker in Plastikstühle mit Klapptisch gezwängt. Einige surfen mit ihren Laptops im Internet, vorne hält jemand einen Vortrag über Schwarze Löcher im frühen Universum.

Die internationale Forscherelite ist zu Gast im Vatikan. Auf dem Sommersitz des Papstes in Castel Gandolfo, 25 Kilometer vor Rom, diskutieren die Astrophysiker, wie die ersten Galaxien im Universum entstanden sind. Der Papst selbst ist abgereist. Zwei Monate verbrachte er im vergangenen Jahr auf seinem Sommersitz, schrieb an der neuen Enzyklika, empfing heimlich den Kirchenkritiker Hans Küng und winkte sonntags den Touristen zu. Nun sind alle weg, die Leibwächter und Polizisten, die Köche, Kardinäle und Hans Küng. Nur der Pförtner ist noch da - er macht den Astrophysikern das Tor auf.

Im Ostflügel der Sommerresidenz unterhält der Vatikan eine eigene Sternwarte mit Teleskopen und forschenden Priestern. Und die hatten zur Konferenz über Schwarze Löcher und aktive Galaxienkerne geladen. Drei Dutzend Physiker reisten an - und waren überrascht, dass der Papst sogar drahtlosen Internetzugang hat. Weiße Computer stehen in den Büros, mit dem angebissenen Apfel im Logo, wie zur Erinnerung an den Sündenfall.

Vor knapp 400 Jahren machte die katholische Kirche Galileo Galilei den Prozess, heute gibt sich das Vatikan-Observatorium alle Mühe, Teil der wissenschaftlichen Gemeinschaft zu sein.

Specola Vaticana, die Sternwarte des Vatikans, ist das Testlabor für die Annäherung der Kirche an die Wissenschaft. Nirgendwo kuscheln Glauben und Wissen so offen wie hier. Die Sternwarte des Papstes ist das einzige Forschungsinstitut des Vatikans. Hier glauben Priester an Relativitätstheorie und Quantenphysik, an Darwins Evolutionstheorie, Plattentektonik und den Urknall. Morgens feiern sie die Messe, tagsüber schreiben sie Fachartikel für "The Astronomical Journal" oder "Astronomy and Astrophysics". Papst und Mond, beten und forschen, in Castel Gandolfo geht beides zusammen.

George Coyne, 73 Jahre alt und Chef der Sternwarte, hält eine kurze Begrüßungsrede zu Beginn der einwöchigen Astro-Konferenz. Er trägt einen fluffigen Wollpullover und ausgetretene Schuhe. Kein Priestergewand. Mit einem Augenzwinkern verspricht er den Forschern: "Wir wollen euch Atheisten nicht bekehren."

Das wäre eine Herausforderung. "Ich wundere mich, dass die keine Probleme mit uns haben", sagt Luis Ho von den Carnegie Observatories in Pasadena, Kalifornien, in der Kaffeepause, "religiöser Glaube steht doch schon per Definition im Widerspruch zur Natur." Ein anderer Astronom nippt seinen Kaffee vor einer Tafel mit Bronzegesichtern. "Keine Ahnung, was die gemacht haben", murmelt er. Gregor XIII., Leo XIII. und Pius XI. sind darin eingegossen, Gründer und Förderer der päpstlichen Astronomie. Der Katholizismus ist für die Wissenschaftler auf dieser Konferenz nur mehr Folklore, die man auch getrost ignorieren kann.

Nur dem Münchner Astrophysiker Reinhard Genzel, der das Schwarze Loch im Zentrum unserer Milchstraße erforscht, war etwas mulmig, als er zum ersten Mal durch das schwere Holztor trat. "Da sieht man links oben vor dem inneren Auge die Inquisition." Aber die Konferenz ist gut, und die Astro-Jesuiten respektiert er. "Das sind echte Astronomen." Und wie George Coyne im Vatikan die Fahne der Wissenschaft hochhält, das findet Genzel bewundernswert.

In der Geschichte der katholischen Kirche gab es immer mal wieder Päpste, die den Naturwissenschaften zugetan waren. Gregor XIII. ließ 1576 einen Beobachtungsturm bauen, um den Sonnenstand besser bestimmen zu können. Bald darauf ordnete er die Kalenderreform an. 1891 gründete Leo XIII. die Sternwarte. Die Päpste gucken auch selbst durchs Fernrohr, wenn sie den Sommer auf Castel Gandolfo verbringen.

