SCHATZSUCHE »Wie im Märchen«
Die vier Galeonen, die im Mai 1654 von Callao in Peru aus in See stachen, waren mit Diebesgut voll beladen. Mehrere Jahre hatten die spanischen Konquistadoren das Gold in dem eroberten Inkareich zusammengeraubt. Doch mitten in der Nacht geriet die Goldflotte in einen kräftigen Sturm.
Wie von einer Riesenfaust gepackt, wurde das Flaggschiff »La Capitana Jesús María« auf ein Riff geschleudert und ging innerhalb weniger Minuten unweit der Küste von Ecuador unter. Fast alle Seeleute ertranken. Nur dem Kommandanten Francisco de Sosa gelang es, an Land zu schwimmen.
Schon am anderen Morgen befahl der gerettete Admiral den Männern der übrigen Schiffe, die kostbare Fracht zu bergen. Aber die Strömung war stärker. Binnen kurzer Zeit hatte sie das Wrack in Stücke gerissen und unter Sand begraben.
Seit fast 350 Jahren bemühen sich Abenteurer aus aller Herren Länder, die »La Capitana« wiederzufinden. Ist die Suche nach dem sagenhaften Inka-Schatz nun endlich am Ziel? Letzte Woche berichteten norwegische Schatztaucher, sie hätten das legendäre Wrack 16 Meter tief auf dem Grund des Pazifik entdeckt.
»Die Goldmünzen, die wir heraufgeholt haben, erlauben keinen Zweifel mehr«, verkündete Christian Moe, Chef der Osloer Schatzsucherfirma La Capitana Invest. Schon Ende März würden seine Leute damit beginnen, den Schatz zu heben.
Beeindruckt hat Moe die Weltpresse vor allem mit seiner Schätzung, nach der die Schiffsfracht einen Wert von sieben Milliarden Mark haben dürfte. »Dafür kann man sich eine Großbank kaufen«, staunte BILD. Moe gab sich überglücklich: »Ich komme mir vor wie im Märchen.«
Wahrhaftig: Als Märchen entpuppt sich die gigantische Summe schon bei näherem Hinsehen. An Bord des Holzschiffs müßten sich rund 350 Tonnen Gold befunden haben - was die Galeone augenblicklich zum Sinken gebracht hätte. Moe, der Schiffsmakler aus Oslo, hat maßlos übertrieben.
Das bestätigt auch der Schiffbauingenieur Carsten Standfuß aus Bremen. Er verfügt - neben 400 alten Bänden und 200 Seekarten - über ein einzigartiges elektronisches Archiv, in dem Angaben über insgesamt 17 134 Schiffswracks gesammelt sind. 1800 von ihnen gelten als »Wracks mit Wertladung«. In dieser Rubrik finden sich auch Einzelheiten über die 1654 gesunkene »La Capitana«.
»Laut den Frachtpapieren«, so die Auskunft von Standfuß, »hatte das Schiff Gold und Silber im Wert von drei Millionen Pesos geladen, das entspricht ungefähr 75 Millionen Mark.«
»Entschieden« widersprach Ende der Woche dann auch noch der Direktor der ecuadorianischen Handelsmarine der Behauptung, die norwegischen Schatztaucher seien auf das legendäre Galeonenwrack gestoßen. Solche »skandalösen« Falsch-Meldungen, so der Marine-Chef, kursierten leider immer wieder.
Doch Schwindeln gehört bei den Schatzsuchern offenbar zum Handwerk. In den letzten Jahren ist die Wracktaucherei zu einem boomenden Gewerbe geworden, in dem sich auch viele Glücksritter tummeln. Zumindest für einige von ihnen ist die Taucherei mittlerweile ebenso gewinnträchtig, wie es einst die Seeräuberei war.
Doch der Konkurrenzkampf ist hart. Allein vor der Küste Ecuadors liefern sich sechs Tauchunternehmen, darunter die Moe-Firma, seit Jahren einen Wettlauf um die Überreste der »La Capitana«.
Wer glaubhaft machen kann, das Wrack als erster gefunden zu haben, darf darauf hoffen, mit dem südamerikanischen Land einen lukrativen Vertrag über die Bergung abzuschließen. In aller Regel kassiert der Staat, in dessen Küstengewässern sich ein Schatz findet, 50 Prozent des Erlöses; die andere Hälfte teilen sich als Finderlohn die Taucherfirma und deren Geldgeber.
Um ihre millionenteuren Expeditionen zu finanzieren, benötigen die Schatztaucher risikofreudige Kapitalgeber. Die Investoren werden mit astronomischen Renditen geködert. »Wir träumen nicht, wir verdienen Ihr Geld«, versprach unlängst die Hamburger Schatztaucherfirma Lex Rhodia in ihrem Werbeprospekt. Eine Anlageberatungsfirma für Ärzte war gleich mit fünf Millionen Mark dabei.
»Wir erleben derzeit einen Goldrausch unter Wasser«, bestätigt der führende deutsche Schatztaucher Klaus Keppler, Chef der Nautik GmbH in Sasbach. »Dank modernster Technik lohnt sich die Schatzsuche jetzt wirklich.«
Keppler gilt, neben einigen Amerikanern, als einer der wenigen Profis in dem Geschäft. Sein Schatzsucherschiff »Jade« ist mit High-Tech-Maschinen im Wert von einer Million Mark ausgerüstet: »Wir haben alles an Bord, was man braucht.«
Vor allem das Satellitennavigationsgerät GPS, mit dem sich die Position des Suchschiffes auf weniger als einen Meter genau bestimmen läßt, erleichtert Keppler die Arbeit. »Wenn wir große Meeresflächen absuchen müssen, können wir damit sicherstellen, daß wir kein Fleckchen Meeresboden übersehen.«
Für ebenso wichtig hält der Schatztaucher sein sogenanntes Protonenmagnetometer. Das äußerst empfindliche Suchgerät spürt jedes Metallteil Unterwasser auf. »Damit präsentiert sich uns der Meeresgrund wie ein Bilderbuch.«
Die Zahl der Wrackfunde, prophezeit der Schatztaucher, werde deshalb schon bald erheblich steigen. »Binnen weniger Jahre werden wir die wertvollsten Schätze geborgen haben«, glaubt Keppler, »und darunter ist dann sicher auch die 'La Capitana'.«
In der Gegend der Chanduy-Sandbank, auf der die Osloer Schatztaucher die »La Capitana« gefunden haben wollen, liegen nach Auskunft des Standfuß-Archivs noch fünf weitere Wracks aus alter Zeit verstreut. Vielleicht gab eines von ihnen die Goldmünzen her, mit denen der vermeintliche Multimilliardär Moe letzte Woche seinen Sensationsfund zu beweisen suchte.
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Versunkene Schiffe und ihre Schätze am Meeresgrund
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Versunkene Schiffe und ihre Schätze am Meeresgrund
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