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CHEMIE Wundersame Wandlung

Harte Zeiten für Panscher: Eine High-Tech-Methode kann Wasserzugaben und Etikettenschwindel beim Wein zuverlässig aufspüren.
aus DER SPIEGEL 8/1997

Verwahrt in vier großen Tiefkühlschränken, abgefüllt in 20-Milliliter-Plastikfläschchen, warten beim Institut für Radioagronomie im Forschungszentrum Jülich rund 4000 Weinproben auf ihren wissenschaftlichen Einsatz: Chardonnay aus dem Nappa-Valley, Pinot Grigio aus dem Piemont, Riesling von der Mosel, große und kleine Gewächse, Massenware und edle Gaumenkitzler.

Das Probenarsenal, eine Art Weingedächtnis auf molekularer Ebene, dient dem Zweck, Weinpanscher und Etikettenschwindler zu überführen. Mit Hilfe eines unbestechlichen Verfahrens, der sogenannten Sauerstoff-Isotopenanalyse, kann der Jülicher Biologe Hilmar Förstel mit Wasser gepanschten Wein entlarven.

Mehr noch: Mit der Methode läßt sich auch nachweisen, ob in einer Flasche, auf der Champagner steht, auch wirklich Champagner ist und nicht - wie geschehen - portugiesischer Schaumwein. Auch daß eine Chablis-Flasche - ebenfalls aktenkundig - in Wahrheit nur ein geschminktes Möselchen enthält, kommt bei der Prüfung gnadenlos ans Licht.

Seit kurzem hat das Internationale Weinamt in Paris, oberste Instanz der Weltweinwirtschaft, das Verfahren offiziell anerkannt. Die Jülicher Analytiker griffen eine Methode auf, die ursprünglich von zwei amerikanischen Hydrologen zur Bestimmung von Wasserbewegungen in Ozeanen und Böden entwickelt wurde.

Genutzt wird dabei die Tatsache, daß es drei ihrem Atomgewicht nach unterschiedliche Sauerstoffvarianten gibt - die Sauerstoff-Isotope 16, 17 und 18 -, die je nach Herkunft der Probe in einem unterschiedlichen Mischungsverhältnis im Wasser enthalten sind. Bei jedem Verdunstungsprozeß, dem das Wasser ausgesetzt ist, entweichen verstärkt die leichteren Isotope, die schwereren bleiben zurück. Je heftiger die Verdunstung, desto konzentrierter sammeln sich die schweren Sauerstoff-Isotope.

So kommen die Wissenschaftler mit dem Massenspektrometer den Panschern auf die Spur: Der Weinstock zieht Wasser aus dem Boden und pumpt es in Früchte und Blattwerk, wo ein Teil verdunstet. In den Trauben reichert sich Wasser mit erhöhten Anteilen an schwerem Sauerstoff 18 an. Werden die Trauben später ausgepreßt und ihr Saft vergoren, bleibt das »schwere« Isotopenmuster auch im Wein erhalten. Sobald »leichtes« Leitungs- oder Brunnenwasser zugepanscht wird, ändert sich die Isotopenstruktur entsprechend.

Zugleich besitzt nicht nur jedes Anbaugebiet, sondern auch jeder Jahrgang sein charakteristisches Isotopenmuster: Je wärmer der Jahreslauf, desto kräftiger die Verdunstung, desto »schwerer« die Isotopen.

Bisher erkannten die chemischen Untersuchungsämter eine Streckung des Weins mit Wasser zuerst am faden Geschmack, dann am gesunkenen MagnesiumSPIEGEL und anderen verdünnten Inhaltsstoffen. Doch die Betrüger sind im Laufe der Jahre cleverer geworden, wie Brigitte Holbach vom Chemischen Untersuchungsamt in Trier feststellen mußte. Ein Wein wurde aus Traubenmostkonzentrat und 81 Prozent Wasser zusammengerührt.

Weil eine simple Wässerung »viel zu auffällig« ist, so Holbach, werden Magnesium- und Kaliumsalze, Apfel- und Milchsäure zugemixt und zur geschmacklichen Abrundung auch mal eine Prise Kochsalz, »das hebt das Aroma«.

