Technologie-Suche Esa will Science-Fiction-Träume wahr machen
Die Zukunft ist irgendwo da drinnen. Irgendwo auf einer der drei Etagen der "Maison d'Ailleurs". "Haus von anderswo" heißt das einzige europäische Science-Fiction-Museum im schweizerischen Yverdon-les-Bains. In der Studienbibliothek des kleinen Hauses stehen gut 45.000 Bücher mit phantastischen Geschichten aus zukünftigen Welten. Einige von ihnen enthalten Hirngespinsten, andere dagegen handfeste technische Konzepte für die Weltraumreisen der Zukunft.
In den voll gestopften Glasvitrinen von Yverdon finden sich Werke von Autoren wie Jules Verne oder Arthur C. Clarke neben Büchern von Schriftstellern, die bestenfalls Insidern bekannt sind. Außer Romanen, Comics und Zeichnungen gibt es auch zahlreiche Videofilme mit Geschichten aus naher und ferner Zukunft.
"Hard Science Fiction" soll Ideen liefern
Im Auftrag der Europäischen Weltraumagentur fahndet jetzt ein Museumsteam nach Hinweisen auf interessante Zukunftstechnologien. Die Mannschaft unter Leitung von Konservator Patrick Gyger hat besonders so genannte "Hard Science Fiction" im Blick: Werke wie die von Isaac Asimow, die sich um wissenschaftlich besonders fundierte Darstellung bemühen.
Das Esa-Projekt "Innovative Technologien aus der Science Fiction" läuft seit rund drei Jahren. Eine Broschüre mit ersten Ergebnissen ist seit einiger Zeit auf dem Markt, ein Buch mit dem Titel "Science Fiction - Technology Fact" soll in Kürze folgen.
Etwa 250 verschiedene Ideen hat das Projektteam in Yverdon bereits aus den Büchern und Filmen herausgefiltert: Da gibt es Tipps für Langzeit-Raumflüge und für Weltraumaufzüge, aber auch Bedienungsanleitungen zum Terraforming auf dem Mars. In einem Internetforum können interessierte (Hobby-)Wissenschaftler weitere Konzepte vorschlagen und über die bisher gefundenen diskutieren. "Wir haben bei unserer Auswahl nicht untersucht, ob die Konzepte technologisch machbar sind. Wir haben nur die Ideen zusammengetragen, die verschiedene Autoren zu einem bestimmten Thema hatten", sagt Gyger im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE.
Um die Auswertung kümmert sich die Esa. "Wir werden uns zum Beispiel das Konzept des Weltraumaufzugs näher ansehen", sagt David Raitt, Esa-Mitarbeiter im Bereich Technologietransfer. "Auch mit Bionik und Biomimikry werden wir uns näher beschäftigen." Biomimikry bezeichnet die maschinelle Nachahmung bestimmter Techniken von Tieren oder Pflanzen, etwa mit künstlichen Muskeln. Entsprechende Forschungen hat die Esa in ihr jüngst vorgestelltes "Ariadna"-Programm integriert.
Wenig kurzfristig Umsetzbares
Von diesen wenigen Ausnahmen abgesehen sucht man handfeste Pläne, die vielleicht sogar kurzfristig ins Esa-Programm aufgenommen werden könnten, vergeblich in den Ergebnissen der Studie. Und Gyger tritt noch zusätzlich auf die Euphoriebremse: "Science Fiction hat nie versucht, technische Konzepte vorzuschlagen, die einmal Wirklichkeit werden könnten." Teilweise seien die Ideen schlicht nicht realisierbar, teilweise könne es noch sehr lange bis zur praktischen Umsetzung dauern.
Hellseherische Talente haben Science-Fiction-Autoren jedenfalls nicht, da ist sich Gyger sicher: "Niemand hat den Siegeszug des Handys vorhergesehen. Dafür haben viele die Idee des individuellen Luftverkehrs propagiert, die sich nicht durchgesetzt hat."
Dennoch scheint man bei der Esa zufrieden mit den Ergebnissen. Zum einen, weil sie ermöglichen, im eher tristen Heute schon an die Projekte von übermorgen zu denken. Zum anderen, weil das vergleichsweise billige Sci-Fi-Projekt eine attraktive Form der Öffentlichkeitsarbeit für die finanziell gebeutelte Raumfahrtagentur ist.
Essay-Wettbewerb mit Bradbury und Clarke
So gab es zuletzt einen Science-Fiction-Essaywettbewerb unter der Ägide der Zukunftsliteratur-Ikonen Ray Bradbury und Arthur C. Clarke. Die Gewinner bekommen in wenigen Tagen Post aus Yverdon. Vierzehn von Clarke signierte Bücher "2001: A Space Odyssey" liegen versandfertig auf dem Schreibtisch von Museumschef Gyger.
Die Vermutung, dass es sich bei dem Projekt um eine reine Werbeaktion handeln könnte, weist Esa-Mann Raitt beinahe unwirsch zurück: "Es war ganz sicher kein PR-Stunt. Und es gab auch niemanden, der uns das bisher vorgeworfen hat." Es habe eine Menge interessanter Ergebnisse gegeben, allerdings habe sich die Studie nur mit der Spitze des Eisbergs befasst. "Es gibt noch einen riesigen Berg an Literatur, der noch ausgewertet werden könnte."