RESSOURCEN Wer löscht den Durst?
David Shezi stahl das Wasser, weil er seine Kinder nicht mehr zum Betteln schicken wollte. Mit einem Rohr hatte der Familienvater aus der südafrikanischen Provinz Kwazulu-Natal die Wasseruhr seiner Hütte überbrückt. Drei Monate lang blieb die Bastelei unentdeckt. Dann wurde der Afrikaner festgenommen.
»Ich hatte keine Wahl«, sagt Shezi, Vater von acht Kindern. »Die Regierung hat mir kostenloses Wasser versprochen. Jetzt komme ich ins Gefängnis, nur weil meine Frau und meine Kinder durstig waren.«
Shezi ist einer von rund einer Million Schwarzen in Kwazulu-Natal, die zu arm sind, um sich sauberes Trinkwasser leisten zu können. 15 Prozent der Südafrikaner haben bis heute keinen Wasseranschluss. Stattdessen müssen sie für viel Geld abgefülltes Trinkwasser kaufen. Einige schöpfen sogar Wasser aus den oftmals choleraverseuchten Flüssen der Region.
Dabei kommt Südafrika noch glimpflich davon. In anderen Ländern Schwarzafrikas, aber auch in Asien und dem Mittleren Osten ist die Lage noch prekärer. 1,1 Milliarden Menschen haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Während Deutschland derzeit mit dem Hochwasser kämpft, steht 2,4 Milliarden Menschen nicht genug Wasser zum Waschen zur Verfügung. Fünf Millionen sterben jährlich an Krankheiten, die Folge fehlenden oder verseuchten Trinkwassers sind.
Und die Zukunft sieht nicht minder düster aus: In den nächsten 20 Jahren soll der globale Wasserverbrauch um weitere 40 Prozent ansteigen. Fast drei Milliarden Menschen werden dann in Ländern mit teils gravierendem Wassermangel leben. In fünf der brisantesten Wasser-Konfliktregionen - rund um den mittelasiatischen Aralsee, am Ganges, am Jordan, am Nil und an Euphrat und Tigris - wird die Bevölkerung bis 2025 zwischen 30 und 70 Prozent zunehmen. Instabilität und politische Spannungen könnten der Preis des wachsenden Durstes sein.
In Johannesburg steht die Süßwasserkrise daher ganz oben auf der Agenda. Zehn Jahre nach dem Umweltgipfel von Rio gilt Wasser als Testfall für Nachhaltigkeit. In der Agenda 21 forderten die Rio-Partner den universellen Zugang zu sauberem Wasser. Nun sei es Zeit, endlich Taten folgen zu lassen, fordert Uno-Umweltchef Klaus Töpfer: »Ohne sauberes Wasser kann Armut nicht bekämpft werden.«
Ambitionierte Ziele haben sich die Delegierten gesetzt: Bis 2015 soll sich die Zahl der Menschen, die keinen Zugang zu sauberem Wasser und zu effektiver Abwasserklärung haben, halbieren - angesichts wachsender Bevölkerung, erschöpfter Böden und zunehmender Unwetter eine Herkulesaufgabe. Die Fakten:
* Menschen in 13 Ländern weltweit, 9 von ihnen in Afrika, leben derzeit mit weniger als zehn Liter Wasser pro Tag. Jeder Deutsche dagegen nutzt 130 Liter Trinkwasser pro Tag.
* Über 90 Prozent der Abwässer bleiben weltweit ungeklärt. Gleichzeitig sickert in den Megastädten der Entwicklungsländer die Hälfte des Trinkwassers durch Lecks ins Erdreich. Der Wasserbedarf einer Stadt von der Größe Roms geht in Mexiko-Stadt ungenutzt verloren.
* Verschmutztes Trinkwasser ist weltweit die Krankheitsursache Nummer eins. 80 Prozent aller Krankheiten in den Entwicklungsländern führt die WHO auf schlechtes Wasser zurück.
* Rund 70 Prozent des Trinkwassers werden von der Landwirtschaft verbraucht. 1000 Tonnen Wasser lassen derzeit im Schnitt eine Tonne Getreide wachsen. Die Folge: Viele der größten Flüsse der Erde versickern, bevor sie das Meer erreichen. Grundwasserreservoirs versiegen; Süßwasserbiotope verschwinden.
In Afrika zeigt sich das ganze Ausmaß der Krise. 25 Ländern wird es dort bald an Wasser mangeln. In Äthiopien, Somalia oder im Sudan leiden die Menschen schon heute regelmäßig unter schwerer Dürre. Die Demokratische Republik Kongo dagegen ertrinkt geradezu im Wasser. Auf fast ein Viertel des afrikanischen Süßwassers kann das Land zurückgreifen.
