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ABENTEUER Yoga am Himmel

Der Schweizer Flugpionier Bertrand Piccard will die Erde mit einem Solarflugzeug umrunden. Ein Prototyp seiner Experimentalmaschine ist fast startklar.
aus DER SPIEGEL 26/2009

Es wird kein Vergnügen sein dort oben in 12 000 Meter Höhe. Bis zu fünf Tage muss Bertrand Piccard ausharren, den Urinbeutel zwischen den Beinen, eingezwängt in ein Cockpit von anderthalb Quadratmetern Größe.

Minus 60 Grad Celsius werden hinter jener dünnen Doppelglasscheibe herrschen, die den Piloten vom sicheren Tod trennt. Irgendwann werden dann die Augen schwer und die Beine taub. Und doch muss Piccard wachsam bleiben: »Neigt sich das Flugzeug um über 15 Grad zur Seite, kommt es in eine Abwärtsspirale, die kaum mehr zu bremsen ist.«

Piccard ist Flugpionier aus Leidenschaft. Vor zehn Jahren faszinierte der Schweizer die Welt mit einer Ballonfahrt um die Erde. Nun plant er mit seinem Freund André Borschberg einen neuen Coup: Mit einem Solarflugzeug wollen die Abenteurer beweisen, dass es möglich ist, die Welt nur mit Sonnenkraft zu umrunden.

Der erste Prototyp des eigens dafür entwickelten Experimentalflugzeugs mit dem Kürzel HB-SIA soll am Freitag dieser Woche aus einer Halle des Militärflugplatzes Dübendorf bei Zürich rollen. Die »Grenzen der Physik« wollen die 50 Experten des Solar-Impulse-Teams mit dem Flugzeug ausloten. Das Gerät verbinde die Spannweite eines Airbus A340 mit dem »Flugverhalten eines Gleitschirms«, erläutert Piccard. Seine Struktur sei achtmal leichter konstruiert als die modernster Segelflugzeuge. Selbst nachts soll die Solarmaschine fliegen können. Etwa 70 Millionen Euro verschlingt das Vorhaben.

Das Projekt sei »eine Botschaft«, sagt Piccard, ein Experiment, das zeigen solle, »was alles mit erneuerbaren Energien erreicht werden kann«.

Abenteuer liegen dem 51-jährigen Piccard im Blut. Großvater Auguste stieg 1931 mit einem Ballon als erster Mensch in die Stratosphäre auf. Vater Jacques tauchte 1960 mit einem Spezial-U-Boot fast 11 000 Meter tief in den Marianengraben hinab. Bertrand Piccards Großtat ist die Nonstop-Ballonfahrt um die Erde, die ihm zusammen mit dem Briten Brian Jones gelang.

An diese Expedition will Piccard nun anknüpfen. Das Vorhaben ist eine fliegerische Pionierleistung. Nie zuvor wurde ein derart großes und leichtes Flugzeug entwickelt, das mit so wenig Energie auskommt. Rund 12 000 Dünnschicht-Solarzellen lassen sich auf der viermotorigen Maschine unterbringen. Jeder der Motoren leistet zwölf PS. Mit derselben Leistung blieb das Flugzeug der Gebrüder Wright 1903 beim historischen Flug in Kitty Hawk 59 Sekunden in der Luft. Der Sonnenflieger dagegen soll Kontinente überwinden.

Um ein derart schwachbrüstiges Fluggerät so lange in der Luft zu halten, sind überdimensionale Flügel nötig. 61 Meter misst die Spannweite des Prototyps HB-SIA. Millimeterdünne, bienenwabenförmige Elemente aus karbonfaserverstärktem Kunststoff bilden das Skelett des Leichtbaus. Mit maximal 70 Stundenkilometern darf der Prototyp durch die Luft zuckeln. Sonst zerbricht er.

Noch größer ist die Herausforderung des Nachtflugs. Zwar hat HB-SIA Lithium-Polymer-Akkus an Bord, die tagsüber geladen werden. Sie reichen jedoch nicht aus, um das Flugzeug die ganze Nacht lang am Himmel zu halten. Zusätzlich muss der Pilot das Vehikel tagsüber in große Höhen steuern. Im Sinkflug gleitet der Solarflieger dann durch die Nacht. Die Elektromotoren an Bord laufen nur im Sparmodus.

Im Simulator haben Piccard und sein Partner Borschberg das Gerät bereits geflogen. 25 Stunden verharrten sie jeweils in dem für nur einen Piloten ausgelegten Cockpit. »Wir haben die Ergonomie getestet und ausprobiert, wie man sich erholen kann, ohne zu schlafen«, sagt Borschberg. Denn auf dem geplanten Trip um die Welt muss jeder der Piloten drei bis fünf Tage durchhalten. Erst dann, bei Zwischenlandungen auf den verschiedenen Kontinenten, übernimmt der jeweils andere den Steuerknüppel.

Doch wie können die Abenteurer so lange wach bleiben? »Der Mensch fängt bereits nach zwei bis drei Tagen ohne Schlaf an zu halluzinieren«, sagt Piccard. Mit Hypnose, Yoga und Meditation wollen sich die Piloten in der Einsamkeit fit halten. Eine im Notfall vibrierende Spezialjacke soll die schlaftrunkenen Flugpioniere zudem warnen, sobald die Maschine beispielsweise in Schräglage gerät.

Das alles will geübt sein. Und deshalb lassen es die Hasardeure derzeit noch langsam angehen. Im kommenden Frühling hoffen sie den ersten Nachtflug absolvieren zu können. 2011 wollen die Piloten mit dem größeren Nachfolgemodell HB-SIB zunächst den Atlantik überqueren. Schließlich soll das Flugzeug von Dubai aus zur Weltumrundung starten.

Von West nach Ost wird das Solarflugzeug fliegen, um die Nacht zu verkürzen. Doch reicht die Energie bis zum Morgen? Schon leichter Gegenwind könnte die Mission vorzeitig beenden.

»Wenn wir langsamer fliegen, wird die Nacht länger«, sagt der ehemalige Militärpilot Borschberg. »Dann könnte uns noch vor Sonnenaufgang der Strom ausgehen.«

PHILIP BETHGE

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