Dieser Text gehört zu den meistgelesenen Spiegel+ Beiträgen. Er wurde von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e.V. (DGE) mit dem Journalistenpreis 2018 ausgezeichnet.
Schleim erleichtert das Leben, im Grunde macht er es erst möglich. Er bürgt dafür, dass der Mensch essen, riechen, schmecken, atmen und Sex haben kann. Die Augen bleiben feucht und die Gelenke beweglich, weil die gallertartige Masse zu Diensten ist; und ohne den Glitsch wäre jeder Stuhlgang ein stundenlanger Kraftakt.
Doch seit einiger Zeit sei es bei vielen Menschen um die Schleimhaut im Darm nicht mehr allzu gut bestellt, sagt Mahesh Desai, 36, Mikrobiologe am Luxembourg Institute of Health in Esch-sur-Alzette. Gemeinsam mit Kollegen erforscht Desai jenen Teil des Verdauungsorgans - und stellt nun die bange Frage: Ruiniert die in den Industriestaaten üblich gewordene Ernährungsweise den Darmschleim?
Viel stünde auf dem Spiel: Industriell verarbeitete, ballaststoffarme Nahrung könnte Löcher in den Darmschleim schlagen und auf diese Weise »Einfallstore für krank machende Mikroorganismen« schaffen, sagt Desai. Die Folgen wären chronische Entzündungen des Darms wie Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa und ein erhöhtes Risiko für Darmkrebs.
Der Ursprung aller Krankheiten, befand der griechische Arzt Hippokrates vor mehr als 2000 Jahren, liege im Darm - jetzt schauen sich Mediziner dessen schleimige Auskleidung genauer an: den intestinalen Mucus, so nennen Wissenschaftler das gelartige Material.
Werden Ärzte schon bald daran ablesen können, ob sich ein Mensch richtig ernährt, sein Immunsystem gut arbeitet, ob er gesund bleiben wird?
In dem Sekret, das von einzelligen Drüsen, den Becherzellen, abgesondert wird, finden sich bestimmte Schleimstoffe, die Muzine. Das sind fadenförmige Moleküle; sie fügen sich zu einem Netz, in dessen Maschen Wasser eingelagert wird.
Würde man sämtliche Schleimhäute des Körpers auseinanderdröseln und ausbreiten, überzögen sie Hunderte Quadratmeter. Das Sekret bildet einen zähen Film, der den Körper vor Schadstoffen und Krankheitserregern schützt. So bewahrt die Schleimhaut des Magens das Organ vor der eigenen Säure.
Je nach Erfordernis hat der Schleim in den unterschiedlichen Körperregionen eine ganz bestimmte Konsistenz. Kleine Abweichungen führen zu großen Problemen. Wenn es in der Tränenflüssigkeit an Muzinen fehlt, nerven die trockenen Augen. Ein weiteres Beispiel ist die Stoffwechselstörung Mukoviszidose: Weil das Gen für einen Chlorid-Ionen-Kanal verändert ist, sind die Sekrete zu klebrig. Der Mucus verkleistert die Lungen. Er muss durch Abklopfen gelöst und abgehustet werden, damit der betroffene Mensch besser atmen kann.
Eine besondere Rolle spielt der Schleim im Darm. Dort hilft er nämlich nicht nur als fabelhaftes Abführmittel, sondern er bildet die Grenze zwischen dem menschlichen Körper und Billionen von Bakterien, die in ihm leben. Diese Grenze ist einige Hundert Mikrometer dünn und besteht aus zwei Schichten. Die innere liegt direkt auf den Darmzellen und ist so zäh, dass kein Bakterium in sie eindringen kann. Die äußere Schicht dagegen ist weicher und stellt eine Art Mixed Zone für Bakterien dar.