Weltraumteleskop vor dem Start "Glast" soll dunkle Energie aufspüren

Jederzeit ein Fünftel des Himmels im Blick: Ein neues Nasa-Teleskop soll sich vor allem um hochenergetische Strahlung kümmern - und schwarze Löcher und Neutronensterne in den Blick nehmen. Doch die Forscher hoffen auf noch mehr: Sie wollen endlich die mysteriöse dunkle Energie nachweisen.

Pulsierende Strahlenquellen am Rand des Universums, unheimlich hell leuchtende Galaxien, riesige strahlende Wolken im Zentrum unserer Milchstraße, das leise Glimmen der kosmischen Hintergrundstrahlung - und nichts davon können wir Menschen von der Erde erkennen. "Der Gammastrahlen-Himmel ist in vielerlei Hinsicht ganz anders als das, was wir mit unserem Auge sehen", sagt Nasa-Mitarbeiter Steve Ritz im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. Der bärtige Amerikaner ist Chefwissenschaftler für das Weltraumteleskop "Glast" ("Gamma-ray Large Area Space Telescope"), das in den kommenden Tagen ins All abheben soll - um einen nie gekannten Blick auf die wundersame Gammastrahlen-Welt zu ermöglichen.

Von der Erde sind die Phänomene nicht zu beobachten. Röntgen- und Gammastrahlung werden - zu unserem Glück - von der Atmosphäre absorbiert. Die hochenergetische Strahlung mit ihren kurzen Wellenlängen würde das Leben auf der Erde sonst grillen. Für einen klaren Blick muss "Glast", das nach ein paar Monaten im Orbit übrigens einen neuen Namen bekommen soll, deswegen weit hinaus: Eine Delta-II-Rakete bringt das fliegende Observatorium auf eine fast 600 Kilometer hohe Umlaufbahn.

Für Chefwissenschaftler Ritz ist "Glast" ein "großer Sprung" vorwärts im Vergleich zu früheren und bestehenden Gamma-Strahlen-Observatorien wie "Compton" oder "Swift". Da wäre zum Beispiel der Sichtbereich: "Glast" soll zu jedem Zeitpunkt ein Fünftel des Himmels im Blick haben. Binnen zwei Erdumrundungen, also innerhalb von drei Stunden, ist so der gesamte Bereich abgedeckt. "Glast hat eine um den Faktor 30 höhere Empfindlichkeit als frühere Gammaobservatorien, kann also viel mehr sehen und verfügt über eine wesentlich bessere Auflösung", sagt Giselher Lichti SPIEGEL ONLINE. Der mittlerweile pensionierte Forscher hat am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik (MPE) in Garching lange Zeit entscheidend am "Glast"-Projekt mitgearbeitet. Nun fiebert er dem Start entgegen, der - nach zahlreichen Verschiebungen - für Mitte kommender Woche geplant ist.

Das fast 700 Millionen Dollar teure Observatorium verfügt über zwei Instrumente:

Das fast drei Tonnen schwere Large Area Telescope (LAT) ist ein Teleskop, ganz ohne Spiegel und Linsen. Stattdessen kommen Detektoren aus Wolfram und Silizium zum Einsatz, insgesamt 70 Quadratmeter groß, zusammengefasst in 16 kleinen Türmchen. Wenn die Photonen aus der Gammastrahlung die Wolframschichten treffen, kann ein Paar aus einem Elektron und einem Positron entstehen.

In den Siliziumstreifen wird die Bahn des Paares verfolgt - und damit die Richtung, aus der die Gammastrahlung kam. Ein Kalorimeter bestimmt außerdem die Energie der entstandenen Teilchen - und damit auch die der ursprünglichen Strahlung. Wichtig ist dabei: Nur durch ein weiteres Instrument machen diese Messungen überhaupt Sinn. Es sorgt dafür, dass "Glast" überhaupt unterscheiden kann, was Gammastrahlung ist und was nicht. Denn neben der Strahlung prallt auch permanent ein Teilchenregen auf das Instrument. Besonders beeindruckend am LAT: Es verbraucht im Betrieb gerade einmal 650 Watt, also halb soviel wie ein Fön.

Der Glast Burst Monitor (GBM) ist mit 100 Kilogramm gemessen an seinem großen Bruder LAT ein Leichtgewicht. GBM soll im Bereich niedrigerer Energien nach Gammablitzen suchen. Das sind Ereignisse, bei denen eine kleine Quelle innerhalb von Sekunden so viel Energie freisetzt wie die Sonne in ihrem ganzen Leben.

Das Instrument hat beinahe den gesamten Sternenhimmel auf einmal im Blick - bis auf den Teil, der jeweils gerade von der Erde verdeckt wird. Am GBM haben Max-Planck-Forscher aus Garching entscheidend mitgearbeitet. Das Instrument funktioniert auch wie eine Art Wachhund für das LAT. Wenn der Detektor einen Gammastrahlenblitz beobachtet hat, der außerhalb des aktuellen Sichtfeldes des Teleskops liegt, kann "Glast" umgesteuert werden - um den Ausbruch doch noch ins Blickfeld des großen Teleskops zu bekommen.

Die Kombinationsmöglichkeit der beiden Messinstrumente macht für die Forscher den besonderen Reiz von "Glast" aus, denn so lässt sich ein besonders großes Energiespektrum abdecken. Von riesigen Blitzen bis zum Glimmen der Hintergrundstrahlung wird alles gleichermaßen erfasst. "Wenn 'Glast' ein Piano wäre, dann würde es 23 Oktaven abdecken", erklärt Nasa-Mann Ritz.

"Wo und wie diese Teilchen erzeugt werden, ist unwichtig"

Interessant ist, dass die Technologien, die bei "Glast" zum Einsatz kommen, denjenigen entsprechen, die auch bei Teilchenbeschleuniger-Experimenten auf der Erde verwendet werden - etwa am LHC in Genf, der noch in diesem Jahr in Betrieb gehen soll. Es geht in jedem Fall um den Nachweis von Elementarteilchen. "Wo und wie diese Teilchen erzeugt werden, ist letztlich unwichtig", sagt Lichti. "Ob in einem Beschleuniger oder an Bord eines Satelliten macht keinen Unterschied." Nur die Größe der Nachweisgeräte unterscheide sich.

Rund 90 Tage nach dem Start soll "Glast" die ersten Bilder liefern - und dann im Idealfall fünf bis zehn Jahre seine Arbeit tun. Forscher hoffen auf die Entdeckung von Tausenden neuen Gammastrahlenquellen, die meisten von ihnen in Form von supermassiven Schwarzen Löchern in fernen Galaxien. Sie hoffen darauf herauszufinden, warum Schwarze Löcher mächtige Materiestrahlen mit Beinahe-Lichtgeschwindigkeit ausstoßen, was es mit der Dunklen Materie auf sich hat, woher genau die mächtigen Gammastrahlen-Explosionen kommen, wie es sich mit der kosmischen Hintergrundstrahlung verhält.

Doch die Wissenschaftler wollen noch mehr: "Mit fast jedem neuen Instrument, das sensitiver war, hat man neue Phänomene entdeckt", sagt Lichti. Darauf hoffe man nun auch bei "Glast" - zum Beispiel könnte das Teleskop bei der Suche nach der mysteriösen dunklen Energie helfen, die einen Großteil der Masse des Weltalls ausmacht: "Wenn das gelänge, das wäre ein wahnsinniger Erfolg."

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