Päpstlicher Astronom Der Nerd aus dem Vatikan
Tja, die Drehgenehmigung. Wer in Gebäuden des Vatikans Fotos oder Filme aufzeichnen will, braucht zwingend eine Erlaubnis der Kirchenverwaltung in Rom. Dumm nur, wenn die versehentlich auf den falschen Tag ausgestellt wurde. Doch Guy Consolmagno weiß Rat.
"Ich werde einfach mal heute zu morgen machen", grinst der Jesuitenbruder mit dem schwarzgrauen Rauschebart. Und sein Job gibt das - beinahe - her. Der 63-Jährige ist seit dem vergangenen Herbst der neue Chefastronom des Papstes. Und die Vatikanische Sternwarte ("Specola Vaticana") gibt es nicht zuletzt, weil ihre Wissenschaftler Papst Gregor XIII. Ende des 16. Jahrhunderts halfen, den Kalender zu korrigieren.

Vatikan-Observatorium: Der Himmel über Castel Gandolfo
Seitdem haben Astronomen im Auftrag des Vatikans in die Sterne geschaut und Wissenschaft betrieben. Seriöse Forschung zu Asteroiden und Exoplaneten zum Beispiel, zur Sternenentwicklung und zur Kosmologie. Auf Kongressen und in Fachzeitschriften berichten die Vatikanforscher regelmäßig über ihre Arbeit.
"Als Wissenschaftler gehört er zu den Top-Experten seines Fachgebiets", sagt etwa Alan Harris, der am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Berlin forscht und sich selbst als nicht religiös bezeichnet, über Guy Consolmagno. Dieser sei "ein sehr angesehener und respektierter Astrophysiker, der viele oft zitierte wissenschaftliche Papers veröffentlicht" habe.
Und doch ist der Amerikaner Consolmagno eben kein ganz normaler Wissenschaftler. Zwar stammen seine Abschlüsse vom Massachusetts Institute of Technology und der University of Arizona. Er hat die Division for Planetary Sciences der American Astronomical Society geleitet, in der sich rund 1500 der besten Planetenforscher und Astronomen des Planeten versammeln. Aber er ist auch ein Mann der Kirche. Einer, der seine wissenschaftliche Arbeit jeden Tag in Einklang bringen muss mit seinen Glaubensgrundsätzen.

Vatikan-Observatorium: Geforscht wird längst woanders - und zwar in Arizona
Foto: SPIEGEL ONLINETraditionell sind es Jesuiten, die in der Sternwarte des Heiligen Stuhls arbeiten. Der Orden gilt als streng und wissenschaftsfreundlich zugleich. Papst Franziskus, ein ausgebildeter Chemietechniker, ist ebenfalls Jesuit - und hat weiter Interesse für die Naturwissenschaften. Das zeigen seine Umweltenzyklika und sein Eingreifen in die Klimaverhandlungen von Paris.
Die Kirche unterstütze die Forschung, sagt sein Chefastronom. "Zwar hat das Observatorium nur eine symbolische Bedeutung", erklärt er, doch genau diese sei eben wichtig: Wissenschaft und Glaube würden sich nicht ausschließen: "Die Leute müssen sich nicht für eines entscheiden." Der Glaube brauche die Wissenschaft sogar, um sich vor Aberglauben zu schützen, ist Consolmagno überzeugt.
0,3 Prozent des Gesamtbudgets
Eine Million Euro im Jahr lässt sich der Vatikan dieses Unterfangen kosten. Bei einem Gesamtbudget von rund 300 Millionen klingt das nicht eben viel. Ist das Observatorium also nur ein Feigenblatt, um Jahrhunderte nach der für die Kirche PR-mäßig eher nachteiligen Geschichte mit Galilei nun demonstrative Wissenschaftsfreundlichkeit zu zeigen?
Consolmagno sieht das nicht so. Betrachte man den Anteil am Gesamtbudget, so gebe der Kirchenstaat ungefähr so viel aus wie die USA für die Nasa. Das stimmt zumindest so ungefähr: Die Nasa bekommt rund 0,4 Prozent des US-Haushalts für ihre Arbeit, bei den Vatikanastronomen sind es etwa 0,3 Prozent.
Der Papstastronom begeistert sich vor allem für Asteroiden. Ein Exemplar, von einem Kollegen entdeckt, trägt sogar seinen Namen, "4597 Consolmagno". "Beeindruckend langweilig" sei der Brocken, sagt der Forscher. Weder drohe er auf Crashkurs mit der Erde zu geraten, noch sei er für Mineraliensucher interessant, die über Bergbau im All nachdenken. Aber dennoch spannend zu studieren, weil er - wie die anderen Asteroiden - kaum verändertes Material aus der Frühzeit des Sonnensystems enthalte. (Mehr zum Thema erfahren Sie hier.)
Wie aber passt es zu der Kirchendoktrin, dass kosmische Brocken das Leben auf der Erde auslöschen können?
"Warum soll es einen Unterschied geben, wenn man als einer von vielen bei einer Katastrophe stirbt oder wenn jeder einzelne von uns auf seine Weise stirbt", fragt Consolmagno. "Der Sinn unseres Lebens reicht nicht nur von unserer Geburt bis zu unserem Tod." Er jedenfalls habe keine Angst vor dem Ende der Welt - selbst wenn dieses in Form eines Asteroideneinschlages komme.
Sehen Sie die vollständige Antwort im Video:
Der wohl größte Schatz der Vatikansternwarte ist die Meteoritensammlung. Sie enthält 1100 Fundstücke, zusammen mehr als 150 Kilogramm außerirdisches Material. Die Kollektion geht zurück auf den französischen Marquis Adrien Charles de Mauroy, der sie Anfang des 20. Jahrhunderts der Kirche vermachte. Einzelstücke sind auch später noch dazugekommen - so wie die Miniprobe Mondgestein in der Vitrine im Flur, ein Geschenk der US-Regierung nach den "Apollo"-Missionen.
Consolmagno war lange Jahre Chef der Meteoritensammlung. Vor 20 Jahren hat er selbst in der Antarktis nach Steinbrocken aus dem All gesucht. Die lagern allerdings nicht hier, sondern in US-Labors. Für alle Stücke ihrer eigenen Sammlung haben die Vatikanforscher unter anderem die präzise Dichte ermittelt - auch weil sich mit solchen Informationen die Modelle zum inneren Aufbau von Asteroiden weit draußen im Sonnensystem verbessern lassen.

