Weltklimakonferenz in Glasgow Der Gipfel beginnt, die Zweifel wachsen

Aktivisten in Glasgow: »Solange niemand verletzt wird..., muss man einige Menschen manchmal verärgern«
Foto:Andrew Milligan / imago images/ZUMA Press
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Es muss etwas geschehen, darüber besteht Einigkeit: Die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu beschränken, wie es die Staaten im Pariser Klimaabkommen von 2015 anvisiert haben, erfordert eine weltweite Kraftanstrengung.
Nur: Wer tut wirklich etwas – und wie sehr bessern die Staaten ihre Pläne, Absichtserklärungen, Selbstverpflichtungen auf? Darum soll es beim Uno-Klimagipfel in Glasgow gehen. Und schon zum Auftakt gibt es Skepsis, ob in Schottland der Durchbruch gelingt.
Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) sagte, zwar nehme eine große Mehrheit der Staaten das Versprechen des Pariser Klimaabkommens ernst, sich alle fünf Jahre neue, bessere Ziele zu setzen. Doch: »Einige große Volkswirtschaften müssen noch folgen und ebenfalls ehrgeizigere Pläne verkünden. Die Auftritte der Staats- und Regierungschefs zu Beginn der Konferenz in Glasgow wären eine gute Gelegenheit dafür.«

Anfang November trifft sich die Staatengemeinschaft im schottischen Glasgow zur 26. Uno-Klimakonferenz, der COP26. Auf dem zweiwöchigen Treffen geht es darum, die Ziele der Länder zu erhöhen und gemeinsame Regeln für den Kampf gegen die Klimakrise zu definieren. Lesen Sie hier alle Artikel zum Gipfel.
Die Konferenz wurde am Sonntag offiziell eröffnet. Von Montag an beraten Staats- und Regierungschefs aus aller Welt in Glasgow über die Klimakrise. Allerdings wird Xi Jinping, der Präsident des weltweit größten CO₂-Emittenten China, nicht nach Schottland reisen, ebenso wenig Russlands Staatschef Wladimir Putin.
G20 bekommt nur Minimalkompromiss hin
Laut Xi soll China bis 2060 kohlenstoffneutral sein – zehn Jahre später als von Fachleuten für notwendig erachtet. Die erhoffte Verschärfung ihrer Klimaziele hat die Volksrepublik bislang nicht geliefert. In Chinas aktualisiertem nationalen Klimaschutzbeitrag (NDC), den das Land am Donnerstag der Uno übermittelte, stehen kaum neue Zusagen.
Auch die 20 führenden Industriestaaten einigten sich auf ihrem Treffen am Wochenende in Rom nur auf einen Minimalkompromiss. In der Abschlusserklärung bekräftigt die G20 das Ziel des Klimaabkommens von Paris 2015, den mittleren globalen Temperaturanstieg deutlich unter zwei Grad Celsius zu halten und ihn möglichst auf 1,5 Grad zu begrenzen. Wie das geschehen soll und was sie selbst dafür tun wollen, teilte sie nicht mit.
Die bisherige Erwärmung liegt bereits bei deutlich über einem Grad Celsius. Und die G20-Staaten verursachen fast vier Fünftel der weltweiten Treibhausgasemissionen.
Umweltaktivistinnen und -aktivisten fordern konkrete, schnelle Taten ein: allen voran von den Industriestaaten des Nordens. Diese hätten die »moralische Verantwortung«, ihre Emissionen viel schneller zu verringern, schrieben die Schwedin Greta Thunberg und Vanessa Nakate aus Uganda in einem Beitrag für die Zeitschrift »Time« .
Um die Risiken einer »irreversiblen Kettenreaktion außerhalb menschlicher Kontrolle« zu minimieren, bedürfe es »sofortiger, drastischer jährliche Emissionsverringerungen, wie sie die Welt noch nie gesehen hat«, fordern Thunberg und Nakate. Ohne ein konsequentes Umsteuern der Staaten steuert die Erde nach Uno-Angaben auf eine gefährliche Erwärmung um durchschnittlich 2,7 Grad zu.