Zwei Kuppeln schmücken den Palast, und sie überwölben keine heiligen Säulenhallen, sondern die beiden Teleskope der Specola. Mit ihnen blickt man allerdings nicht viel weiter als bis zu den Sternen unserer Milchstraße, denn die Instrumente stammen aus den 1950er Jahren und sind veraltet. Außerdem ist es in Castel Gandolfo zu diesig und hell für moderne Astronomie - Lichtverschmutzung durch Straßenlaternen und Autoscheinwerfer. Auf einem Berg in Arizona, USA, unterhält das Vatikan-Observatorium deshalb eine Zweigstelle mit einem modernen Teleskop, in Castel Gandolfo werden die Daten ausgewertet und Konferenzen veranstaltet.

Jesuiten betreiben traditionell die Astrophysik im Vatikan. Der Jesuitenorden, gegründet im 16. Jahrhundert von Ignatius von Loyola, gilt als intellektuelle Elite der Katholiken. Jesuiten geloben Keuschheit und Papsthörigkeit. Rund zehn Jahre dauert die Ausbildung. Sie studieren neben Theologie noch ein anderes Fach, ihre Ordenszugehörigkeit erkennt man am Namenszusatz SJ, was offiziell "Societas Jesu" heißt.

Manchmal wird SJ auch mit "Schlaue Jungs" übersetzt. Ganz oben, im fünften Stock des Sommersitzes, haben die Jungs ihre Büros, ausgestattet mit altem Parkett und dunklen Holzregalen, aber nicht prunkvoll. Zwölf astrophysikalisch geschulte Priester gehören der Specola Vaticana an. Ein schmaler Flur verbindet die Büros, das Parkett knirscht.

Gabriele Gionti, mit 37 Jahren die Nachwuchshoffnung der Specola, sitzt am Schreibtisch und bereitet einen Vortrag vor. Die Vereinigung von Gravitation und Quantenphysik ist sein Thema, die so genannte Quantengravitation, vulgo Weltformel. Er schreibt mathematische Zeichen auf eine Folie. Am Fuß der Schreibtischlampe hält Maria das Jesusbaby und guckt zu, beide mit Heiligenschein ausgestattet und auf ein Holzklötzchen gemalt.

Gionti ist religiös vorbelastet. Sein Vater wurde von Priestern unterrichtet, sein Großonkel war Missionar in China und wurde von Mao vertrieben. Gionti studierte Astrophysik und lebte in einer säkularen Welt, bis seine Kindheit ihn einholte. "Ich brauchte etwas, um meine spirituellen Bedürfnisse zu nähren." Vor sechs Jahren wurde er Jesuit.

Bestand Jesus aus Sternenstaub, und "wo zur Hölle kam das Licht her?" Wie die päpstlichen Forscher versuchen, das Universum zu verstehen

Im praktischen Leben muss Gionti jetzt alles teilen, das ist Vorschrift. "Das war schon etwas hart", sagt er. Früher hat er ein unabhängiges Leben geführt, jetzt lebt er in Gemeinschaft. Bevor er seine Eltern besucht, muss er den Gruppenvorstand fragen. Das Leben in Keuschheit stört ihn nicht. Als Student hatte er Beziehungen zu Frauen. "Ich bin heute glücklicher mit meinem Leben als früher."

Für Gionti gibt Gott konkrete Hilfestellung. Zum Beispiel bei der Entscheidung, ob er der Stringtheorie oder der Quantengravitation folgen soll, zwei konkurrierende Schulen in der Kosmologie. Das sei wie beim heiligen Ignatius, dem Ordensgründer, sagt Gionti, der wollte nach Jerusalem gehen, aber da herrschte Krieg, also ging er nach Rom, um Gott zu dienen. Die Entscheidung für einen bestimmten Weg entspringt der Eingebung und den Möglichkeiten. "Es sieht so aus, als würde Gott mich Richtung Quantengravitation führen." Für nichtreligiöse Menschen mag das albern klingen, und Gionti würde anderen Astrophysikern auch nicht raten, zum Katholizismus zu konvertieren, nur um bessere Wissenschaft zu machen. Es ist eine persönliche Angelegenheit.

Alessandro Omizzolo hat als Priester nicht alle Laster abgelegt: Er raucht. Der 49-Jährige hat die Konferenz organisiert, sein Spezialgebiet sind Riesengalaxien am Rand des Universums. Von Montag bis Freitag arbeitet er als Astrophysiker, am Wochenende zelebriert er die Messe mit einem befreundeten Priester in einer Dorfkirche. Sein großes Projekt ist die Digitalisierung alter Sternaufnahmen.