Schnitt durch Meteorit: Einschlüsse schimmern im Gegenlicht
Foto: SPIEGEL ONLINEZeit für solche Arbeiten haben die Wissenschaftler hier mehr als genug. "Es gibt keine Verträge, keine Forschungspläne, keine Komitees", sagt Consolmagno und scherzt: "Schrecklich! Man hat gar keine Ausreden, warum man nicht arbeiten kann."
Der warmherzige Kirchenmann nimmt vieles mit Humor. Er ist durchaus kein Clown, kein Komiker, aber Ehrfurcht und Glaube hindern ihn eben auch nicht daran, die Dinge oft mit dem sprichwörtlichen Augenzwinkern zu betrachten. Mit Blick auf zwei Papstbilder von Franziskus und seinem Vorgänger Benedikt - beide in weißer Soutane -, auf denen sie durch Mikroskope auf Materialproben aus den Tiefen des Alls blicken, meint er: "Sie waren so nett, sich einen Laborkittel überzuziehen."
Als Jesuit hat Consolmagno dem Papst bedingungslose Treue zugesagt. Seine Amtszeit geht fünf Jahre, doch sein Orden kann ihn jederzeit abberufen und an eine andere Stelle versetzen.
Im Orden aber weiß man wohl, wen man da an die Spitze des Observatoriums geschickt hat: Dass Consolmagno sich nicht vor Lockerheit scheut, kann man schließlich auch nachlesen. Er hat mehrere populärwissenschaftliche Bücher verfasst, zusammen mit Observatoriumsvize Paul Mueller etwa zu der Frage, ob Außerirdische zu taufen seien. Er tritt auf Science-Fiction-Konferenzen auf und hat selbst vor langer Zeit Science Fiction geschrieben.
Glaubt Consolmagno, der sich selbst als Nerd bezeichnet, tatsächlich an die Existenz von Außerirdischen?
Er tut es - und nicht nur das. Er sagt: "Ich hoffe, dass wir mitbekommen, dass es Leben sogar in unserem Sonnensystem gibt. Selbst wenn es nur Bakterien wären. Ich bin Science-Fiction-Fan genug, dass ich von dem Tag träume, an dem wir andere Wesen treffen können."
Sehen Sie die vollständige Antwort im Video:
Ein Kirchenmann, der Außerirdische nicht nur für möglich hält, sondern sogar auf einen Kontakt mit ihnen hofft? Wie gut, dass das im Video festgehalten ist dank vordatierter Drehgenehmigung - und dank der kleinen, privaten Kalenderreform des Guy Consolmagno.