Denn das Paradoxe: Afrika hat ja genug Wasserressourcen. Doch nur vier Prozent werden tatsächlich genutzt. Weltweit sieht es kaum anders aus. Zwar sind nur 2,5 Prozent allen Wassers auf Erden als Süßwasser verfügbar. Davon wiederum sind fast drei Viertel zu Eis gefroren. Doch selbst der Rest könnte die Menschheit leicht versorgen.
»Wasser ist die wichtigste Ressource unserer Welt - doch sie wird völlig unproduktiv genutzt«, bilanziert Sandra Postel, Direktorin des Global Water Policy Project in Amherst (Massachusetts). Die globale Wasserkrise sei kein technisches, sondern ein Managementproblem.
Besonders deutlich zeigt sich die Krise in der Landwirtschaft. Die künftige Erdbevölkerung wird nur dann ernährt werden können, wenn immer mehr Land unter den Pflug kommt. Das jedoch - Segen und Fluch gleichermaßen - funktioniert meist nur mit Bewässerung. Einfache Pedalpumpen, die Wasser sechs Meter emporheben können, reichen oft schon aus, um Familien neue Perspektiven zu geben. Andererseits kann Bewässerung der Erde den dringend benötigten Lebenssaft auch dauerhaft rauben.
Von zehn Tonnen Getreide wachsen weltweit bereits vier auf bewässerten Feldern. Längst lässt Wasser sogar die Wüste ergrünen. Doch zu welchem Preis! 2000 bis 3000 Tonnen Wasser pro Tonne Getreide müssen auf Felder gesprengt werden, die im heißen Wüstenwind Ertrag bringen sollen. Länder wie Saudi-Arabien können sich teure und energieintensive Meerwasserentsalzungsanlagen leisten. Andernorts jedoch fallen ganze Flüsse dem Durst der Landwirtschaft zum Opfer. Landstriche veröden oder sacken ab, weil unterirdische Wasserspeicher leer gepumpt werden.
Dramatisch ist etwa das Schicksal des Ogallala, eines der größten fossilen Grundwasserspeicher der Erde. Ein Fünftel aller bewässerten Felder in den USA werden von dieser natürlichen Zisterne versorgt. Einst barg das Reservoir so viel Wasser wie in 200 Jahren den Colorado herunterrauscht. Inzwischen sind fast 350 Milliarden Kubikmeter abgepumpt. 40 Prozent des vom Ogallala bewässerten Landes könnte in 20 Jahren wieder brachliegen, weil sich die Förderung des Wassers nicht mehr lohnt. Kaum besser sieht es in Indien, im Mittleren Osten, in Nordafrika und in China aus. In Peking ist der Grundwasserspiegel inzwischen um 45 Meter gesunken. Der Aralsee, aus dem Fischer einst 40 000 Tonnen Fisch jährlich zogen, gleicht einer salzigen Brühe. Libyen plündert sein Tiefenwasser für das gigantomanische »Great Man-Made River Projekt« (siehe Grafik).
Was also muss geschehen, um den Trend umzukehren? Wie lässt sich eine Ressource, die selten zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist, gerecht verteilen?
»Wasser sparen ist Gebot Nummer eins«, sagt Axel Ulmer, Wasserexperte der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) in Berlin. Es gelte, jeden Liter Wasser produktiver zu nutzen und künftig »mehr mit weniger« zu schaffen.
Vor allem in der Landwirtschaft sehen Experten gewaltige Einsparungsmöglichkeiten. Nur jeder zweite Liter erreicht die Pflanzen. Marode Leitungen sind Schuld an der Misere. Wenn zu viel bewässert wird und das Wasser nutzlos verdunstet, versalzen zudem die Böden. »More crop per drop«, mehr Getreide pro Tropfen Wasser, fordern Wasserfachleute der Uno.
Schon basteln Gentechniker an Getreidesorten, die weniger Wasser schlucken und Trockenheiten besser standhalten. 30 bis 70 Prozent Wasser ließe sich mit Tropfbewässerungssystemen einsparen, die das kostbare Gut über ein Netzwerk aus durchlöcherten Plastikrohren direkt an die Wurzeln der Pflanzen liefern. Wasserexperten mahnen jedoch, dass mehr Wissenschaft und Technik langfristig nicht ausreichen wird, um die Probleme zu lösen. »Wasser muss auch wertvoller werden«, sagt Sandra Postel. »Erst dann werden Landwirtschaft und Industrie weniger davon verbrauchen.«
Regierungssubventionen in Höhe von 33 Milliarden Dollar jährlich hielten die Wasserpreise weltweit künstlich niedrig, schimpft Postel. Sie fordert neue Gesetze, die regeln, wie viel Grundwasser die Bauern abzapfen dürfen. Überfällig sei es, festzustellen, wie viel Wasser in den Reservoirs der Erde überhaupt noch zur Verfügung stehe und wie schnell sie sich wieder auffüllten. Auch raten Experten, Felder künftig möglichst nur in jenen Weltregionen zu bewässern, in denen es ausreichend Wasser gibt. Denn für Entwicklungsländer kann es oftmals günstiger sein, Nahrungsmittel zu importieren, statt sie - mangels ausreichender Wasservorräte - zu hohen Kosten und um den Preis ökologischer Schäden selbst zu produzieren. Das Problem jedoch: Ein solches System würde neue Abhängigkeiten schaffen und noch mehr Menschen in die Metropolen treiben. Gerade die Bewohner der Megastädte mit Wasser zu versorgen ist eine der größten Herausforderungen der globalen Wasserkrise.
