WÜRMER Wie rohe Eier
Sein Name klingt nach Haschisch-Dämpfen und ferner Welt: »Roter Kalifornier« oder auch »Tennessee Wiggler« nennen ihn seine Freunde. »Eisenia foetida«, wie Fachleute sagen, ist jedoch aller Glitzer fremd: Dünn, rosa, bis zu 13 Zentimeter lang, zählt er zur Familie der Ringelwürmer. Das zarte Tier verfügt über eine nützliche Fähigkeit: Der Wurm frißt organischen Hausmüll und gibt ihn als wertvollen Humus wieder von sich.
Ökologisch bewußte Bürger sind begeistert: Eine »überwältigende Nachfrage« hat beispielsweise das Wiesbadener Umweltamt registriert, das »Wurmtonnen«, Plastiktonnen mit Wurm für den Bio-Müll, an interessierte Bürger vermittelt.
Einen »regelrechten Run« auf den Wurm vermeldet auch der Hamburger Ökologieverein »Nutzmüll«, der Tips und Würmer samt einer eigens für sie entworfenen Kiste, der »Hamburger Wurmbank«, vertreibt. »Nicht nur Ökos, sondern auch ganz normale Leute« sind, wie »Nutzmüll«-Mitarbeiterin Renate Konopka weiß, plötzlich scharf auf das leicht schleimende Tier.
Von jeher war »Eisenia foetida«, als Kompostwurm und fleißiger Humusproduzent, des Hobbygärtners Lieblingstier. Zur Beseitigung des Hausmülls ist er neuerdings verstärkt als Hausgenosse in der Mietwohnung auf der Etage tätig.
Im Sommer auf dem Balkon, im Winter in der Küche oder im Keller, ist er bequem in Kiste oder Tonne zu halten; er gilt als ausgesprochen »standorttreu«. Bekommt er die »Zuwendung«, die er nach den Erkenntnissen der Biologin Konopka braucht - Temperaturen zwischen 7 und 30 Grad Celsius, gelegentlich einen Guß Wasser -, dann vermehrt er sich rege und frißt alles, was organisch ist: pro Tag maximal ein halbes Gramm.
Zwiebelschalen und Kaffeesatz liebt er besonders, »das regt«, weiß die Biologin, »seinen Sexualtrieb an«. Kohl dagegen verträgt er schlecht. Davon bekommt er Pusteln.
Immerhin ein Drittel des Hausmülls sind organische Stoffe, eignen sich mithin als Futter für den Wurm. So experimentieren denn auch kommunale Müllentsorger bereits mit dem gefräßigen Tier: Im badischen Schopfheim beispielsweise wird derzeit die Wiederaufarbeitung des organischen Mülls per Wurm getestet.
Die »Wurmbank« des Öko-Vereins »Nutzmüll« ist auf den modernen Singlehaushalt zugeschnitten. Sie bietet rund 1000 der Kriecher Lebensraum, genug, um einen Ein- bis Zweipersonenhaushalt von jeglichem Bio-Müll zu befreien.
Eine »bundesweite Lösung« sieht der Hamburger Biologe Ulfert Graefe in dieser Methode allerdings nicht - »bei den Unmengen Müll, die wir heute produzieren«. Doch auch er glaubt, daß die heimische Aufbereitung »in vielen Fällen ganz gut funktionieren kann«, und begrüßt den Wurmerwerb der Bürger: »Das ist doch schön, wenn die Leute gern sehen, wie sich das Tier durch den Kaffeesatz frißt.«
Einen grundlegenden Wandel im Verhältnis zwischen Mensch und Wurm hat Hans-Gerhard Starck, Berliner Agraringenieur und in zoologischen Kreisen als »Wurmvater« ein Begriff, inzwischen festgestellt: »Früher schrie jeder: Igitt. Das ist vorbei.«
Kein Wunder, daß die Marktwirtschaft den Wurm als Wirtschaftsfaktor entdeckt hat: Die Zahl der kommerziellen Wurmzüchter wird auf gut 1000 geschätzt. Einer aus der jungen Branche, der Bebraer Hans Werner Liese, hat auf der Suche nach Absatzmöglichkeiten inzwischen weitere Verwendungsmöglichkeiten entdeckt: Man nehme eine Handvoll gut ausgekoteter »Eisenia foetida«, zerhacke sie - roh - im Mixer, salze, pfeffere sie. »Das schmeckt«, sagt Liese, »wie rohe Eier, nur schleimiger.« #