Die Zahlen des Trierer Untersuchungsamtes belegen eindrucksvoll das kriminelle Treiben von Schummlern und Schurken. Von 397 Auslandsweinen, die 1995 stichprobenartig untersucht worden sind, waren 95 »nicht verkehrsfähig«. Bei den Inlandsweinen wurden von 1268 analysierten Flaschen immerhin 272 beanstandet. Die erwischten Kellereien und Winzer bekommen in der Regel eine Geldstrafe aufgebrummt - üblich sind 1000 bis 2000 Mark pro Faß -, bleiben aber anonym.

Häufigste Beanstandung ist neben typischen, aber nicht kriminellen Weinfehlern wie Essigstich, Buttersäureton oder ein Anklang an Mäuse-Urin die falsche Angabe der Rebsorte. Vor allem beim kapriziösen, aber beliebten Spätburgunder wird oft gemogelt. Bringt der Rote zuwenig Purpur ins Glas, schütten deutsche Winzer gern mehr sogenannten Deckwein zu als erlaubt, vor allem die Rebsorten Dornfelder und Dunkelfelder lassen blasse Gewächse erröten. Das Prüflabor entlarvt die Panscher: Jede Rebsorte hat ihre eigenen unverwechselbaren Farbpigmente.

Bei den Auslandsweinen fielen neben sechs verdünnten Tropfen gleich sieben Weine mit gefälschten Herkunftsbezeichnungen auf. Besonders beliebt ist der Subventionsbetrug. Die Zeitschrift weinwirtschaft berichtet, daß ganze »Schiffsladungen« mit billigsten Tafelweinen in Länder des Balkans gehen und dort »eine wundersame Wandlung« durchmachen.

Per Isotopenmessung konnten die Jülicher Forscher einen Fall exemplarisch aufdecken. Ein in Spanien gewachsener Wein war nach Ex-Jugoslawien ausgeführt worden. Für den Export in ein Land außerhalb des EU-Gebiets spendiert Brüssel bis zu 40 Pfennig pro Liter, gedacht als Anreiz zur Verkleinerung des Euro-Weinsees.

Nach der Ankunft in Mazedonien wurde die Herkunftsangabe verändert. Über Nacht mutierte der spanische zum mazedonischen Wein und wurde wieder in die EU eingeführt: Absatzmarkt Deutschland. Beim Vergleich der Sauerstoff-Isotope mit mazedonischen Mustern aus dem Jülicher Tiefkühlvorrat flog der Betrug auf. Der molekulare Fingerabdruck paßte nicht zum Etikett. Dafür ähnelte er auffällig dem südspanischen Profil.

Mit der neuen Isotopenmethode haben die Analytiker im Wettlauf zwischen Fälschern und Fahndern eine Zwischenrunde gewonnen. Doch in den Kellern der Missetäter wird schon nachgerüstet. Förstel vermutet, daß einige Spezialisten zur rentierlichen Verdünnung gezielt schweres Kühlwasser einsetzen oder auf dem Chemiemarkt sogar schweren Sauerstoff 18 kaufen und zurühren. Allerdings wären dazu ausgebildete Chemiker und sündhaft teure Gerätschaften nötig.

Mit sportlicher Gelassenheit wartet der Jülicher Forscher nun auf weitere Einfälle der Weinpanscher. Er selbst hat noch einige Pfeile im Köcher. Ähnlich wie jetzt beim Sauerstoff ließe sich auch bei den Wasserstoff-Atomen oder beim Kohlenstoff, der in Säuren und Alkoholen des Weins vorkommt, ein Isotopenprofil bestimmen, das sich von Standort zu Standort unterscheidet.

Inzwischen rufen auch Staatsanwälte und Richter die Jülicher Wissenschaftler in den Zeugenstand. Die Isotopenexpertise ist als Beweismittel zugelassen. Europaweit beherrscht inzwischen rund ein Dutzend Fachlabors die Methode. Das Fälscherhandwerk wird damit erschwert, auch raffiniertere Weinmanipulationen können künftig aufgedeckt werden.

Denn nicht immer kommen sie so plump daher wie im Falle mehrerer Lieferungen eines »Rosenthaler Kadarka«. Der famose Rotwein, bestimmt für deutsche Supermärkte, wurde gleich dreifach als Fälschungsprodukt entlarvt: Er kam weder aus dem bulgarischen Rosenthal, noch enthielt er die Rebsorte Kadarka. Dafür war er mit reichlich Flüssigzucker für den Geschmack deutscher Kunden aufgemotzt.

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