In den Schränken der Specola lagern rund 10.000 Fotoplatten, aufgenommen zwischen 1894 und 1986 mit den päpstlichen Teleskopen. Omizzolo scannt sie ein und brennt die Daten auf DVD, ein Drittel hat er schon geschafft. "Viel Arbeit", sagt der Jesuit. Arbeit, die ihm Gott näher bringt. "Was wir sehen, ist so schön und großartig, als Mensch frage ich mich: Woher kommt das?" Er bläst Rauch in die Luft, als würde darin die Antwort liegen. Ist ein gläubiger Astrophysiker der bessere Wissenschaftler? Omizzolo sagt: "Der gläubige Astrophysiker will das Universum verstehen, so wie der Verliebte sein Gegenüber erkennen will."

George Coyne, der Chef der Sternwarte, hat sein Büro gleich neben der Kuppel mit dem Zeiss-Teleskop. Er hat die schönste Aussicht, besser als die des Papstes im Westflügel. Von der Terrasse, groß wie ein Tennisplatz, blickt er hinunter auf den Lago d'Albano, am Horizont sieht er die Ausläufer von Rom. Und am Himmel? Was sieht ein strenggläubiger Astronom, wenn er mit Teleskopen in den Himmel schaut? "Zunächst mal sehe ich Sterne", sagt Coyne, "und ich versuche sie als Wissenschaftler zu verstehen. Ich mache Forschung wie andere Wissenschaftler auch, ob sie nun Atheisten sind oder an Gott glauben."

Mit dem Weltbild der modernen Physik hat Coyne keine Probleme. Das Universum entstand vor rund 14 Milliarden Jahren im Urknall und dehnt sich seitdem immer weiter aus. Die ersten Sterne bildeten sich nach einigen Millionen Jahren und schleuderten nach ihrem Ableben Elemente wie Kohlenstoff ins All, ohne die es heute kein Leben geben würde. Auch Menschen bestehen letzten Endes aus Sternenstaub. Und Jesus? Coyne beugt sich in seinem Bürostuhl nach vorne. "Wenn er wahrer Mensch und wahrer Gott ist, dann ist auch Jesus aus Sternenstaub. Anders kann man nicht Mensch sein." Ärger, sagt Coyne, bekomme er für solche Äußerungen nicht. "Dafür hört man mir nicht genug zu."

Coyne lässt nicht locker. Immer dann, wenn mal wieder ein katholischer Würdenträger auf die Naturwissenschaft schimpft, tritt er auf den Plan, um den Schaden zu begrenzen - so im vergangenen Herbst, als der Wiener Kardinal Christoph Schönborn in einem Artikel für die "New York Times" an der Evolutionslehre krittelte. Coyne antwortete postwendend mit einem Beitrag für die britische Zeitung "The Tablet". "Wer die Erkenntnisse der modernen Naturwissenschaft ernst nimmt", schrieb er, "muss die Vorstellung eines Diktator- oder Designer-Gottes überwinden, eines Gottes, der die Welt wie ein Uhrwerk geschaffen hat."

Auch den Papst interpretiert Coyne mitunter öffentlich, etwa dessen jüngste Anmerkung, die Schöpfung sei ein "intelligentes Projekt". Das verstanden viele als Solidaritätserklärung mit der pseudowissenschaftlichen Schöpfungslehre vom Intelligent Design. Unterstützt Ratzinger die Gegenaufklärung? "Der Papst meinte damit in keiner Weise Intelligent Design, wie es in den USA verstanden wird", sagt Coyne. "Ratzinger ist dafür viel zu klug und aufgeschlossen gegenüber der Wissenschaft."

Natürlich glaubt Coyne an Gott. Gott ist der Schöpfer des Universums, Er hat die Naturgesetze gemacht, und Er wirkt im Universum. "Aber das ist ein Glaubensbekenntnis, keine Wissenschaft. Die Wissenschaft ist gegenüber theologischen und philosophischen Schlussfolgerungen absolut neutral."

Aber was ist mit der Genesis? Mit den sieben Tagen der Schöpfung? "Das ist eine wunderschöne Geschichte, aber keine Wissenschaft", sagt Coyne, "am ersten Tag machte Gott das Licht, und am vierten Tag schuf er die Sonne und die Sterne. Nur, mit Verlaub, wo zur Hölle kam am ersten Tag das Licht her, wissenschaftlich gesprochen?" Ein versöhnlich gestimmter Wissenschaftler hat Coyne vorgeschlagen, es könne sich bei dem Licht aus der Bibel um die Mikrowellen-Hintergrundstrahlung handeln, die das gesamte All erfüllt, das Echo des Urknalls. "Das ist absurd", sagt Coyne, "die Hintergrundstrahlung wurde in den 1960er Jahren entdeckt, ein Autor der Genesis konnte das nicht vorhersehen."