Schon heute werden die Armenviertel vieler Metropolen vom öffentlichen Leitungsnetz gar nicht erreicht. Ein Viertel der Stadtbewohner in den Entwicklungsländern ist gezwungen, sich abgestandenes Wasser in Literkanistern teuer zu erkaufen, während die Reichen in den selben Ländern ihre Vorgärten mit billigem Leitungswasser sprengen. Kostenlose oder subventionierte Rohrsysteme rufen zudem häufig mächtigere Nachfrager auf den Plan als die örtliche Bevölkerung. So wachsen in Kenia Rosen für den europäischen Markt. In Sambia sprießen feine Stangenbohnen für den Export, während die Bevölkerung hungert.
»In solchen Situationen können private Versorger helfen, weil bei ihnen die größten Verbraucher auch am meisten bezahlen«, sagt der GTZ-Wasserexperte Ulmer. 600 Milliarden Dollar müssten in den nächsten zehn Jahren investiert werden, um die Wasserversorgung und -entsorgung allein in den Entwicklungsländern sicherzustellen, schätzt die Weltbank. Ulmer glaubt, dass nur Privatunternehmen die notwendigen Mittel aufbringen könnten. Nicht das Wasser selbst, aber dessen Verteilung und Abrechnung sollen sie übernehmen.
Millionenstädte wie Manila, Schanghai, Karatschi, Santiago de Chile und Buenos Aires haben heute schon ein privatisiertes Wassersystem. Auch Südafrika versucht seit dem Ende des Apartheid-Regimes die morschen Rohrleitungen mit Privathilfe zu renovieren. Der Erfolg ist unübersehbar: Sieben Millionen Menschen konnten mit sauberem Wasser versorgt werden. Drei Millionen zusätzliche Haushalte sind heute mit einer Toilette ausgestattet.
Trotzdem bleibt rund 18 Millionen Südafrikanern weiterhin nur ein Loch im Boden für die Notdurft. Auch das 1998 gegebene Versprechen, den Ärmsten die ersten 6000 Liter Wasser pro Haushalt monatlich kostenlos zur Verfügung zu stellen, konnte Regierungschef Thabo Mbeki nicht überall einlösen. Streit ist darüber entbrannt, mit wie viel Geld die Regierung die Privatanbieter subventionieren soll - Zündstoff für heftige Kontroversen: Denn was darf Wasser kosten, damit die Menschen es sich leisten können? Was wiederum muss es kosten, damit Geldgeber investieren? Und: Darf die Ressource überhaupt vermarktet werden? »Das fundamentale Recht auf den Zugang zu Wasser darf nicht von Privatfirmen wahrgenommen werden, die einzig ökonomische Interessen verfolgen«, sagt etwa der italienische Wirtschaftsexperte Riccardo Petrella.
Die Gipfelteilnehmer in Johannesburg müssen sich also einiges einfallen lassen, um der globalen Wasserkrise nicht nur leere Worthülsen entgegenzusetzen. Als Minimalkonsens gelten die Handlungsempfehlungen, die im Dezember letzten Jahres bei der Süßwasserkonferenz in Bonn erarbeitet wurden. Doch Kritiker befürchten, dass das nicht ausreichen wird. Denn der Druck auf die Ressource wächst weiter. Schon warnt die Welternährungsorganisation FAO, dass auch am Mittelmeer Wasser künftig noch knapper wird. Überschwemmungen und Trockenheiten könnten als Folge des Klimawandels künftig häufiger auftreten und noch extremer ausfallen.
Was das für die Zukunft bedeuten könnte, musste Europa in den letzten Wochen direkt vor der Haustür erfahren. Während Nordeuropa im Regen ersoff, brütete Sizilien unter der schlimmsten Trockenheit seit 70 Jahren. In Palermo gingen die Hausfrauen auf die Straße. Bauern blockierten aus Protest gegen das marode italienische Leitungssystem die Straßen. Vertrocknetes Getreide und schrumpelige Weintrauben verrotteten auf den staubigen Feldern.
»Das hier sieht nicht mehr aus wie Sizilien«, schimpfte Bauer Vincenzo Salvatore aus Agrigento. »Jetzt sieht es hier aus wie in Tunesien.« PHILIP BETHGE