
Rätselhaftes Zentralgestirn: Sonnenfackeln und Polarlicht
Fehlalarm Forscher rätseln über verpufften Sonnensturm
Hamburg - Die Prognosen zum Weltraumwetter lasen sich diese Woche besorgniserregend: Das "biologische Risiko" für Astronauten durch energiereiche Sonnenstrahlung könnte erhöht sein, warnte die US-Wetterbehörde NOAA am Dienstag. Auch Passagiere in Flugzeugen auf polaren Routen drohten erhöhter Strahlung ausgesetzt zu sein, ergänzte die NOAA am Mittwoch.
Satellitensysteme könnten sich "signifikant aufladen", Stromnetze in hohen Breiten von kleineren Schwankungen betroffen sein, GPS-Navigation und Radioempfang gestört werden. Eine positive Vorhersage gab es auch: Von Alaska bis Skandinavien seien verbreitet Polarlichter zu erwarten.
Was wirklich passierte, ließ Experten staunen: Von vereinzelten Nordlichtern abgesehen, hatte der Sonnensturm so gut wie keine Folgen. "Sind Sie auch enttäuscht, kein Polarleuchten gesehen zu haben?", fragte der British Geological Survey BGS seine Nutzer, die er zuvor tagelang mit Aufsehen erregenden Sonnensturmvorhersagen versorgt hatte. Vom "Geomagnetischen Sturm, den es nicht gab" schreibt BGS-Forscherin Gemma Kelly. Was war geschehen?
Starker Ausbruch am Dienstagabend
Die Vorhersagen gründeten auf einem heftigen Ausbruch der Sonne: Am Dienstagabend zeigten Überwachungssatelliten unseres Gestirns, dass eine mächtige Fackel geladener Teilchen von der Oberfläche der Sonne in Richtung Erde geschossen war. Wissenschaftler von Nasa und BGS und anderer Institute stuften das Ereignis mit der Stärke X1 ein; Sonnenstürme der Gruppe X gelten als stark genug, um negative Folgen auf der Erde zu haben.
Dramatische Schäden sind bei einem X1er freilich nicht zu erwarten. Selbst zehnmal heftigere Stürme bleiben mitunter folgenlos für technische Anlagen auf der Erde. 2003 aber sorgte ein viele Millionen Mal stärkerer Sonnensturm für Ausfälle von Stromnetzen, Satelliten und Funkverkehr; bis in die Tropen leuchteten Polarlichter. Auch weitaus gefährlichere Ereignisse wären möglich, warnen Forscher.
Entsprechend zurückhaltend fielen die Warnungen der Wissenschaftler in dieser Woche aus. Gleichwohl wurden Vorsichtsmaßnahmen getroffen: Der Raumtransporter "Cygnus" blieb sicherheitshalber am Boden. Flugzeuge mieden polarnahe Routen, aus Sorge vor Strahlung und Navigationsproblemen.
Mögliche Ursachen des Fehlalarms
Der Sonnensturm - so lautete die Befürchtung - würde das Magnetfeld der Erde schwächen, das unseren Planeten vor kosmischer Strahlung schützt: Nahe der Pole dünnt der irdische Schutzschild aus - die Feldlinien neigen sich hinunter zu den Magnetpolen. Ein starker Sonnensturm kann das Erdmagnetfeld zusammendrücken, so dass geladene Partikel in hohen Breiten tief in die Atmosphäre dringen können. Nordlichter sind eine sichtbare Folge.
Warum aber hatte der starke X1er-Sturm dieser Woche keine Auswirkungen? Forscher rätseln über mögliche Ursachen:
- Der Sturm sei langsamer gewesen als erwartet, resümiert Gemma Kelly. Er traf einige Stunden später ein als vermutet. Je langsamer die Sonnenpartikel, desto schwächer ihre Auswirkungen auf das Erdmagnetfeld.
- Das Beben, das der Sturm im Magnetfeld ausgelöst hat, dauerte nur kurz. Offenbar habe die Erde lediglich einen Streifschuss abbekommen, meint Kelly.
- Das Magnetfeld der Sonne, das sich - vom Sonnenwind erzeugt - zwischen den Planeten ausbreitet, hat sich trotz des Partikelsturms anscheinend kaum verändert. "Es blieb stur", erklärt Kelly. Damit habe sich auch das Erdmagnetfeld kaum bewegt: "Der geomagnetische Sturm kam nie richtig in Gang", bilanziert die Forscherin.
"Es scheint, als habe der Sonnensturm nur geringfügige Auswirkungen auf die Erde gehabt", resümiert die NOAA. "Bei Weltraumwetter-Prognosen stehen wir da, wo wir beim Wetter auf der Erde vor 50 Jahren waren", sagt Doug Biesecker von der NOAA.
Der blinde Fleck
Zwar überwacht ein ganzes Arsenal von Satelliten die Sonne. Sie zeichnen alles auf, von Ausbrüchen bis zum langsamen Pulsieren des Gestirns. Täglich entstehen dreidimensionale Fotos, mehrere Terabyte an Daten empfangen Sonnenforscher aus dem All.
Und doch bleibt eine entscheidende Phase im Dunkeln: Satelliten zeichnen Stärke und Ausmaß eines Sonnenausbruchs auf - aber die weitere Entwicklung eines Sturms erkennen sie zunächst nicht. Unklar bleibt etwa, wie sich das Magnetfeld der Sonne nach einer Eruption verändert, diese Phase ist quasi der blinde Fleck der Forscher. Erst etwa eine halbe Stunde, bevor ein Sturm die Erde erreicht, gibt es neue Daten.
So konnten Forscher zwar den starken Ausbruch am Dienstag erkennen. Das Eintreffen der Front am Donnerstag aber sorgte dann für Erstaunen. "Weltraumwetter-Prognosen", konstatiert Gemma Kelly "sind wirklich schwierig".