Keine der reichen Industrienationen, auch Deutschland nicht, halte sich gerade an ihre Zusagen zum Klimaschutz, sagte Luisa Neubauer von der Umweltbewegung Fridays for Future. »Sie alle rauben dem globalen Süden und den jungen Generationen wissentlich ihre Perspektiven. Wo sind die Regierungen, die diesen Betrug beenden?«
»Die Menschheit liegt zur Halbzeit 1:5 hinten«
Um das 1,5-Grad-Ziel zu schaffen, müsste der globale Treibhausgasausstoß drastisch und schnell gekürzt werden. Beim derzeitigen Emissionsniveau wäre das verbleibende weltweite CO₂-Budget nach Berechnungen des Berliner Forschungsinstituts MCC in weniger als acht Jahren aufgebraucht.
Auch der Gastgeber des Gipfels, Großbritanniens Premierminister Boris Johnson, prangerte die erheblichen Defizite im Kampf gegen die Erderhitzung an. »Die Menschheit als Ganzes liegt zur Halbzeit 1:5 hinten«, sagte Johnson am Samstag. »Wir haben die Möglichkeit auszugleichen, die Position zu retten, zurückzukommen – aber es wird eine Menge Kraft kosten.«
Johnson selbst kämpft allerdings auch nicht konsequent für das Klima: unter anderem erwägt seine Regierung, mehrere Projekte zur Ausbeutung fossiler Brennstoffe im eigenen Land freizugeben. Thunberg warf den gastgebenden Politikern vor, Klimaschutz nicht ernst genug zu nehmen.
Uno-Generalsekretär António Guterres hatte schon vor dem Konferenzauftakt angeprangert, viele Staaten hätten in den zwei Jahren seit dem vergangenen Gipfel in Madrid ihre Pläne zum Klimaschutz nicht ausreichend verschärft und den notwendigen raschen Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas verschleppt. Es bestehe die ernste Gefahr, dass Glasgow nicht den erhofften Durchbruch bringen werde.
Neuseeland will CO₂-Ausstoß drastisch senken
Vor Beginn der Konferenz in Schottland gab es bislang wenige substanzielle Zusagen. Immerhin kündigte Neuseeland zum Gipfelstart an, seine eigenen Treibhausgasemissionen bis 2030 zu halbieren. Bislang hatte die Nation das Ziel ausgegeben, den Ausstoß gemäß dem Pariser Abkommen um 30 Prozent zu senken.
Neuseelands Premierministerin Jacinda Ardern bezeichnete den verstärkten Beitrag ihres Landes im Kampf gegen den Klimawandel als »unseren fairen Anteil, der den Notwendigkeiten entspricht, wenn wir die schlimmsten Auswirkungen der Erderwärmung verhindern wollen«. Die nationalen Emissionen sind in Neuseeland derzeit in etwa genauso hoch wie im Jahr 2005.
In Glasgow gab es schon am Samstag erste Proteste von Klimaschützern. Unter anderem legten sich Mitglieder von Ocean Rebellion als »tote Meermenschen« halb nackt nahe dem Fluss Clyde unter Fischernetze, um auf Gefahren für Meeresbewohner wie Delfine, Haie oder Wale aufmerksam zu machen.
Thunberg verteidigte im Gespräch mit der BBC folgenreichere Protestformen; etwa die britischer Aktivisten, die zuletzt Autobahnen blockiert und kilometerlange Staus verursacht hatten.
»Solange niemand verletzt wird..., muss man einige Menschen manchmal verärgern«, sagte die 18-Jährige. »Die Schulstreikbewegung wäre nie so bekannt geworden, wenn es keine Reibungen gegeben hätte, wenn einige Leute nicht angepisst gewesen wären.«
Mit Material der Agenturen