Gordi: »Am Anfang war der Krieg wirklich beängstigend. Aber jetzt habe ich mich ein bisschen daran gewöhnt.«
Zusammen mit seiner Mutter produziert Gordi aus Wachs, Karton und leeren Tierfutterdosen Kerzen für die ukrainische Armee. In Schützengräben sollen sie die Soldaten wärmen und bei der Essenszubereitung helfen. Viele Familien haben in den letzten zwei Monaten an den Bastelkursen teilgenommen - Kriegsalltag auch für die Kleinsten.
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Unicef, dem Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, sind im November für eine Woche durch die Ukraine gereist, um die Situation der Kinder in dem Land zu dokumentieren. Die deutsche Sprecherin Christine Kahmann war mit dabei. Sie macht sich große Sorgen wegen des Winters, wenn es in der Ukraine bis zu minus 20 Grad kalt werden kann.
Christine Kahmann, Unicef-Pressesprecherin: »Es ist nicht nur dunkel, sondern es gibt keine Heizung. Die Menschen wissen nicht, wie sie kochen sollen, wie sie Teewasser für ihre Kinder machen sollen. All das macht uns natürlich große Sorge. Und darüber hinaus müssen ja auch die Einrichtungen für Kinder, Krankenhäuser, Geburtsstationen, Schulen warmgehalten werden, sonst frieren die Kinder.«
Unicef hat mehrere Zentren für Kinder in der Ukraine eingerichtet – so wie hier in einer U-Bahnstation in der Stadt Charkiw.
Christine Kahmann, Unicef-Pressesprecherin: »Es gibt mittlerweile über Hundert dieser Orte, wo Kinder praktisch einen Rückzugsort haben. Wo sie psychosoziale Hilfe erhalten, wo sie spielen können, wo sie malen können. Als wir dort waren, wurde gezaubert. Es gab ganz viel Kinderlachen, eine scheinbare Normalität, eine gewisse Unbeschwertheit. Und gleichzeitig leuchteten die Warn-Apps auf unseren Handys die ganze Zeit auf. Oben gab es Angriffe auf die Stadt. Die Stadt war pechschwarz, als wir nach oben gekommen sind, weil der Strom wieder mal ausgefallen war.«
Das russische Militär hatte am Mittwoch nach ukrainischen Angaben etwa 70 Raketen und Drohnen auf die Ukraine abgefeuert. Ziel war erneut vornehmlich die Infrastruktur. Immer wieder kommt es zu massiven Stromausfällen. Das trifft auch Einrichtungen wie Schulen oder Kindergärten. Und die Kinder müssen lernen, mit Gefahren umzugehen.
Christine Kahmann, Unicef-Pressesprecherin: »Es gibt Orte, wo sie über Minen und Blindgänger Informationen erhalten, sodass die Kinder auch wissen, wie sie sich schützen können. Viele Orte im Land sind vermint. Und es geht darum, dass die Kinder wissen, dass sie auf Gegenstände, die ihnen suspekt vorkommen, nicht zugehen. Und dass sie wissen, wie sie sich in dieser Situation verhalten. Und all das macht etwas mit der Seele der Kinder.«
3,3 Millionen ukrainische Kinder sind laut Unicef auf humanitäre Hilfe angewiesen. Sie brauchen dringend Winterkleidung. Außerdem sei die Lieferung von Stromgeneratoren essenziell.
Dazu kommt: Nur etwa 60 Prozent der Schulen im Land seien momentan funktionsfähig, denn nach Unicef-Informationen dürfen nur solche mit einem vorhandenen Schutzkeller geöffnet werden. Eine von ihnen ist die Schule im zentralukrainischen Schytomyr. Ein gewohnter Schulalltag ist hier aber kaum möglich, die Kinder verarbeiten die Einschränkungen durch den Krieg auf ihre eigene Weise.
Christine Kahmann, Unicef-Pressesprecherin: »Wir wissen auch, dass Kinder, die malen, ganz oft Bilder von Familien malen und von Häusern. Da ist immer der Vater drauf. Da ist immer das Zuhause drauf. Und das zeigt, glaube ich auch, dass Kinder sich nach einer gewissen Normalität sehnen. Dass sie ihr altes Leben wieder haben möchten.«
Nach Angaben der ukrainischen Generalstaatsanwaltschaft sind seit Beginn des Krieges mehr als 400 Kinder getötet und mehr als 800 verletzt worden. Viele Kinder haben einen hohen Redebedarf und bekommen psychologische Unterstützung, erzählt Christine Kahmann. Sie spüren die Ängste der Eltern, sind selbst oft depressiv.
Christine Kahmann, Unicef-Pressesprecherin: »In dem Ort, den wir besucht haben, Balaklija, in der Nähe von Charkiw, der seit Kurzem erst wieder zugänglich ist, haben wir auch gehört, dass viele Familien wieder zurück in ihre Orte kommen möchten, um dort wieder einen gewissen Alltag zu erfahren. Aber wir dürfen nicht vergessen: Auch Kinder in Gebieten, die nicht direkt unter Beschuss geraten, auch Kinder, die nicht fliehen mussten, leiden unter diesem Krieg, weil er sie immer wieder einholt.«
Zurück in Kiew beim Basteln für Familien. Mehr als 3000 solcher Multifunktionskerzen hat die Initiative bereits nach eigenen Angaben gebastelt und an die ukrainische Armee geschickt.
Gordis Mutter: »Sie sind Teil von allem, was im Moment passiert. Ohne die Hoffnung der Kinder und ohne unsere Hilfe ist das alles sehr schwierig.«