KLIMA Wetterhaus in der Steinzeit
Wolken kommen per Flugzeug ans Ende der Welt. Schon kurz nach der Landung tauchen sie auf. Selbst zwei Tage später verschleiert ihr weißer Flaum noch immer den stahlblauen Himmel.
Die Atmosphäre in der Eiswüste ist so sauber, dass es kaum Staubpartikel gibt, an dem die Luftfeuchte kondensieren und als Schneeflocke niedergehen könnte. »Außer es kommen etwa durch landende Maschinen Abgase in die Luft«, sagt Eric Wolff, Polarforscher vom British Antarctic Survey.
Der Ort, an dem Flugzeuge die Wolken bringen, heißt Dome C: Er liegt im Osten der Antarktis und thront auf fast dreieinhalb Kilometer Eis. 1000 Kilometer sind es bis zur Küste, 1700 Kilometer zum Südpol. Um die Ecke liegt der kälteste Punkt der Erde: minus 90 Grad. An der Forschungsstation fallen nur 2,5 Zentimeter Niederschlag pro Jahr. »Weniger als in der Sahara«, sagt Wolff.
Genau aus diesem Grund kommen Polarforscher wie er an diesen unwirtlichen Ort. Ein Wissenschaftler-Verbund aus zehn europäischen Nationen hat im Rahmen des so genannten Epica-Programms einen Eisbohrkern geborgen, der bis kurz vor den felsigen Grund reichte.
Nur hauchdünne Schichten aus Schnee lagern sich jedes Jahr an und werden, je mehr Flocken nachfallen, auf kaum einen Millimeter zusammengedrückt. So reicht der kilometerlange Kern aus gepresstem Schnee fast 900 000 Jahre in die Vergangenheit. »Das ist der bislang weiteste Vorstoß in die Vorzeit, der mit Eisbohrkernen gelungen ist«, erklärt Wolff.
Die Analysen ermöglichen einen spektakulären Blick auf das Klimageschehen des Planeten. Denn im Kristallgitter des Eises ist Luft aus jener fernen Zeit eingeschlossen - fast so, als hätte man ein Wetterhäuschen in der Steinzeit errichtet.
Voll Stolz stellte vergangene Woche Wolff gemeinsam mit dem derzeitigen Leiter des Epica-Programms, dem Deutschen Heinz Miller, die ersten Ergebnisse aus den Eisanalysen vor. Wichtigste Erkenntnis: »Die nächste Eiszeit kommt erst in 15 000 Jahren«, sagt Miller, Glaziologe am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung.
Die Prognose der Paläoklimatologen klingt nach einer Sottise für den nächsten Party-Small-Talk. Doch der Hintergrund ist ernster. Bislang vermuteten die Wissenschaftler, dass die Menschheit sich schon in absehbarer Zeit mit fallenden Temperaturen abfinden müsse: Bereits in 2000 Jahren wäre es nach alten Schätzungen so weit gewesen - und erste Abkühlungs-Tendenzen hätten sich auch früher zeigen können.
Doch die neue Prognose beruht nun erstmals auf detaillierten Messdaten. Denn in dem Eiskern aus Dome C haben die Klimatologen eine Phase gefunden, die mit der heutigen Warmperiode vergleichbar ist. So beschreibt die Fieberkurve der Erde über die letzte Million Jahre eine ganze Reihe immer wiederkehrender Muster. Kaltphasen sind eher die Regel als die Ausnahme. »Sie werden nur unterbrochen von unterschiedlich kurzen Warmzeiten, die im Abstand von ziemlich genau 100 000 Jahren entstehen«, beschreibt Miller die Ergebnisse aus den Eiskernanalysen. In den Warmzeiten steigt die Temperatur im ganzjährigen Mittel um fünf bis neun Grad an (siehe Grafik).
Dieser mysteriöse Zyklus scheint seine Ursache im Weltall zu haben: Verschiedene Kräfte zerren an der Erde und bewirken, dass sie auf ihrer Bahn um die Sonne eiert. »Mal ist der Abstand zur Sonne geringer, mal neigt sich die Erde zur einen, dann wieder zur anderen Seite«, sagt Eisforscher Miller. »Das bleibt nicht ohne Auswirkung auf die globale Temperatur.«
Astronomen haben errechnet, dass sich die Erde vor rund 430 000 Jahren in einem für die Sonneneinstrahlung günstigen und ungewöhnlich stabilen Abstand befunden haben muss - und in einer vergleichbaren Konstellation befindet sich der Planet auch heute wieder. Doch wie lange genau dauert eine solche längere Warmzeit?
Die Paläoklimatologen mussten bislang passen. »Es gab keinen Eisbohrkern, der bis in diese ferne Zeit zurückreichte«, erklärt Miller. Aus Mangel an Vergleichsobjekten griffen die Wissenschaftler notgedrungen auf jene Warmphasen zurück, deren astronomische Bedingungen weniger vergleichbar waren. »Die waren allesamt kürzer, woraus sich die falsche Prognose von nur noch 2000 warmen Jahren ergab.«
Noch nicht berücksichtigt ist in der neuen Eiszeit-Prognose allerdings der Einfluss
des Menschen aufs Klima. Denn zu keiner Zeit fanden die Forscher in dem Eiskern von Dome C höhere Treibhausgas-Konzentrationen als heute. »Dass es am Ende wirklich 15 000 Jahre werden, ist daher unwahrscheinlich«, so Wolff.
Zumindest erste Indizien können die Forscher auch aus ihren Eiskernen ableiten. So verstärkten Treibhausgase wie Kohlendioxid und Methan die Erwärmung, die von der günstigen astronomischen Konstellation ausgelöst wurde. Verfeuert der Mensch die gesamten fossilen Energien des Planeten, könnte es eine künstliche Verstärkung und somit eine Art »Superwarmzeit« geben, sagt Miller. Die hohen Temperaturen würden über die normale Erwärmungskurve hinausschießen und länger andauern.
Möglich wäre aber zugleich, dass die Kurve sich nicht so einfach weiter nach oben fortsetzt. Sie könnte auch plötzlich abknicken und in den Keller sausen. Ein solcher Temperatursturz findet sich in älteren Eisbohrkerndaten, die aus Grönland stammen.
Vor gut 12 000 Jahren nahmen die Temperaturen - genau zu Beginn der heutigen Warmzeit - innerhalb von wenigen Jahrzehnten vorübergehend stark ab. Bislang war unklar, ob es sich nur um ein örtlich begrenztes Ereignis handelte. In einem weiteren Eiskern aus der Antarktis haben die Forscher nun aber auch Spuren einer Anomalie gefunden, die der Abkühlung im Norden vorausging.
»Es scheint so, als wäre der eigentliche Impuls aus der Antarktis gekommen, der dann im Norden für eine abrupte Abkühlung sorgte«, erklärt Miller. »Wir wissen noch nicht genau, was dahinter steckt. Aber es könnte mit einer raschen Veränderung von Meeresströmungen zusammenhängen.« GERALD TRAUFETTER