Coyne kämpft an mehreren Fronten. Seine Glaubensbrüder in der katholischen Kirche muss er davon überzeugen, dass die Wissenschaft ihnen nichts Böses will. "Viele haben Angst, dass wir Gott verlieren werden. Eine absolut unbegründete Angst." Seine Forscherkollegen müsste er dafür gewinnen, sich überhaupt für theologische Fragen zu interessieren. Und dann gibt es da noch Leute wie Stephen Hawking, den er 1981 zu einem Vortrag nach Rom eingeladen hatte.

In seiner "Kurzen Geschichte der Zeit" erzählt Hawking, wie er damals mit anderen Kosmologen vom Papst empfangen wurde und dieser sie ermahnt hätte, nicht den Urknall selbst zu erforschen. Dabei habe er, Hawking, gerade einen Vortrag über Universen ohne Anfang und Ende gehalten, "was bedeuten würde, dass es keinen Augenblick der Schöpfung gibt". Er sei froh gewesen, dass der Papst davon nichts wusste. "Ich hatte keine Lust, das Schicksal Galileis zu teilen, mit dem ich mich sehr verbunden fühle, zum Teil wohl, weil ich genau dreihundert Jahre nach seinem Tod geboren wurde." Eine schöne Anekdote, die Hawking regelmäßig in Vorträgen zum Besten gibt, während er eine Karikatur mit ihm hinter den Gittern der Inquisition zeigt.

Coyne bestreitet diese Version des Treffens, und er ärgert sich über Hawkings Argument. "Wenn es keinen Anfang gibt, sagt Hawking, gibt es keinen Gott - das ist falsch. Gott ist keine Randbedingung des Universums. Man kann die Existenz Gottes nicht mit Hilfe der Quantenphysik widerlegen - noch kann man sie beweisen."

Der Dialog zwischen Religion und Naturwissenschaft ist Coynes große Mission, und in den vergangenen 30 Jahren ist er gut vorangekommen. Unter Papst Johannes Paul II. leitete er die wissenschaftliche Arbeitsgruppe der Kommission, die den Prozess gegen Galileo Galilei untersuchte. 1992 wurde Galilei vom Papst rehabilitiert.

Ebenfalls unter Papst Johannes Paul II. initiierte Coyne eine Konferenz mit Naturwissenschaftlern und Theologen zum 300. Jahrestag der Veröffentlichung von Isaac Newtons Hauptwerk "Principia". Zum Abschluss schrieb ihm der Papst in einem öffentlichen Brief: "Die Wissenschaft kann die Religion von Irrtum und Aberglauben reinigen; die Religion kann die Wissenschaft von Götzendienst und falschen Absolutsetzungen reinigen."

Im November 2004 schließlich veröffentlichte eine Theologenkommission unter Kardinal Ratzinger ein "Orientierungspapier". Die Urknalltheorie und Darwins Evolutionslehre seien mit dem christlichen Glauben vereinbar, heißt es darin so unmissverständlich wie nie zuvor. Jetzt ist Ratzinger Papst und Coyne, so scheint es, am Ziel. Im November verkündete Kardinal Paul Poupard, Chef des päpstlichen Kulturrats: "Die Gläubigen tun gut daran zuzuhören, was die säkulare moderne Wissenschaft anzubieten hat." Viele Jahre hat Coyne auf diesen Moment hingearbeitet.

Nur mit einer Frage tut sich der Jesuit schwer: Kann auch die Wissenschaft von der Religion profitieren? "Ich sehe kein spezielles Fachgebiet, wo das der Fall sein könnte", sagt Coyne, "generell kann die Religion aber die Wissenschaft davon abhalten, sich allwissend zu fühlen. In diese Versuchung gerät die Wissenschaft leicht, weil sie so erfolgreich ist."

Die katholische Kirche tritt allerdings auch nicht gerade bescheiden auf. Ist nicht der Papst sogar unfehlbar? "Ich leugne das nicht", sagt Coyne, "aber ich sage den Leuten: Der Papst ist unfehlbar, aber man weiß nie, wann und wie."

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