Materialforschung Ziegel im Ohr
Stürzt sich ein Rhinozeros in einen blutigen Kampf, dann bricht ihm schon mal ein Zacken aus dem Horn. Für das Trampeltier ist das kein ernstliches Problem: Risse und Löcher heilen von alleine wieder aus.
Die amerikanische Metallurgin Ann Van Orden findet das faszinierend: »Stellen wir uns doch einmal vor, ein Auto wäre imstande, sich nach einem Blechschaden selbst zu reparieren.«
Nicht nur Van Orden, auch viele andere Materialforscher sind ganz entzückt über die stofflichen Eigenschaften von Rhinohörnern und Rattenzähnen, von Muschelschalen und Käferpanzern. Eine wachsende Zahl von ihnen versucht jetzt die Materialien der belebten Natur zu kopieren - »biomimetics« heißt die neue, aus Amerika kommende Forschungsrichtung.
»Warum soll man weiter zu einem Chemiker gehen, damit dieser neuartige Materialien züchtet«, fragt der Biochemiker Steven Case von der University of Mississippi, »wenn die Natur schon einige zauberhafte Dinge hervorgebracht hat?«
Für technische Zwecke nachahmen und verfeinern wollen die Tüftler und Techniker unter anderem *___Seide von Spinnen, um daraus Seile für den Bau von ____Hängebrücken herzustellen; *___ein Protein aus dem Skelett von Kakerlaken, das bestens ____für die Herstellung chemisch unempfindlicher ____Gummisorten geeignet scheint; *___den Panzer des schwarzen Zuckerkäfers, um ultraleichte ____Flugzeugflügel zu entwickeln; *___die messerscharfen und ausgesprochen bruchfesten Zähne ____von Ratten, mit denen die Nagetiere sogar ____Konservenbüchsen knacken können; *___Bioleim von Muscheln, mit dem die Weichtiere unter ____Wasser an Felsen haften. Hieraus ließe sich, so ____spekulieren die Materialexperten, ein Superklebstoff ____für den Schiffsbau oder zur Befestigung von Gebissen ____gewinnen.
Wie die Materialforscher bei ihren Untersuchungen herausgefunden haben, kommt die Natur (im Unterschied zu den Chemikern, die in ihren Labors unermüdlich neue Stoffe synthetisieren) mit einer sehr geringen Zahl einfacher Bausteine aus: Zuckermoleküle, Proteine, Mineralstoffe und Wasser genügen.
Ihre ungewöhnlichen Eigenschaften erhalten die von Käfern, Schnecken und Spinnen produzierten Materialien erst durch die äußerst komplexe Architektur, nach der die tierischen Proteine und Mineralien verschachtelt und aufgebaut sind.
Ein markantes Beispiel ist die Kalkschale der Meerohren, einer Familie von Wasserschnecken, deren Fleisch in den USA als Delikatesse gilt. Ihr Schneckenhaus ist rund 30mal härter und fester als gewöhnlicher Kalk, vergleichbar synthetisch hergestellten Keramiken, aber bei weitem nicht so zerbrechlich. »Dabei sind die Zutaten nicht mal besonders eindrucksvoll«, sagt Materialforscher Ilhan Aksay von der Princeton University.
Mit Hilfe von elektronenmikroskopischen Aufnahmen vermochte Aksay das Rätsel zu lösen: Die Meerohrenschale besteht aus sechskantigen, mikroskopisch kleinen Kalkziegeln, die durch einen schmierigen Mörtel aus Proteinen und Zuckermolekülen miteinander verkleistert sind. So bildet sich die organische Struktur einer Mauer.
Wissenschaftler der University of Washington versuchen, das stabile Mauerstein-Mörtel-Design nachzuahmen, um so die Panzerungen von Kampfflugzeugen und Kriegsschiffen zu verstärken. Dazu wollen Armeeforscher auch durch chemische Imitation von Käferschalen gelangen.
»Wir interessieren uns für alles, was leicht, fest und flexibel ist«, erklärt der Materialforscher David Kaplan vom Armeeforschungszentrum in Natick (US-Staat Massachusetts). Allein die US-Marine hat im vergangenen Jahr fünf Millionen Dollar für Biomimetikforschung ausgegeben.
Nicht nur ihre Maschinen, auch ihre Soldaten wollen die Militärs künftig mit Biomaterialien überziehen. Aus den Fäden der Goldseidenspinne (Nephila clavipes) wollen Molekularbiologen schußsichere Westen entwickeln. Y